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Konkurrent SteckdoseDarum steckt die Solarbranche im Kreis Euskirchen in der Krise

Lesezeit 8 Minuten
Auf einem Dach ist eine Photovoltaikanlage zu sehen.

PV-Anlagen auf Einfamilienhäusern sind längst keine Seltenheit mehr, doch in der Branche kriselt es.   

Es war nie so günstig, sich eine PV-Anlage aufs Dach bauen zu lassen. Es ist aber auch Luxus, weil schnell Kosten von 20.000 Euro entstehen.

Sebastian Pönsgen spricht von einer „Goldgräberstimmung, die die Branche teilweise kaputt gemacht hat“. Der Solar-Experte aus Marmagen spricht aus Erfahrung. Auch das Zülpicher Unternehmen Priogo ist dem harten Kampf in der Branche zum Opfer gefallen. Pönsgen gehörte dem Vorstand an, trieb über viele Jahre die Energiewende mit voran. Vor einem Monat hat Priogo Insolvenz angemeldet.

Nach Informationen dieser Zeitung belaufen sich die Verbindlichkeiten auf mehr als zehn Millionen Euro. „Unser größter Konkurrent war die Steckdose“, sagt Pönsgen: „Ich brauche ja keine PV-Anlage, um das Haus mit Strom zu versorgen.“

Photovoltaik-Anlage: Günstig wie nie, aber doch Luxus

Andere aus der Branche stimmen ihm zu. Gil Lima Sa, Geschäftsführer bei „Elektro Sa“ in Euskirchen, sagt: „Es war zwar noch nie so günstig, sich eine PV-Anlage aufs Dach bauen zu lassen, aber es ist auch weiterhin ein absoluter Luxus, den man nicht unbedingt braucht.“ Und auch aus Sicht des Energiedienstleisters e-regio mit Sitz in Kuchenheim ist beim Photovoltaik (PV)-Markt längst nicht mehr alles eitel Sonnenschein.

„Was Investitionen in PV-Anlagen betrifft, agieren Privatkunden aktuell zurückhaltender. Von Installationsbetrieben hören wir, dass die Nachfrage deutlich zurückgegangen ist“, sagt Ilona Schäfer, Pressesprecherin der e-regio. Ein Grund sei, dass es aktuell keine Förderung für die Installation mehr gebe. Schäfer: „Viele warten ab, wie es bei der Energiepolitik und den Förderprogrammen weitergeht.“

Priogo in Zülpich: Unternehmen gibt Fehler zu, Insolvenz war die Folge

Diese Zurückhaltung, dieses Abwarten habe man auch bei Priogo gespürt, berichtet Pönsgen. Beides sei letztlich aber nicht ausschlaggebend gewesen für die Zahlungsunfähigkeit des Standorts Zülpich (die Priogo-Tochtergesellschaften sind von der Insolvenz nicht betroffen). Man habe als Unternehmen viel falsch gemacht, gibt Pönsgen zu. Die Fehler bezeichnet er als „Wachstumsschmerzen“. Zu viel und das zu schnell habe man gewollt. „Wir sind einfach nicht mehr hinterhergekommen. Gesund sind wir nicht gewachsen“, so Pönsgen.

Aber auch der Politik mit ihren Förderprogrammen gibt er eine Teilschuld. „Wenn Förderprogramme kommen, investieren alle. Vorher und nachher aber nicht mehr. Das ist einfach nicht gesund für die Branche und führt zu Verwerfungen“, so Pönsgen. Dieses ständige Auf und Ab habe seinen Teil dazu beigetragen, dass der Markt nun so sei, wie er ist. Aus Sicht von Pönsgen ist er zerrüttet, teilweise kaputt.

Kritik an Politik: Solarbauern fehlt die Planungssicherheit

Die Priogo AG hatte sich laut Pönsgen bis zuletzt auf die Fahnen geschrieben, die Energiewende voranzutreiben. Mit seinem ganzheitlichen Energieberatungskonzept gewann das Unternehmen 2021 den „Rheinland-Genial-Preis“ für sein innovatives Geschäftsmodell. Unter anderem verbaute Priogo Photovoltaik-Anlagen auf der Kirche St. Peter in Zülpich oder dem Parkhaus an der Spiegelstraße in Euskirchen.

Im vergangenen Jahr sorgte das Unternehmen für Aufsehen, weil es unter anderem mithilfe einer großen Freiflächen-Photovoltaik-Anlage die Skihalle bei Neuss klimaneutral gestaltet hat. Kein Jahr später ist alles aus und vorbei. Pönsgen zufolge sind alle Mitarbeiter freigestellt, Projekte werden nicht aus eigener Kraft zu Ende geführt.

Alle paar Monate ändern sich die Rahmenbedingungen und wir müssen uns darauf immer wieder neu einstellen. Das geht an die Substanz.
Gil Lima Sa, Elektro-Experte

Elektro Sa in Euskirchen hat zwar viele Projekte, dafür vermisst Geschäftsführer Gil Lima Sa aber etwas anderes, etwas ganz entscheidendes: Planungssicherheit. „Alle paar Monate ändern sich die Rahmenbedingungen und wir müssen uns darauf immer wieder neu einstellen. Das geht an die Substanz“, sagt Lima Sa: „Die Hektik, die von der Politik reingebracht wird, verunsichert die Kunden enorm.“

Viele Kunden haben deshalb laut Lima Sa die Aufträge nicht storniert, sondern seien in eine Art Warteschleife übergegangen – zumindest, was eine mögliche PV-Anlage auf dem Dach eines Einfamilienhauses angeht. Bei der Umrüstung auf eine Wärmepumpe sei das anders. Da gebe es nach wie vor eine große Nachfrage – deshalb sei das Team verdoppelt worden. Auch durch Mitarbeiter, die zuvor bei Priogo gearbeitet haben, wie Lima Sa berichtet.

Kreis Euskirchen: Wartezeiten für PV-Anlagen sind deutlich gesunken

„Bei Photovoltaik hatten wir vor der Flut mal eine Vorlaufzeit von 14 Monaten, jetzt sind wir bei etwa vier Wochen.“ Das sei insofern schon verwunderlich, so Lima Sa, weil „es noch nie so günstig war, sich eine PV-Anlage zu installieren wie derzeit“. Aber es gebe eben ein großes Problem: die Verunsicherung der Kunden. Hinzu komme, dass bei einem Einfamilienhaus das PV-Komplettpaket bei etwa 20.000 Euro und mehr liege – eben der bereits von Lima Sa ins Feld geführte Luxus.

Dabei seien die Preise schon gesunken, weil ein enormer Preiskampf eingesetzt habe. „Den können und wollen wir mitunter nicht mitgehen“, so Lima Sa. Angeführt werde der Preiskampf von vielen kleineren Betrieben. „Mit der Energiekrise sind die Preise explodiert. In der Zeit sind extrem viele Zwei- oder Drei-Mann-Betriebe entstanden, die nun aber auch wieder verschwinden“, sagt Lima Sa: „Da sind Preise unterwegs, bei denen man sich fragt, wie das funktioniert. Das ist selbst über die reine Menge nicht wirtschaftlich.“

Bei Dachsanierungen wird die PV-Anlage bald Pflicht

Genau wie Priogo es getan hat, deckt auch Elektro Sa viele Komponenten der Energiewende ab. Das sei ein Vorteil, wenn es darum gehe, PV-Anlage, Wärmepumpe und eine denkbare Dachsanierung samt Elektromobilität zu kombinieren und aus einer Hand zu bekommen. „Wir machen die Erfahrung, dass die Menschen lieber einen Ansprechpartner haben als mehrere verschiedene Dienstleister“, so der Euskirchener.

Langweilig dürfte dem rund 50-köpfigen Team von Elektro Sa, aber auch den anderen Anbietern im Kreis Euskirchen, nicht werden. Ab 2025 gilt nämlich die Solarpflicht beim Neubau von Wohngebäuden und ab 2026 bei umfassenden Dachsanierungen. Es gelten Ausnahmen für Dächer, die kleiner als 50 Quadratmeter sind. „Dann werden die Preise automatisch wieder anziehen“, ist Lima Sa sicher. Aber: „Ich halte nichts davon, so etwas Menschen von oben aufzudrücken. Die Politik verpasst immer wieder, die Menschen mitzunehmen.“

Die Flächenakquise ist ein echter Kampf geworden.
Yannik Mießeler, F&S solar

Nicht nur die PV-Flächen auf Hausdächern sind umkämpft. Auch bei großflächigen Solarparks hat ein harter Preiskampf eingesetzt. „Es ist richtig, dass es aktuell für viele Projektierer darum geht, Flächen zu sichern, um dort in Zukunft Solar- oder auch Windparks zu errichten. Die Flächen sind umkämpft“, sagt Ilona Schäfer von der e-regio.

Yannik Mießeler ist bei F&S solar für den Unternehmensbereich „Solar und Energiewende“ verantwortlich. „Die Flächenakquise ist ein echter Kampf geworden. Teilweise gründen sich in ganz Deutland neue Unternehmen, um sich mit horrenden Preisen privilegierte Flächen zu sichern“, berichtet er: „Es gibt aber keinen Plan dahinter und nicht selten ist es nicht nachhaltig wirtschaftlich umsetzbar.“

Gute Konzepte sollen lukrative Angebote ausstechen

Das Euskirchener Unternehmen hat die Hoffnung, dass sich wieder gute Konzepte gegenüber lukrativen Angeboten durchsetzen. „Und der lokale Partner bevorzugt wird, weil er eben vor Ort ist“, ergänzt der langjährige F&S-Chef Georg Schmiedel.

Genau diese Erfahrung hat die e-regio nach Bekunden Ilona Schäfer gemacht. „Wir hören oft, dass es nicht nur ums Geld geht, sondern Flächeneigentümer auch gerne Partner haben, die auch für ihr Umfeld gut sind. Deshalb kommt es auf das Gesamtpaket und Vertrauen an“, sagt sie. Das Vertrauen fußt darauf, dass e-regio Wind- und Solarparks nicht baue, um sie weiterzuverkaufen.

Keinen Zweifel hat Sebastian Pönsgen daran, dass die Energiewende der richtige Weg ist. Daran ändere auch sein CDU-Parteibuch nichts. „Ich bin wohl der grünste Schwarze, den es gibt“, sagt er: „Ich bin beim Thema Energiewende nicht belehrbarer Überzeugungstäter. Ich glaube an die Sache von ganzem Herzen, weil es eine saubere Sache ist und wir etwas Gutes tun.“


Energieberatung des Kreises: Der große Druck ist aus dem Kessel

Nach der Flut kam der Energieberater des Kreises Euskirchen nicht mehr hinterher. Viele Bürger im Kreis Euskirchen wollten die Expertise des Kreises nutzen, wenn es um den Wiederaufbau ging – beispielsweise beim Wiederaufbau der Heizung auf eine Wärmepumpe umzustellen. Dann kam der Krieg in der Ukraine und wieder war die Nachfrage enorm.

Im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine und die Folgen der Energiekrise stiegen die Energiepreise enorm und viele trugen sich mit dem Gedanken, ihre Heizung umzustellen. „Das hat bei uns zu einer enormen Nachfrage nach Energieberatungsterminen geführt, so dass wir zeitweise Wartezeiten von zwei bis drei Monaten hatten“, erinnert sich Wolfgang Andres, Pressesprecher des Kreises. Die Bürger hatten viele Fragen – beispielsweise: Wie kann ich mein Haus energetisch sanieren? Ist die Investition in Photovoltaik oder Wärmepumpe sinnvoll? Wie kann ich mich unabhängiger machen von Gas und Öl?

Der Preisdruck sei groß gewesen, die Verunsicherung noch größer. Mittlerweile sei der ganz große Druck vom Kessel, berichtet Andres. Mittlerweile habe sich der Markt zudem wieder beruhigt, die Energiepreise sind gesunken. Andres: „Viele sehen keinen akuten Handlungsbedarf mehr, so dass der Run auf die Energieberatungstermine nachgelassen hat. In der Regel bekommt man im Moment in zwei Wochen einen Termin.“

Kurzfristig sei die Zurückhaltung zwar verständlich, aber mittel- und langfristig werde kein Weg an einer energetischen Sanierung der Gebäude vorbeiführen. „Daher können wir nur appellieren, einen Termin für die Energieberatung zu buchen. Die ist kostenlos und kurzfristig möglich, spart letztlich Geld und schont Umwelt und Natur“, so Andres.


Kampf um die Fachkräfte in der Solarbranche im vollen Gang

Beim Kampf um die Fachkräfte im Bereich Solarbau haben laut Sebastian Pönsgen, ehemaliger Chef von Priogo, Unternehmen in der freien Wirtschaft gegenüber Energieversorgern keine Chance. „Die können mit Gehältern und Urlaub um sich werfen, da hatten wir keine Chance. Wir haben gut ausgebildet, dann lockte das Geld und weg waren sie“, so Pönsgen.

Der Euskirchener Elektrotechniker Gil Lima Sa bildet ebenfalls aus. Zehn Azubis gibt es im Betrieb. Große Angst vor Abwerbungen habe er nicht, sagt er. Die e-regio ist nach eigenen Angaben jüngst um 50 Mitarbeitende gewachsen. „Wir suchen aktuell mehr als 20 Fachleute für Aufgaben rund um die Wärmeversorgung, Erneuerbare Energie oder die Digitalisierung der Netze. Das ist eine Herausforderung, aber wir sind bei der Suche erfolgreich“, sagt Sprecherin Ilona Schäfer.