„Klänge des Lebens“ heißt die neue Ausstellung in Vogelsang über das Schicksal von Sinti und Roma in der NS-Zeit. Teil ist auch ein besonderer Wohnwagen
Gräueltaten an Sinti und RomaAusstellung mit Zeitzeugenberichten in Vogelsang eröffnet
„Frieden habe ich nur, wenn ich tot bin“, sagt die Sinta und Holocaust-Überlebende Theresia Neger in einem bewegenden Fernsehinterview, in dem sie unvorstellbare Gräueltaten schildert. Ihr Bericht ist Teil der neuen Sonderausstellung „Klänge des Lebens“, die am Donnerstag in Vogelsang eröffnet wurde. In ihr kommen Menschen zu Wort, die als Sinti und Roma im Nationalsozialismus verfolgt wurden und den Völkermord überlebt haben. Verantwortlich für die Ausstellung sind die Künstlerin Krystiane Vajda und ihr Mann Markus Reinhardt, der Verein „Maro Drom – Kölner Sinte und Freunde“ und Vogelsang ip.
„Wir haben lange auf diesen Tag gewartet“, erklärte Vogelsang-Geschäftsführer Thomas Kreyes. Bei einem Treffen seien sich alle Beteiligten schnell einig gewesen, dass man das Projekt realisieren wolle. „Das hat dann aber noch zwei Jahre gedauert. Es gab viele Diskussionen, dass wir mit so einer Ausstellung Stereotypen bedienen würden“, berichtete Kreyes.
Vogelsang steht als Ort für die Verbrechen des NS-Regimes
Vogelsang stehe als Ort für die Verbrechen des NS-Regimes und sei daher ein idealer Standort für die Ausstellung. Die Männer, die in den „NS-Ordensburgen“ ausgebildet worden seien, seien Teil des nationalsozialistischen Vernichtungsapparates gewesen. „Gerade hier wollen wir an das Schicksal der Opfer erinnern“, sagte Kreyes. Rassismus und Ausgrenzung seien auch heute wieder ein Problem.
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Europapolitiker Martin Schulz hatte als Schirmherr der Sonderausstellung ein Grußwort geschickt. Nach Schätzungen seien zwischen 200.000 und 500.000 Sinti und Roma von den Nationalsozialisten ermordet worden. In der Ausstellung gebe es erschütternde Schilderungen von Zeitzeugen, aber auch von den Nachfahren. Sinti und Roma hätten aktuell Angst vor dem Erstarken rechter Kräfte.
In Vogelsang werden die Schicksale durch Schwarz-Weiß-Fotos erfahrbar
„Mein Opa und meine Oma hatten zwölf Kinder. Die Hälfte davon wurde erschlagen oder vergast“, sagte Markus Reinhardt, der die Eröffnung mit seinem Ensemble auch musikalisch gestaltete. Bevor sie in verschiedene Lager verschickt worden seien, habe sein Opa gesagt: „Wer hier lebend herauskommt, trifft sich in Köln.“ Manche hätten nach Kriegsende ein halbes Jahr gebraucht, um zu Fuß dorthin zu kommen. In Köln lebte die Familie bis 1958 in der sogenannten Schwarz-Weiß-Siedlung an der Venloer Straße, bevor sie nach Köln-Thenhoven umgesiedelt wurde.
„Wir haben dann einen alten Wohnwagen aus dem Jahr 1958 gekauft“, sagte Vajda, die heute darin die Installation „Erinnerungskörper“ entwickelt hat. Schwarz-Weiß-Fotos von Opfern hängen dort lebensgroß an Fleischerhaken. Sie symbolisieren Personen, die durch das NS-Regime gefoltert oder ermordet wurden. „Mit dem Wagen wollten wir Standorte von Lagern besuchen, in denen Familienmitglieder untergebracht waren“, berichtete Reinhardt. Die Tour habe man aber wegen Corona absagen müssen.
Sinti und Roma erhalten die Geschichte auch ohne Schriftsprache
Bei den Sinti und Roma gebe es keine Schriftsprache. „Deshalb sind die Alten unsere Bücher. Damit deren Wissen nicht verloren geht, haben wir Zeitzeugeninterviews gemacht“, erklärte Reinhardt. 45 Gespräche werden in der Ausstellung präsentiert.
Vajda betonte: „Mit der Ausstellung wollen wir bewusst einen Kontrapunkt setzen. Die Geschichte der Opfer am Ort der Täter.“ Auch heute gebe es Gruppen, die Vogelsang als eine Art Wallfahrtsort ansehen. Ihnen dürfe man nicht das Feld überlassen.
Viele Menschen seien umgekommen, und damit seien ihre Geschichten weggebrochen. „Jetzt melden sich Menschen, die uns ihre Geschichte erzählen wollen“, sagte die Künstlerin. Einige hätten zuvor nie über ihre Erlebnisse gesprochen.
„Wir haben uns mit den Familienangehörigen von Markus getroffen, und sie haben uns in intimer Atmosphäre ihre Geschichten erzählt“, berichtete Vajda. Damit habe man ein neues Kapitel aufgeschlagen: „Bislang gab es nur Berichte, Erzählungen und Aussagen über die Täter. Jetzt stehen erstmals die Opfer im Mittelpunkt.“ Sie dankte allen, die das Projekt unterstützt haben.
Erschütternde Schilderungen in der Ausstellung in Vogelsang
Erschütternd sind beispielsweise die Schilderungen von Theresia Neger, die 1932 geboren wurde. Sie wuchs in einem von den Nationalsozialisten 1935 errichteten „Zigeunerlager“ in Köln-Bickendorf auf. Im Mai 1940 wurde ihre Familie nach Warschau und dann in das Ghetto Siedlce deportiert. Dort erlebte sie als kleines Mädchen schreckliche Brutalität: „Kinder wurden mit Gewehrkolben erschlagen. Wer sich zur Wehr setzte, wurde gleich erschossen.“ Jeden Tag hätten irgendwo Tote gelegen.
Mit der Historie der Sinti und Roma und der Situation in der Region hatte sich Marc Meyer von Vogelsang ip beschäftigt. „Ihre Geschichte war oft eine der Unterdrückung und Diskriminierung.“ 1927 seien alleine im Regierungsbezirk Aachen 264 Menschen als „Zigeuner“ erfasst worden. Aufgrund verschiedener Erlasse und Verordnungen gegen das Umherziehen hätten sich in der Zeit in den Grenzkreisen und ländlichen Regionen nur noch wenige Sinti und Roma aufgehalten.
Wahrsagerin soll sogar Konrad Adenauer beraten haben
Nach dem Krieg waren es noch weniger. Eine Frau aus Stotzheim wurde nach dem Zweiten Weltkrieg berühmt, weil sie sogar Konrad Adenauer beraten haben soll. Die Rede ist von Margareta Goussanthier, die als Madame Buchela bekannt war. Ihr Mann Adam wurde zu Kriegsbeginn eingezogen und starb kurz nach Kriegsende in einem Lazarett.
Buchela verdiente sich ihr Geld unter anderem als Wahrsagerin, Adenauer soll sie den Sieg bei der Bundestagswahl 1953 vorausgesagt haben. Später lebte sie in Remagen.
Christian Pfeil wurde 1944 im Ghetto Lublin geboren und ist ein Überlebender des Holocaust. Dorthin waren seine Eltern und älteren Geschwister im Mai 1940 von Trier aus deportiert worden. „Ich spüre trotz der Gräueltaten keine Verbitterung. Ich will nur einen Beitrag leisten, dass sich Geschichte nicht wiederholt.“ Pfeil hofft, dass die Jugend für die Demokratie einsteht und Rassismus eine Absage erteilt.
Im Eingangsbereich des Besucherzentrums in Vogelsang sind zudem Fotos von der Familie Reinhardt zu sehen. Auch der französische Gitarrist und Bandleader „Django“ Reinhardt ist darauf zu sehen. Dort können die auch 45 Interviews abgehört werden.
Rahmenprogramm mit Führungen und Zeitzeugengesprächen
Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 22. September täglich von 10 bis 17 Uhr. Begleitend zur Ausstellung gibt es ein Rahmenprogramm mit Führungen, Zeitzeugengesprächen und Angeboten für Schulklassen und Jugendgruppen.
Ein Zeitzeugenabend mit musikalischer Begleitung steht am Donnerstag, 15. August, um 17.30 Uhr auf dem Programm. 85 Jahre nach Kriegsbeginn wird es am Sonntag, 1. September, um 17.30 Uhr ein Gespräch mit Zeitzeugen geben.
Am Tag des offenen Denkmals am 8. September ist eine Mitmachaktion mit der Künstlerin Krystiane Vajda in ihrer Holzdruckwerkstatt geplant. Eine Finissage mit einer Videobotschaft von Stephan Brings steht am Sonntag, 22. September, um 11 Uhr auf dem Programm.