„Nie wieder ist jetzt“ betrifft alle Generationen: In einigen Orten im Kreis Euskirchen engagierten sich Schüler bei den Gedenkveranstaltungen.
PogromnachtDas Gedenken im Kreis Euskirchen ist zugleich eine Mahnung
Stolpersteine in Gemünd wurden wieder eingesetzt
Gleich zwei außergewöhnliche Ereignisse standen im Zentrum des „Weges der Erinnerung“, zu dem sich knapp 100 Personen in Gemünd am Standort der in der Pogromnacht niedergebrannten Synagoge zusammenfanden. Zum einen wurde die Gedenktafel um ein Schild ergänzt, um strittige Formulierungen richtigzustellen, zum anderen wurden elf Stolpersteine, die in der Flut oder bei den folgenden Aufräumarbeiten beschädigt worden waren, neu eingesetzt.
Auf den zunehmenden Antisemitismus machte Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings aufmerksam. Dass der in der Bevölkerung noch vorhanden sei, sei bekannt gewesen. Doch gerade auch angesichts der Ausschreitungen in Amsterdam am Rande eines Fußballspiels vor wenigen Tagen werde deutlich, dass es auch islamischen Antisemitismus gebe. Das sei bisher noch nicht deutlich artikuliert worden.
Gedenken müsse immer wieder überarbeitet werden, sagte F.A. Heinen vom Arbeitskreis Gedenken, der an der Formulierung des Textes mitgearbeitet hatte, mit dem auf einem Hinweisschild die Inschrift des Mahnmals eingeordnet wird. Die Gesellschaft sei 1979, als das Schild aufgestellt worden sei, noch nicht sprachfähig gewesen. So hätten die jüdischen Mitbürger nicht „ihr Leben verloren“, sondern seien ermordet worden. Auch habe es bei der Aufstellung der Erinnerungstafel keine Zeremonie gegeben.
Von der Stiftung „Spuren Gunter Demnig“ und Spenden waren die elf durch die Flut beschädigten Stolpersteine finanziert worden. Einzelheiten über die Biografien der jüdischen Bürger Gemünds, an die durch die Steine erinnert wird, wurden im Gemeindehaus der Evangelischen Kirche verlesen. Zum Gedenken sang Sieglinde Schneider, begleitet von Werner Harzheim drei jiddische Lieder von Viktor Ullmann, der 1944 von den Nationalsozialisten ermordet worden war.
Schüler gestalten das Gedenken in Bad Münstereifel
In Bad Münstereifel fand die Veranstaltung zum Gedenken an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 in der evangelischen Kirche statt. Schüler und Schülerinnen der Sekundarstufe II des St.-Michael-Gymnasiums erinnerten an ihre Eindrücke von der Fahrt ins ehemalige Konzentrationslager im polnischen Auschwitz im Mai. Sie hatten ein gut zweistündiges Programm aus Musik, gelesenen Texten und einer Power-Point-Präsentation zusammengestellt.
Das Motto der Veranstaltung lautete „Nie wieder ist jetzt“. „Das ist eine große Forderung und eine, die nicht leicht mit Leben gefüllt werden kann“, so Florian Schiller. Johannes Ahrens und Maximilian Bauer widmeten sich in ihrem Beitrag der Bedeutung des 9. November 1938 für die heute lebende Generation. Sie zeigten auf, wie sich nationalsozialistischer Antisemitismus entwickelt hatte. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 wurden etwa 9000 Synagogen, jüdische Gebäude und Geschäfte von jüdischen Inhabern zerstört.
Elaha Alizada, Saphira Boldin und Lilly Müller von Blumencron erklärten die Motivation und Gründe für ihre Teilnahme an der Fahrt nach Auschwitz. Elisa Merks, Johanna Merks, Linda Peintinger und Marie Schüttenhelm zitierten aus Reflexionen nach dem Besuch der KZ-Gedenkstätte. In einem Film von Justus Lingscheidt wurde die Fahrt noch einmal zusammengefasst. Nuala Nini und Saskia Ballerstedt trugen Zeitzeugenberichte aus Auschwitz vor, die das Grauen des Lebens der im Konzentrationslager Inhaftierten eindringlich vermittelten.
„Lyrik aus Auschwitz“ und auch „Eine Perspektive auf die Täter“, vorgetragen von Florian Schiller, rundeten die gelungene Veranstaltung ab, die musikalisch vor allem von Lissy Heuwagen am Klavier gestaltet wurde.
Eindringliche Mahnungen im Casino in Euskirchen
„Heute noch erinnern – wozu?“ So lautete die Überschrift der Begrüßungsansprache von Karin Bossant, Schulleiterin der Kaplan-Kellermann-Realschule, die die Gedenkfeier am Vorabend des 9. November für die Stadt Euskirchen im Casino gestaltete. Die weiterführenden Schulen der Stadt wechseln sich mit der Ausrichtung des Programms ab.
Bossant mahnte eindringlich: „Die Zahlen und Fakten zur Pogromnacht und den folgenden Jahren der deutschen Geschichte müssen zum Bestandteil unseres Gedächtnisses werden, um so ein Zukunftsgedächtnis zu erarbeiten. Unfassbares muss fassbar sein.“ Am 10. November 1938 wurde die Synagoge an der Annaturmstraße zunächst verwüstet und danach von SS-Angehörigen in Brand gesteckt. Die Ruine wurde 1940 abgetragen.
Die Erinnerung auch an dieses Ereignis solle dabei nicht nur ein Ausdruck sein für die Trauer über das Leid und den Verlust, so Bossant. Vielmehr solle sie dem Gedenken der Opfer gewidmet sein und der Gefahr der Wiederholung entgegenwirken. Im Anschluss an ihre Worte hatten Schüler und Schülerinnen nicht nur der Kaplan-Kellermann- Realschule, sondern auch der Marienschule, des Emil-Fischer-Gymnasiums und der Geschwister-Graf-Gesamtschule Programmpunkte zum Gedenktag vorbereitet.
Nach der Veranstaltung im Casino ging es im Schweigemarsch zum Platz der ehemaligen Synagoge an der Annaturmstraße. Hier fand ein ökumenisches Gebet statt.
Die Namen der Ermordeten wurden in Weilerswist verlesen
Graue Wolken zogen sich über Weilerswist zusammen, die auch sinnbildlich für die Gemütsverfassung der Besucher im Hochzeitsgarten nahe dem Rathaus hätten stehen können. Rund drei Dutzend Menschen waren zur Gedenkfeier gekommen, um in stiller Anteilnahme der Opfer des NS-Regimes und ihren Familien zu gedenken.
Betont las Bürgermeisterin Anna-Katharina Horst die Namen all jener Mitbürger vor, die in der Zeit zwischen 1941 und 1945 in Weilerswist und Lommersum deportiert und ermordet wurden. Sie fügte auch das Alter der Verstorbenen hinzu, um zu betonen, dass die Verbrecher bei ihren Gräueltaten nicht einmal vor fünfjährigen Kindern Halt machten.
„Seit 1933 wurden Juden, andere gesellschaftliche Minderheiten, Menschen mit Behinderungen, Menschen eben, die einem willkürlich festgelegten Idealbild nicht entsprachen oder dieses hinterfragten, in Deutschland in einer sich steigernden Folge diskriminiert, diffamiert und ausgegrenzt“, betonte Horst. Eine kaum in Worte zu fassende Folge aus Angst und Intoleranz gegenüber dem Anderssein, die sich niemals wiederholen dürfe und daher immer wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden müsse.
„Welche Rolle haben wir als mündige Bürger in einer Demokratie?“, wandte sich die Bürgermeisterin an die Zuhörer. „Entschlossenheit und Mut sind gefordert. Mutig für seine Werte einzutreten und zu handeln, heißt, die Komfortzone zu verlassen und auch Nachteile für die eigene Person in Kauf zu nehmen.“
Dass dies in jüngster Vergangenheit funktioniert habe, zeigte Horst mit Blick auf die Flutkatastrophe 2021: „Dass wir über uns hinauswachsen können, haben wir damals bewiesen. In der Nacht der Flut und den Tagen und Wochen danach erlebten wir eine Hilfsbereitschaft bis zur völligen Erschöpfung.“ Religion, Alter, Hautfarbe und Herkunft seien in dieser Zeit unbedeutend geworden. Das wünscht sie sich auch in anderen Lebensbereichen: „Nehmen wir dieses Gefühl des friedlichen Miteinanders mit in den Alltag. Das macht uns stark für Krisen, Katastrophen und für unsere Demokratie.“
Mechernicher erinnerten an die Schicksale der deportierten Familien
Auf die Spuren der jüdischen Mitbürger in der Stadt Mechernich begab sich der Gedenkgang für die Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft. Rund 100 Teilnehmer versammelten sich vor den Wohnhäuser des Bäckermeisters Andreas Girkens und der Familie David in der Bahnstraße, vor denen vor wenigen Wochen Stolpersteine verlegt worden waren, um an ihre Ermordung durch die Nationalsozialisten zu erinnern.
Seit 25 Jahren gebe es den Gedenkgang, erinnerte Franz-Josef Kremer. Von Anfang an sei die Veranstaltung in Kooperation mit den christlichen Kirchen und den weiterführenden Schulen gestaltet worden. Die Gesamtschüler gestalteten den Anfang und erinnerten an die Schicksale der befreundeten Familien während der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten.
Vor dem Mahnmal am Standort der ehemaligen Synagoge an der Straße „An der Linde“ erinnerte Kremer an das Schicksal der Familie Herz. Auch vor deren Wohnhaus in der Heerstraße waren im Oktober Stolpersteine verlegt worden, doch bislang hat keine Zeremonie stattgefunden. Auch an diesem Tag sei das nicht möglich, so Kremer, da die Heerstraße Bundesstraße und der Bürgersteig sehr eng sei.
Auf dem Brunnenplatz präsentierten Schüler des Gymnasiums Am Turmhof (GAT) eine Station, die sie dem Thema „Würde“ gewidmet hatten. Anschließend setzte sich der Gedenkgang in das Dietrich-Bonhoeffer-Haus fort. Hier wurde an die Barmer Erklärung erinnert, in der sich evangelische Christen von der Ideologie der Nationalsozialisten distanziert haben.