Fachkräftemangel ist kein Zukunftsthema mehr, sondern Gegenwart. Der Kreis Euskirchen will mit einem „Karriereportal“ an den Start gehen.
FachkräftemangelExperte richtet klare Worte an die Unternehmer im Kreis Euskirchen
1964 wurden in den beiden deutschen Staaten insgesamt 1,36 Millionen Babys geboren. Sie gehen rein rentenrechtlich 2031 in den Ruhestand. 2013 erblickten in der wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland 662 685 Neugeborene das Licht der Welt. Sie dürften um das Jahr 2031 herum in ihr Berufsleben starten. Das heißt: Etwa zweimal so viele scheiden aus, als Neueinsteiger zur Verfügung stehen. Das können weder Digitalisierung noch KI auffangen. Mehr muss man eigentlich nicht wissen, wenn es um Fachkräftemangel geht.
Doch der Politikberater Dr. Winfried Kösters weiß noch einiges mehr dazu zu sagen. Und das tat er am Dienstag beim Demografieforum 2023 des Kreises Euskirchen in der Alten Tuchfabrik in Euskirchen. Etwa, dass zwar noch nie so viele Menschen in der Bundesrepublik lebten wie Ende 2022 – nämlich 84,3 Millionen.
Dass aber auch noch nie mehr Menschen, die über 60 Jahre als sind, hier lebten als Menschen unter 20 Jahren. Ruhestand? Ja, klar. „Aber wer bringt den Ruheständlern den Cappuccino an den Tisch?“, fragte Kösters. Seit 2008 begleitet der Experte den Demografieprozess im Kreis Euskirchen. Da schon habe er gesagt, dass bald der Arbeitnehmer entscheidet und nicht der Arbeitgeber.
2008 war das noch alles Zukunftsmusik, nun aber ist es Gegenwart – und zwar in allen Bereichen. Gesucht werden Ärzte, Lehrer, Erzieherinnen, Mitarbeiter für Gastronomie, Verwaltungen, Logistik und, und, und ...
Firmen im Kreis Euskirchen zeigen unterschiedliches Engagement
Der Kreis tue schon einiges, erläuterte Achim Blindert, der Allgemeine Vertreter von Landrat Markus Ramers, der krankheitsbedingt absagen musste, im Gespräch im Kösters. So würden die beiden Berufskollegs in Euskirchen und Kall nach der Flut wieder aufgebaut und auf den neuesten Stand gebracht.
Das Berufsbildungszentrum in Euenheim werde fit gemacht, damit es wiederum junge Handwerkerinnen und Handwerker fit für den Arbeitsmarkt machen könne. Blindert sprach die Integrationsbemühungen des Kreises an und nicht zuletzt das Recruiting-Programm, mit dem (künftige) Pflegekräfte in Indien dazu bewegt werden sollen, in den Kreis Euskirchen zu kommen. „Wir sind da auf einem guten Weg“, so Blindert.
Und die Wirtschaft im Kreis? Es sei wie immer, sagt eine Expertin am Rande der Veranstaltung im Gespräch mit dieser Zeitung: Einige Unternehmen gingen mit guten Beispielen voran – und dabei gehe es nicht nur um die Vier-Tage-Woche, sondern auch um Weiterqualifizierungen und den Themenbereich Familie und Beruf. Andere wiederum scheuten sich davor, neue Wege einzuschlagen.
Dabei ist das laut Kösters notwendiger denn je: „Die Zukunft ist nicht die Verlängerung der Vergangenheit.“ Bisherige Antworten, Instrumente und Formate taugten nur noch bedingt.
Ohne Veränderung geht es nicht
Es gehe heute weiniger um das Abschlusszeugnis als darum, die Menschen mit den Talenten zu finden, die gebraucht würden und die dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehen: etwa die Älteren, die sich gerne noch einbringen möchten, oder den zahlenmäßig gar nicht so kleinen Teil von Bürgerinnen und Bürger, die weder arbeiten noch arbeitslos gemeldet sind, aber dennoch, etwa mit Ersparnissen, über die Runden kommen.
„Lösungen gibt es, aber nicht ohne Veränderung oder zu deren Bereitschaft“, sagte Kösters und schlug unter anderem eine bessere Vernetzung der Arbeitgeber vor, in der sie sich gegenseitig über Bewerberinnen und Bewerber informieren, die zwar gerade nicht in ihren Betrieb passten, aber dennoch einen guten Eindruck gemacht hätten. „Gründen Sie einen Fachkräftepool im Kreis Euskirchen“, schlug der Experte vor.
Landrat Markus Ramers will Karriereportal online stellen
Etwas Ähnliches sei bereits in Vorbereitung, verriet die Handlungsfeldkümmerin für Wirtschaft und Arbeit innerhalb der Demografie-Initiative des Kreises, Laura Meyer: „Wir möchten Anfang des kommenden Jahres ein kostenloses Karriereportal für alle Unternehmen im Kreis online stellen.“ Dies sei ein Teil der Fachkräfteoffensive von Landrat Markus Ramers.
Jede Firma könne dort ihre offenen Stellen einstellen, egal ob es um einen Praktikumsplatz, eine Ausbildung oder die Suche nach einer studentischen Hilfskraft gehe. „Das wird dann auch über andere Jobbörsen bespielt wie beispielsweise Google-Jobs, Xing oder Indeed“, erläuterte Meyer das Vorhaben.