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Studie nach der FlutSeelische Hilfen im Schleidener Tal können als Blaupause dienen

Lesezeit 6 Minuten
Frank Waldschmidt (r.) trägt die lilafarbene Weste, die ihn als Notfallseelsorger kennzeichnet. Nach der Flutkatastrophe in Gemünd informiert er Olaf Scholz und Ina Scharrenbach über diese Arbeit.

„Die lila Westen“, die Helfer der Notfallseelsorge, waren nach der Flut in den betroffenen Gebieten präsent. In Gemünd informierte Frank C. Waldschmidt (r.) Bundeskanzler Olaf Scholz und Heimatministerin Ina Scharrenbach über die Arbeit.

Erkenntnisse der psychosozialen Arbeit nach der Flut im Schleidener Tal werden in einer Studie aufgearbeitet und sollen bei Gesetzesnovellen helfen.

Bezirksbereitschaften, Schnelleinsatzgruppen, Logistikzüge und, und, und: Sowohl für die Feuerwehr als auch für den Rettungsdienst ist in NRW in Landeskonzepten festgelegt, wie bei Großeinsatzlagen oder Katastrophen geholfen werden kann.

Vorgeplante überörtliche Hilfe nennt sich das und hat für die Verantwortlichen in der betroffenen Region den Vorteil, dass sie genau wissen, was sie bekommen, wenn sie die Hilfe anfordern: Wie viele Einsatzkräfte in welcher Zeit mit wie vielen Fahrzeugen vor Ort sind, wie viel Platz sie benötigen, was sie können.

Für die seelischen Hilfen gibt es noch keine Landeskonzepte

Keine derartigen Konzepte gibt es jedoch bislang im Bereich der seelischen Hilfen, vor allem für sehr großräumige Einsatzgebiete mit sehr vielen Betroffenen. Wie wichtig die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) jedoch ist, hat nicht nur die Flutkatastrophe vor zwei Jahren gezeigt. Dieser Bereich soll auch Eingang in die nun anstehenden Novellen der entsprechenden Landesgesetze finden.

Andere Länder, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern etwa, sind da bereits weiter und haben entsprechende Zentralstellen für PSNV-Angebote eingerichtet.

Im Schleidener Tal wurde und wird seit der Flut Pionierarbeit geleistet

Als eine Art Blaupause für künftige Konzepte könnte die Arbeit dienen, die seit Juli 2021 im Schleidener Tal geleistet wird. „Hier wurde und wird Pionierarbeit geleistet“, sagt Dr. Sophie von Preysing, Landesgeschäftsführerin der Malteser NRW. Um diese Arbeit und das, was kurz-, mittel- und langfristig aufgebaut wurde, fundiert zu erfassen, erstellen Prof. Harald Karutz und sein Team von der Medical School Hamburg nun eine Studie zu diesem Thema.

Sechs Männer und eine Frau stehen vor dem Plakat des Hilfszentrums Schleidener Tal: Frank C. Waldschmidt (v.l.), Dr. Ralf Nolten, Dr. Sophie von Preysing, Prof. Harald Karutz, Wolfgang Heidinger, Ingo Pfennings und Gerd Sebastian.

Den Startschuss zur Studie gaben Frank C. Waldschmidt (v.l.), Dr. Ralf Nolten, Dr. Sophie von Preysing, Prof. Harald Karutz, Wolfgang Heidinger, Ingo Pfennings und Gerd Sebastian.

„Das, was hier entstanden ist, ist bemerkenswert und einzigartig. Das gibt es in der Form noch nicht“, sagt Karutz. Er teilt damit die Einschätzung von Frank C. Waldschmidt, der seit der ersten Stunde für die Malteser-Fluthilfe im Tal aktiv ist und maßgeblichen Anteil am Aufbau der Strukturen hat. Wie und warum diese so gut funktionieren, wo möglicherweise Schwächen und Verbesserungspotenziale sind, wird nun wissenschaftlich aufgearbeitet.

Im Gemünder Hilfszentrum gibt es keine „ideologischen Scheuklappen“

Dass im Schleidener Tal nach der Flut der Grundstein für die psychosozialen Hilfen gelegt wurde, ist jedoch zunächst eine Kombination aus Zufall, Glück und Kontakten: Im Schleidener Krisenstab kannte jemand Waldschmidt, hat ihn angerufen, und der hat losgelegt, geholfen, nach und nach Strukturen geschaffen.

„Wir wissen nicht, wie das geht. Aber wir machen das jetzt mal.“ Dieses Motto, von Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings seit der Flutnacht so oft bemüht, hat auch hier gegolten – schlicht, weil es in diesem wie in nahezu keinem Bereich Anleitungen oder Checklisten für die Bewältigung einer derartigen Katastrophe gab, geschweige denn Erfahrungswerte.

Bei den Angeboten, die aktuell im Hilfszentrum in Gemünd gebündelt sind, sind die Vernetzung, die partnerschaftliche Zusammenarbeit verschiedener Akteure sowie der eher ganzheitliche Ansatz über rein psychologische Aspekte hinaus maßgebliche Kriterien. „Es gab und gibt keine ideologischen Scheuklappen“, bringt es etwa Wolfgang Heidinger, Bundesbeauftragter der Malteser-Fluthilfe, auf den Punkt.

PSNV muss möglicherweise für weitere Gruppen spezialisiert werden

Die PSNV ist aktuell für verschiedene Personengruppe zugeschnitten: E steht für Einsatzkräfte, B für die Bevölkerung. Bei ersterem sieht Karutz die Organisationen bereits recht gut aufgestellt, bei zweiterem noch deutliches Potenzial.

Doch reicht das grundsätzlich aus? Müssen nicht auch andere Gruppen zielgerichtet unterstützt werden? Die Freiwilligen, die zu Tausenden in den Flutgebieten waren und mit angepackt haben, benötigen möglicherweise Hilfe, das Erlebte zu verarbeiten. Oder die Mitarbeiter in Verwaltungen, Beratungsstellen und Unternehmen der Kritischen Infrastruktur, die immer wieder mit den Schicksalen der Betroffenen konfrontiert werden. Daher wird in der Studie auch der Frage nachgegangen, ob nicht möglicherweise weitere Unterkategorien, H oder M etwa, erforderlich sind.

Bürokratie und Co. können auch die Helfer ausbremsen

„Formelle Regelungen in Datenschutz und Bürokratie können die Hilfeleistung erschweren“, sagt Karutz. Die Übermittlung von Daten Verstorbener und damit deren Angehöriger könnte so ein Thema sein: Für die Helfer ist es nicht gerade hilfreich, nicht zu wissen, wo sie gebraucht werden – gerade wenn in solchen Fällen die Betroffenen schnell Hilfe benötigen.

„Auch da werden wir den Finger drauflegen“, kündigt Karutz für die Arbeit der Wissenschaftler an. Fundierte Grundlagen, Absprachen und Schnittstellen für schnelle und effektive Hilfe müssen seiner Ansicht nach geschaffen werden.

Experte plädiert für einen modularen Aufbau der PSNV

Zuerst ist dies nötig, dann das und danach jenes. Dass die psychosozialen Hilfen nicht nach einem chronologischen Ablauf aufgebaut und abgearbeitet werden können, erfahren die Praktiker vor Ort immer wieder. Auch Monate nach der Flut, so Waldschmidt, wurde teils noch Akuthilfe geleistet, obwohl sie nach dem Stand der Wissenschaft da längst hätte abgeschlossen sein müssen.

Daher plädiert er dafür, dass künftige Strukturen in Modulen geschaffen werden, die parallel ablaufen können. Elementar wichtig ist für ihn die Einschätzung vor Ort: „Ein Ministerium darf es gerne akzeptieren, wenn die Kräfte vor Ort sagen, dass sie dieses oder jenes noch brauchen.“

Großformatige Bekanntmachungen und Werbung für die Angebote hält er indes für nicht zielführend: „Das kann man ja nicht verordnen.“ Für fachlich geboten sieht er jedoch die aufsuchende Arbeit an, die die Teams nach der Flut erstmals in dieser Form praktiziert haben. Und ganz wichtig, ergänzt Karutz, sei die Art des Angebots, wie es im Schleidener Tal geschaffen wurde: ortsnah und niedrigschwellig. Eine Lösung muss laut Waldschmidt jedoch bei den Grenzziehungen gefunden werden: Die IPSU in Gemünd steht allen Menschen aus dem Kreis Euskirchen offen – Betroffene aus angrenzenden Orten wie Odendorf oder Ahrbrück etwa müssten sich hingegen andere Anlaufstellen suchen.

Bei der Landesregierung ist das Thema „ganz oben“ angekommen

Nach der Flutkatastrophe seien die fraglichen Ministerien für das Thema sensibilisiert, sagt Landtagsabgeordneter Dr. Ralf Nolten – der selbst in Düsseldorf beharrlich dafür sorgt, dass es nicht in Vergessenheit gerät: „Ich bin froh, dass das Thema ganz oben, bei der Spitze, angekommen ist.“

In die Gesetze über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) sowie über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmen (RettG) müsse die PSNV bei der Bewältigung derartiger Flächenlagen Eingang finden, sagt Nolten. Im nächsten halben Jahr erwartet er, dass sich in dem Bereich „einiges tun“ werde. Doch bis die Gesetzesnovellen beschlossen sind, wird eher mindestens ein Jahr vergehen.


Die Studie

Bis Ende 2024 soll die Studie von Prof. Harald Karutz spätestens fertig sein. Mit ersten Ergebnissen wird jedoch bereits in etwa einem halben Jahr gerechnet.

Finanziert wird die Arbeit des Teams der Medical School Hamburg zu zwei Dritteln durch den Malteser Hilfsdienst, der seit den ersten Tagen nach der Katastrophe in der Region im Einsatz ist und aktuell die Interkommunale Psychologische Unterstützung (IPSU) in Gemünd betreibt.

Die Erfahrungen, die im Schleidener Tal von der Akuthilfe über die Beratungs- und Koordinierungsstelle (Beko) bis hin zur IPSU gemacht wurden, werden aufgearbeitet, um die Frage zu beantworten: „Wie konnte es gelingen?“ Dazu werden die Wissenschaftler Dokumente auswerten und Interviews mit den Beteiligten – nicht nur den Maltesern – führen. In erster Linie geht es um die Strukturen und Schlussfolgerungen für künftiges Krisenmanagement. (rha)