Viele wussten nach der Flut im Kreis Euskirchen nichts von den psychologischen Hilfsangeboten. Daran muss gearbeitet werden.
StudieViele im Kreis Euskirchen nutzten nach der Flut nicht ihr „Recht auf die helfende Hand“

Viel Hilfe haben die Menschen im Kreis Euskirchen nach der Flutkatastrophe erfahren. Doch nicht allen waren etwa die psychologischen Hilfsangebote bekannt.
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Viele der Befragten wussten gar nicht, dass es infolge der Flutkatastrophe 2021 eine Psychosoziale Notfallversorgung gab. Das haben die Wissenschaftlerin Francesca Müller (Uni Wuppertal) und ihr Team festgestellt. Sie haben 38 Menschen befragt, 2400 Bürger hatten sich zuvor an einer offenen Online-Umfrage beteiligt.
Auch ihre Erkenntnisse fanden nun Eingang in die Studie „FLUTPerspektive PSNV“, gefördert vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Es waren Interviews darunter, „die mir auch sehr schwerfielen“, so die Wissenschaftlerin.
Forscherin: Hilfsangebot muss bekannter gemacht werden
Angebot bekannt machenDas alleine zeigt, wie wichtig psychologische Betreuung in einer solchen Situation ist. „Wie können wir die Bekanntheit der PSNV weiter erhöhen und langfristig die Zufriedenheit der Menschen steigern?“, nannte Müller eine der Fragen, deren Beantwortung zur einer Verbesserung für künftige Ereignisse führen soll. Denn das war der Sinn der Tagung zum Thema Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) am Dienstag in Euskirchen.
Bei der Vermittlung des Angebots spielen laut Müller die Sozialen Netzwerke eine zunehmend wichtige Rolle. Wichtig seien auch die Uhrzeiten, in denen die Helfer vor Ort sind. Zwischen 9 und 16 Uhr etwa waren die Menschen mit den Aufräumarbeiten zugange oder erstmal mit der Begutachtung der Schäden.
Es ist schon sehr viel gut gelaufen.
„In den Interviews wurde uns oft gesagt, dass abends, wenn man die Sachen Revue passieren lässt, die Momente sind, in denen einer von der PSNV da sein müsste“, erklärte Müller. Ihr zufolge war es aber gut, dass die Helfer vor Ort waren.
„Es ist schon sehr viel gut gelaufen“, sagt sie. Man müsse aber wissen, dass die überregionale Aufmerksamkeit infolge von Katastrophen nach einiger Zeit nachlasse: „Drei Monate nach dem Ereignis, hatten uns viele Leute gesagt, hätten sie gerne ein Gespräch geführt. Da waren dann nicht mehr so viele Helfer da.“
Helfer nämlich, die etwa bei drängenden Fragen hätten unterstützen können: Woran erkenne ich, dass ich Hilfe brauche? Bin ich krank, oder ist das eine normale Reaktion? „Wir haben auch festgestellt, dass sich viele Leute mit anderen vergleichen“, so Müller.
Die Sorge, anderen ein Hilfsangebot wegzunehmen, den es schlimmer erwischt habe, sei verbreitet gewesen. „Das ist fatal, wenn sich das in der Bevölkerung verbreitet“, so die Wissenschaftlerin. Es gebe nun mal Menschen, die mehr belastbar sind als andere. Letztlich habe jeder, den die Situation beansprucht, das Recht auf eine helfende Hand.
Fokus aufs Ahrtal belastet viele Menschen im Kreis Euskirchen
Sogar das folgenschwere Lachen des damaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet wird in vielen überregionalen Medien immer noch ins Ahrtal „verlegt“, obwohl es im Rhein-Erft-Kreis geschehen ist.
Dass überregional im Zusammenhang mit der Katastrophe oft von der „Flut im Ahrtal“ gesprochen wird, treffe viele Menschen im Kreis Euskirchen, die sie für ihre Studie interviewt habe, emotional, berichtet die Wissenschaftlerin Francesca Müller.
„Medial wurde über den Kreis Euskirchen überregional fast am wenigsten berichtet“, so Müller. Das belaste viele Menschen, „weil die öffentliche Anerkennung des Leides nicht vorhanden war“.
Einsatzkräfte leiden am meisten, wenn sie nicht helfen können
„Die Hilflosigkeit war das Schlimmste. Wir hatten unzählige Einsätze, in denen Menschenleben in Gefahr waren, aber das Wasser machte es unmöglich, die Einsatzorte zu erreichen. Diese Ohnmacht ist für einen das Schlimmste, was passieren kann.“
Das sind die Worte, die eine Einsatzkraft dem Team um den Professor für Psychologisches Krisenmanagement, Harald Karutz, für die Studie „Dokumentation und Auswertung des Psychologischen Krisenmanagements nach der Flutkatastrophe 2021 im Schleidener Tal“ in einem Interview sagte. Und dies werden die allermeisten unterschreiben, die in der Flutnacht im Einsatz waren.

Rainer Brück hatte mit seiner Kollegin Silke Toennes die Tagung organisiert.
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Rund 5000 Einsatzkräfte gibt es Rainer Brück zufolge im Kreis Euskirchen. Der Koordinator für die Notarzteinsatzfahrzeuge und Sondereinsatzdienste in der Gefahrenabwehr des Kreises hatte die Tagung „Psychosoziale Notfallversorgung – Vernetzen – Verbessern – Vorangehen“ mit seiner Kollegin Silke Toennes organisiert. „Wir waren ganz gut aufgestellt, aber es gibt immer etwas, was besser werden kann“, erinnert sich Brück an die Flut.
In den Tagen nach der Flut hat Brück die PSNV-E geleitet. Das „E“ steht für Einsatzkräfte, zur Unterscheidung von PSNV-B für Betroffene. Denn es gibt Unterschiede.„Einsatzkräfte ticken anders“, sagt Brück: „Oft kommt man von schweren Verkehrsunfällen und wird darauf angesprochen, dass das für einen schlimm gewesen sein muss. Aber darauf sind wir vorbereitet.“
Einsatzkräfte ticken anders.
Das Gefühl jedoch, dass man nicht helfen kann, weil man an einen Patienten nicht herankommt, sei für eine Einsatzkraft schwer zu verdauen. Während der Flut habe es viele dieser Momente der Hilflosigkeit gegeben – auch in der Leitstelle in Euskirchen, wo Tausende von Anrufen eingingen, aber man nicht weiterhelfen konnte, weil bereits alle Rettungsfahrzeuge im Einsatz waren. 700 Einsatzkräfte haben sich Brück zufolge nach der Flut von der PSNV-E helfen lassen – einige bis zu zwölf Monate lang.
Mit dem Verlauf der Tagung zeigte sich Brück sehr zufrieden – „und das nicht nur, weil wir ein ausverkauftes Haus hatten“. Wichtig sei, dass alle betreffenden Institutionen dabei waren: Hilfsorganisatoren, Beratungsstellen und karitative Einrichtungen. „Das ist ja das Netzwerk, das seit der Flut noch enger zusammenarbeitet“, so Brück.
Wie wichtig diese Vernetzung ist, machte Andrea Esser deutlich. Sie ist die stellvertretende Leiterin des Kriseninterventionsdienstes des DRK. Dessen Aufgabe ist es unter anderem, Menschen zu betreuen, deren Leben von jetzt auf gleich durch einen Schicksalsschlag, einen Unfall, den plötzlichen Verlust eines geliebten Menschen eine Wendung genommen hat.
„Wir wollen ihnen Wege bereiten, damit sie nicht alleine sind“, so Esser. Es gebe aber auch Menschen, die kein soziales Umfeld hätten. Vor allem dann sei es wichtig, sie an andere Einrichtungen weiterleiten zu können: „Es braucht einen gewissen Druck, dass sich jemand aufrafft, Hilfe anzunehmen. Dann aber sind die Leute sehr dankbar, dass ihnen jemand eine Hand reicht und zuhört.“