Mutter und Sohn leben in Mechernich Tür an Tür und unterstützen sich gegenseitig. Beide blicken auf bewegte Zeiten zurück.
Was im Leben wichtig istMutter (100) und Sohn (80) bilden in Mechernich ein eingespieltes Duo

Edith Stief, die am 10. April ihren 100. Geburtstag gefeiert hat, lebt mit ihrem Sohn Rainer (80) in einer betreuten Wohneinrichtung in Mechernich.
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So richtig verstehen kann sie es immer noch nicht, warum um ihren Geburtstag so viel Aufhebens gemacht wurde: Der Mechernicher Bürgermeister Hans-Peter Schick war zu Besuch und auch der Stellvertreter des Landrats. Beide brachten Blumen und eine Urkunde mit. Außerdem war ein Schreiben von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst in der Post. Auf der anderen Seite: 100 Jahre alt wird man natürlich nicht alle Tage. Edith Stief hat dieses Fest vor wenigen Tagen gefeiert.
Seit rund zwei Jahren lebt die Jubilarin, eine gebürtige Hamburgerin, in der Bleibergstadt, in einem Apartment des betreuten Wohnens direkt am Markt. „Obwohl ich mir das eigentlich ein bisschen anders vorgestellt habe“, wie sie berichtet. Bei der Auswahl der neuen Bleibe sei vor allem aber ein Merkmal entscheidend gewesen: „Gleich nebenan war ein weiteres Apartment frei. Und dort wohnt mein Sohn Rainer.“
2007 zog die gebürtige Hamburgerin zu ihrem Sohn nach Blankenheim
Der ist – man denke an das fortgeschrittene Alter der Mutter – inzwischen natürlich auch nicht mehr der Jüngste. „Ich bin 80 Jahre alt und hatte leider schon mehrere Schlaganfälle. Deshalb sind wir 2023 hier ins betreute Wohnen nach Mechernich gezogen“, erklärt Rainer Stief. Aber auch vorher schon haben Mutter und Sohn zusammengelebt: 2007 zog sie ins Haus ihres Sohnes nach Blankenheim. „Seitdem unterstützen wir uns im Alltag gegenseitig.“

Feierlich überreichte der Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick der Jubilarin Urkunde und Blumen.
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Man kann noch so alt werden – aus manchen Rollen wächst man einfach nicht heraus. „Ich frage ihn immer noch, ob er auch wirklich sein Bett gemacht hat“, bekennt Edith Stief lachend. Das Einkaufen übernehmen Mutter und Sohn gemeinsam, was dank der zentralen Lage der Apartments in der Mechernicher Innenstadt kein allzu großes Problem ist. „Obwohl ich dabei seit Kurzem auf einen Rollator angewiesen bin“, wie die 100-Jährige bedauert.
Auch für das Kochen ist sie nach wie vor zuständig: „Gemüsesuppe und Rinderrouladen gehen immer – nach 80 Jahren weiß man ja, was bei ihm gut ankommt.“ An drei Tagen in der Woche haben die beiden zusätzliche Unterstützung durch eine Haushaltshilfe.
Edith Stief war Bürokauffrau, Verkäuferin und Hausmeisterin
Dass seine Mutter nach wie vor verhältnismäßig rüstig ist, beeindruckt auch den Sohn. „Sie kümmert sich immer noch um die Wäsche oder benutzt den Staubsauger.“ Neben der Hausarbeit war die Jubilarin aber auch ihr Leben lang berufstätig: Schon während des Zweiten Weltkriegs machte sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau, arbeitete später beispielsweise als Verkäuferin in einem Blumengeschäft oder als Hausmeisterin auf einem Campingplatz an der Lippe.
Für sie sei das „eine besonders schöne Zeit“ gewesen. Vor allem das Schwimmen im Fluss habe sie geliebt. „Durch das Kühlwasser des Kohlekraftwerks in Hamm-Uentrop war die Wassertemperatur der Lippe immer sehr angenehm“, erinnert sich Edith Stief.
Da könnte ich ein Buch drüber schreiben.
Auch Sohn Rainer lebte ein bewegtes Leben, wanderte als junger Mann gar nach Südafrika aus. „Da könnte ich ein Buch drüber schreiben“, sagt er heute. Für seine Mutter war vor seiner Abreise in den 60er-Jahren allerdings nur eine Sache wichtig: „Du kommst doch wieder, Junge, oder?“
Später unternahmen Mutter und Sohn eine gemeinsame Reise nach Südafrika. „Das war nach meinem 80. Geburtstag“, so die Jubilarin, die immer gerne gereist ist. Als gebürtige Hamburgerin war sie dabei der See immer besonders zugetan. Ihre letzte große Reise auf einem Kreuzfahrtschiff brachte sie an die norwegische Fjordküste.
Die Kriegsjahre in Hamburg sind für Edith Stief unvergessen
Unvergessen – in negativer Hinsicht – sind für Edith Stief auch die Kriegsjahre, die sie in ihrer Heimatstadt Hamburg verbrachte. Der Bombenkrieg, das ungewisse Warten im von Explosionen erschütterten Bunker oder KZ-Häftlinge, die brutal durch die Straßen getrieben wurden und bei Fliegeralarm keinen Schutz suchen durften. 1944 litt sie inmitten der Kriegswirren an einer gefährlichen Lungenentzündung und wurde später fast von einer abgeworfenen Bombe samt Sohn Rainer im Kinderwagen in ihrem Hausflur verschüttet.
Präsent sind ihr auch immer noch die Stunden, die sie mit zahlreichen Nachbarn aus dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg im Hochbunker verbrachte. „Zuerst haben wir bei den Bombenangriffen gedacht, der Bunker wird ein riesiges Massengrab, aber dann hat das Biest doch unser Leben gerettet.“
Diese Schrecken lassen sie auch über 80 Jahre später nicht los. Darum ist für sie ganz klar: „Die Würde des Menschen muss bewahrt werden. Das heißt auch, wachsam zu bleiben. Beispielsweise in Hinblick auf Trump und die Entwicklungen hin zur Oligarchie in den USA.“ Ihr Sohn Rainer stimmte zu: „Wir verfolgen das tägliche Weltgeschehen sehr genau und schauen zusammen die Nachrichten. Aber auch die Bundesligaspiele vom FC St. Pauli.“
Für die jungen Menschen hat Edith Stief unterdessen noch ein paar besondere Tipps auf Lager: „Bleibt gesund, achtet auf Eure Familie und geht mit offenen Augen durch die Welt. Kurzum: Konzentriert Euch auf das, was im Leben wirklich wichtig ist!“