In Schleiden werden ab 2025 die Notaufnahme sowie die Stationen für Unfallchirurgie, Innere und Geriatrie wegfallen.
Kreiskrankenhaus MechernichDie Klinik in Schleiden bleibt – Es gibt große Veränderungen
Krankenhäuser in Finanznot, Klinik-Insolvenzen, das schier unendliche Tauziehen der Gesundheitsminister von Bund und Land: Die medizinische Versorgung ist seit Monaten in aller Munde. Auch wenn die Lage im Kreiskrankenhaus mit seinen beiden Standorten in Mechernich und Schleiden nicht ganz so dramatisch ist und keine Insolvenz droht: Auch hier sind die Zahlen tiefrot.
Gerüchte über die Zukunft – oder auch Nicht-Zukunft – der deutlich kleineren Klinik am Schleidener Hähnchen halten sich hartnäckig. Auch wenn die Lösung noch nicht ganz in trockenen Tüchern ist, skizziert Geschäftsführer Martin Milde, welche Veränderungen auf den Standort Schleiden zukommen.
19.070 Patienten in Mechernich, 3392 in Schleiden
Dass Schleiden der deutlich kleinere der beiden Standorte ist, ist allgemein bekannt. Ein Blick auf die Zahlen macht die Dimensionen klar – und den Handhandlungsbedarf ob des Defizits. 418 Betten werden in der Mechernicher Klinik vorgehalten, 750 Vollzeitkräfte – durch Teilzeit-Vereinbarungen sind es deutlich mehr Köpfe – kümmern sich um die Patienten. 145 Vollzeitstellen und 105 Betten sind es in Schleiden. In Mechernich wurden im vergangenen Jahr 19.070 Patienten behandelt, in Schleiden 3392.
Wurde im Kreiskrankenhaus im Vor-Corona-Jahr 2019 ein Überschuss von 717.000 Euro erwirtschaftet, so war es in Schleiden ein Defizit von 190.000 Euro – eine Dimension, die im Rahmen des Geplanten und Erwarteten liege, sagt Milde. Durch die Ausgleichszahlungen für nicht belegte Betten in den ersten Corona-Jahren lag der Gesamtüberschuss noch bei knapp über 500.000 Euro. 2022 und 2023 lagen die Gesamtdefizite bereits bei mehr als drei Millionen Euro.
Für 2024 sieht die Planung noch finsterer aus: Rund sieben Millionen Euro Defizit werden insgesamt einkalkuliert – der Schleidener Anteil liegt mit gut 3,6 Millionen bei etwas mehr als der Hälfte. Mildes Schluss: „Die Struktur in Schleiden ist nicht zukunftsfähig. Daher müssen wir sie verändern.“ Und: „Wir werden die Bevölkerung im Kreis bestmöglich versorgen. Das ist unser Auftrag. Wir werden es nur in einem anderen Setting tun.“
Schließung und „Weiter so“ kommen für Schleiden nicht infrage
Vier Varianten habe man betrachtet, berichtet Milde. Nummer eins und Nummer vier waren schnell vom Tisch: Weder wird alles bleiben, wie es ist, noch wird Schleiden geschlossen. Nicht nur mit Blick auf die Zahlen würde Ersteres wirtschaftlich wie personell nicht funktionieren: Laut Milde gehen in Schleiden Ende des Jahres zwei Chefärzte in den Ruhestand. Es gelinge nicht, diese Stellen wieder zu besetzen. Daher könnte das Ausscheiden einen Domino-Effekt auslösen, da einige Behandlungen dann nicht mehr durchgeführt werden dürften oder die Notfallversorgung aberkannt würde.
Die Schließung wäre für den Geschäftsführer vielleicht die einfachste Variante. Sie ist aber weder in seinem Sinne noch in dem der Gremien: Sowohl Gesellschafterversammlung als auch Verwaltungsrat haben laut Milde einstimmig dafür votiert, den Standort Schleiden zu erhalten und umzustrukturieren.
Variante zwei, ein Gesundheitszentrum mit Sprechstunden diverser Disziplinen und ambulanten Operationen, aber ohne eine stationäre Versorgung, wäre da denkbar – ist aber im Prinzip vom Tisch.
In Schleidener Klinik soll ein Pilotprojekt gestartet werden
Bleibt Variante drei, deren Planung weit gediehen ist. Aus den Gesprächen etwa mit Krankenkassen, Kassenärztlicher Vereinigung und der Bezirksregierung habe er positive Signale, so Milde: „Sie haben ein hohes Interesse, das Pilotprojekt, den Schleidener Weg, zu starten und es auf regionaler Ebene zu etablieren.“ Die Stationen Innere, Unfallchirurgie und Geriatrie fallen weg. Stationär versorgt werden in Schleiden weiterhin Patienten aus Schmerztherapie, Hand- und Fußchirurgie, die sich über die Region hinaus eines sehr guten Rufes erfreuen.
Sprechstunden werden zudem in den Bereichen Innere Medizin und Chirurgie angeboten, ambulante Operationen und Endoskopie sind genauso vorgesehen wie Radiologie und Dialyse.
Auch für niedergelassene Ärzte soll das Modell attraktiv sein
Die ärztlichen Leistungen werden von angestellten oder niedergelassenen Ärzten übernommen. Mit Blick auf die alles andere als rosige Lage bei den niedergelassenen Ärzten ist hier womöglich der Wunsch Vater des Gedanken. Das weiß auch Milde: „Idealerweise machen die Niedergelassenen mit. Aber das Projekt hängt nicht daran.“
Daher setze man auf eigene Ärzte. Dennoch können das Modell für die Niedergelassenen attraktiv sein. Milde hofft auf eine Magnet-Funktion eines solchen „Zentrums für Gesundheit“ durch die Möglichkeiten der Vernetzung und die Nutzung der Infrastruktur und der technischen Ausstattung.
Die Notaufnahme in Schleiden wird geschlossen, der Notarzt bleibt
Sowohl die Notaufnahme als auch die Intensivstation fallen in Schleiden weg. Dass ein Mensch deswegen stirbt, hält Milde für unwahrscheinlich. Die „schweren Fälle“ werden seit Jahren nicht dort behandelt: Aufgrund der Spezialisierungen führt der Weg für Herzinfarkt-Patienten nach Mechernich, bei einem Schlaganfall nach Euskirchen. Wird jemand etwa bei einem Unfall schwer verletzt, werden diese sogenannten Polytrauma-Patienten entweder nach Mechernich oder in ein Universitätskrankenhaus gebracht.
Und: Ein Notarzt wird weiterhin in der gewohnten Zeit beim Patienten sein. Denn: „Der Notarzt-Standort bleibt am Hähnchen und wird vom Krankenhaus mit Ärzten besetzt“, sagt Milde. Wie bisher werden sie von den Rettungsdienst-Mitarbeitern, die samt der Fahrzeuge in der Wache am Kreisbrandschutzzentrum stationiert sind, zu ihren Einsätzen gefahren.
Es bleiben laut Milde also die vergleichsweise leichteren Fälle, die „in den sauren Apfel der längeren Fahrt beißen müssen“. Derer nimmt sich künftig die Crew in der Notaufnahme in Mechernich an. Die, vor knapp drei Jahren für 500.000 Euro erneuert, sowie die Stationen werden entsprechend ausgelegt, damit sie die zusätzlichen Patienten aufnehmen können.
Die Pläne sollen zum 1. Januar 2025 umgesetzt werden
Innerhalb der nächsten Monate, so Milde, habe man Klarheit, ob das Vorhaben funktioniert. Umgesetzt wird es dann zum 1. Januar 2025. Dies wird bereits ab der zweiten Jahreshälfte sukzessive vorbereitet und angegangen. „Wir sprechen über medizinische Versorgung“, sagt Milde: „Da kann man nicht einfach so den Schalter umlegen.“
Das Gros der Mitarbeiter wird in Schleiden bleiben
Sehr emotional, so Milde, sei die Mitarbeiterversammlung am Donnerstag gewesen, in der die Schleidener Belegschaft über die Pläne informiert wurde. Sorgen um ihren Arbeitsplatz müssen sich die allerwenigsten machen – nur dem deutlich kleinsten Teil werde man kein Angebot machen können. „Jede Pflegekraft, die bleiben will, bleibt“, sagt Milde – logisch in Zeiten enormen Fachkräftemangels. Ohnehin werde das Gros der Mitarbeiter in Schleiden bleiben. Wenn nicht im Krankenhaus, werde man ihnen Angebote im Liebfrauenhof oder in der Mechernicher Klinik machen.
Wenn die Patientenströme nach Mechernich verlagert werden, sei es logisch, dass man dort auch das entsprechende Personal benötige.
Kreis Euskirchen gibt ein Zehn-Millionen-Ausfalldarlehen
„Das Kreiskrankenhaus hat keine Liquiditätsprobleme. Aber es ist eng“, sagt Milde. Für den Fall, dass es zu eng wird, stellt der Kreis ein Ausfalldarlehen von zehn Millionen Euro zur Verfügung.
Milde geht nicht davon aus, dass es in diesem Jahr in Anspruch genommen werden muss. Sowohl für 2024 als auch für 2025 muss er in der Finanzplanung mit Annahmen operieren. Ob das angesichts der unsicheren Zeiten realistisch ist, ist unerheblich – die Planung ist Pflicht. „Ich bin ein vorsichtiger Kaufmann und verspreche keine blühenden Landschaften“, sagt Milde: Schwarzmalen werde er aber auch nicht.
Da es nie ganz auszuschließen sei, dass das Geld ausgeht, sei eine derartige Rückfallebene wichtig – daher habe man mit dem Kreis als Träger über dieses Liquiditätsdarlehen gesprochen. Denn: Es gibt einen Versorgungsauftrag, das Kreiskrankenhaus ist laut Milde „bedarfsnotwendig“.
Die allgemeine Lage
Um 589.000 Euro wachsen die Defizite der Kliniken in Deutschland – jede Stunde. Dies hat eine Studie der Krankenhausgesellschaft ergeben. „Das liegt nicht daran, dass plötzlich alle Geschäftsführer ihr Handwerk verlernt haben“, sagt Kreiskrankenhaus-Geschäftsführer Martin Milde. Die sich kontinuierlich verschlechternden finanziellen Rahmenbedingungen und der Fachkräftemangel seien schlicht irgendwann nicht mehr zu kompensieren.
In Prozenten macht Milde es deutlich: Während der Landesbasisfallwert, also die „Währung“, mit der die Kliniken abrechnen, in den vergangenen Jahren um 27,35 Prozent gestiegen sei, liege die Steigerung bei den Personal- und Sachkosten bei 67,35 Prozent. Für 2024 schlage alleine die Tarifsteigerung mit 10 Prozent zu Buche, der Basisfallwert steige jedoch nur um 5,25 Prozent.
Die Lücke geschlossen haben laut Milde viele Kliniken in den vergangenen Jahren, indem sie immer mehr Patienten behandelt haben. Doch in der Pandemie seien die Zahlen eingebrochen. Alleine für das Kreiskrankenhaus brachen die Erlöse von 2019 auf 2020 um 9,5 Millionen Euro ein. Teilweise kompensiert wurde das bis April 2022 durch die sogenannte Freihaltepauschale für nicht belegte Betten. „Doch da war Corona nicht vorbei“, sagt Milde. Zur Folge hat das, dass auch im Kreiskrankenhaus seit 2022 tiefrote Zahlen geschrieben werden.
Die Reformpläne
Eine Reform – oder eine „Revolution“, wie es Karl Lauterbach für sein Ministerium am Nikolaustag 2022 verkündet hat – planen sowohl Bund als auch Land. Dass Lauterbach von einer „Tendenz zur billigen Medizin“ im vorhandenen System gesprochen hat, macht Milde nachhaltig sauer: „Das ist eine Unverschämtheit und ein Schlag ins Gesicht jedes einzelnen Mitarbeiters im Krankenhaus.“
Wie und wann es weitergeht in Sachen Reform, steht noch in den Sternen. Das Kreiskrankenhaus hat sich zur NRW-Krankenhausplanung mit den Leistungen beworben, die es bislang anbietet – und geht davon aus, dass es diese weiterhin alle anbieten wird. Doch die Entscheidung darüber steht aus. Sie war für Ende des Jahres erwartet worden. Doch aufgrund der Patt-Situation zwischen Bund und Land wird die Entscheidung laut Milde nicht vor Spätsommer/Frühherbst erwartet.
Die Bürokratie ist für die Mechernicher und ihre Kollegen ein Dauerärgernis: Rund 40 Prozent ihrer Arbeitszeit müssen Ärzte und Pflegekräfte auf Dokumentationen verwenden, sagt Milde. Er spricht von einem „Katz- und Maus-Spiel“ mit dem medizinischen Dienst, der als Prüfstelle stets auf der Suche nach Fehlern in der Dokumentation sei, um Rechnungen kürzen zu können. Dass Dokumentationen wichtig und nötig sind, stellt Milde gar nicht in Abrede. Doch er macht fürs Kreiskrankenhaus die Rechnung auf: „Würde der Aufwand auf die Hälfte, also 20 Prozent der Arbeitszeit, reduziert, hätten wir auf einen Schlag 60 Vollzeitkräfte in der Pflege mehr am Patienten.“