Der Fachkräftemangel ist da: Unternehmen im Kreis Euskirchen haben es schwerer, Auszubildende zu finden. Die Sorgen der Chefs nehmen zu.
FachkräftemangelInzwischen bewerben sich im Kreis Euskirchen die Firmen bei den Azubis
So lange ist es noch gar nicht her, dass junge Menschen im Zehnerpack die Briefumschläge mit Bewerbungen für eine Ausbildungsstelle in die Briefkästen warfen – und wenig später frustriert die Absagen auf den Stapel mit den anderen Absagen legten. Für David Galkin ist es allerdings dann doch viel zu lange her, als dass er sich das vorstellen könnte.
Der 18-jährige Großbüllesheimer hat Anfang August eine Ausbildung bei Bedachungen Vohsen in Euskirchen begonnen. Wer sich allerdings bei wem beworben hat, er sich bei der Firma oder die Firma sich bei ihm, ist nicht mehr eindeutig zu klären. „Wir bewerben uns immer mehr bei den Azubis“, stellt jedenfalls sein Chef, Dirk Schindler, Geschäftsführer der Vohsen GmbH, fest.
Auch mit der Probezeit sei das inzwischen so eine Sache: Zuweilen müssten die Unternehmen sie überstehen, ohne dass die Azubis vorzeitig die Segel streichen und woanders ihr Glück suchen. David Galkin etwa hatte es zunächst im Einzelhandel versucht, merkte dann aber schnell, dass es nicht so passte. Nun deckt er Dächer und ist nach eigenem Bekunden glücklich damit. „Der Beruf ist sehr abwechslungsreich“, sagt er: „Jedes Dach ist anders.“
Die Zeiten haben sich geändert. „Wir haben einen Bewerberinnen- und Bewerbermarkt“, stellt Anja Daub, Geschäftsführerin operativ der Agentur für Arbeit in Brühl (auch für den Kreis Euskirchen zuständig), fest.
In Zeiten des Fachkräftemangels müssen Arbeitgeber immer mehr um die Arbeitnehmer buhlen. Der Arbeitsmarkt sei eine „Katastrophe“, so Firmenchef Schindler. 18 Mitarbeiter beschäftigt er, 5 oder 6 würden in den kommenden Jahren, teilweise von der Arbeit körperlich angeschlagen, in den Ruhestand gehen. Nachwuchs zu finden, sei hingegen schwierig. Wer die Homepage der Firma aufruft, sieht als Erstes ein Banner: „Dichtes Dach – Aber undichter Job? Wir regeln die Lecks. Jetzt bewerben“
Chefs im Kreis Euskirchen buhlen um Azubis auch in den Sozialen Medien
Zuweilen sitze er abends auf dem Sofa und versuche einen Aufruf in den Sozialen Netzwerken zu posten – Zielgruppenorientierung nennt man das. Doch als Handwerker gehöre das natürlich nicht zu seinen Kernkompetenzen, gesteht Schindler. Mit einer fachlichen Ausbildung, einem angenehmen Arbeitsklima, etwa mit dem Kicker im Aufenthaltsraum oder gelegentlichen Grillfesten mit der Belegschaft, kenne er sich definitiv besser aus, so Schindler.
Geradezu prototypisch sei das, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Arbeitsagentur in Brühl, Ralf Holtkötter: „Etwa 20 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit einer dualen Ausbildung im Kreis Euskirchen werden innerhalb der kommenden zehn Jahre das Rentenalter erreichen.“ Zeitgleich werde aber die Zahl der jungen Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, zusehends kleiner.
Der Ausbildungsmarkt im Kreis Euskirchen sei noch vergleichsweise stabil, so Holtkötter. Aber auch hier sei die Zahl der Bewerber und Bewerberinnen am Ausbildungsmarkt leicht gesunken, die Zahl der gemeldeten Stellen hingegen gestiegen.
Von Oktober 2022 bis September 2023 meldeten sich laut Arbeitsagentur 930 Bewerberinnen und Bewerber aus dem Kreis Euskirchen für eine Ausbildungsstelle bei der Arbeitsagentur Brühl. Das sind 16 weniger als im Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig wurden bisher 820 betriebliche Ausbildungsstellen gemeldet, 39 mehr als vor einem Jahr.
Firmenleitungen besorgt: Weniger Bewerber bei mehr offenen Stellen
Rund 85 Prozent der bei der Agentur gemeldeten betrieblichen Ausbildungsstellen konnten in diesem Jahr mit passenden Bewerbern besetzt werden, 444 der 930 jungen Bewerberinnen und Bewerber aus dem Kreis Euskirchen begannen im Berichtsjahr eine ungeförderte betriebliche Ausbildung. Insgesamt 134 junge Menschen haben sich demnach für eine weiterführende Schule, Studium oder ein Praktikum entschieden. 62 nahmen von einer Berufsausbildung Abstand und begannen eine Erwerbstätigkeit.
Dass 100 Bewerber – und damit 45 mehr als 2022 – bislang leer ausgingen, aber 69 Azubi-Stellen nicht besetzt wurden (21 weniger), erklärt Ausbildungsmarktexpertin Anja Daub so: „Leider decken sich die Erwartungen und Anforderungen der Betriebe auf der einen und die Wunschvorstellungen der Jugendlichen auf der anderen Seite sehr oft nicht, sodass der rechnerisch einfache Ausgleich leider nicht funktioniert.“ Im ländlichen Bereich komme noch die schwierige verkehrliche Erreichbarkeit hinzu.
Handwerk braucht ein besseres Image – auch bei den Gymnasiasten
Gute Zeiten für die heiß umworbenen Jugendlichen. Auch die Zeugnisnoten spielen längst nicht mehr die Rolle wie früher. „Bei den Betrieben sind die Ansprüche extrem zurückgegangen“, erläutert Waltraud Gräfen von der Industrie- und Handelskammer Aachen.
Außerdem sei die Entscheidung nach der Schule keine mehr fürs ganze Leben, erklären die Experten, die immer noch Vorbehalte bei den Eltern ausmachen, was Handwerksberufe angeht. Zuweilen auch bei Lehrkräften, wie Waltraud Gräfen berichtet. Es habe sich offenkundig noch nicht ausreichend herumgesprochen, dass Handwerk nicht immer schmutzig und anstrengend sein muss. „Das ist zu großen Teilen Hightech“, berichtet Holtkötter von seinen Besuchen in den Betrieben.
Außerdem biete das Handwerk eine vergleichsweise hohe berufliche Sicherheit. Moderne Technik erleichtere zwar die Arbeit, aber den Menschen im Handwerk könne sie noch nicht ersetzen. Es dauert wohl noch etwas, bis eine Künstliche Intelligenz (KI) reihenweise Dächer deckt, Haare schneidet oder Brötchen backt. Bei Bürojobs dürfte es hingegen schneller gehen, dass der Mensch durch „Kollegin KI“ ersetzt wird.
Außerdem: Wer soll denn künftig die Klimawende zusammenschrauben, wenn nicht handwerklich gut ausgebildete Leute wie David Galkin? Sein Chef macht sich auch Sorgen um die Fachkenntnisse. An wen sollen die älteren Kollegen sie denn weitergeben, wenn es keinen Nachwuchs gibt? Laufe es weiterhin so gut mit ihm, lobt Dirk Schindler seinen Azubi David Galkin, könne er nach seiner Ausbildung gerne im Unternehmen bleiben. So viel also zu der Frage, wer sich hier bei wem bewirbt.
Noch keine Ausbildungsstelle? Es gibt immer noch Möglichkeiten
Auch wenn es mit der Lehrstelle noch nicht geklappt hat – es gibt Möglichkeiten, auch nach dem offiziellen Start des Ausbildungsjahres. Darauf weist die Agentur für Arbeit in Brühl hin, die auch für den Kreis Euskirchen zuständig ist. So gebe es die Berufsvorbereitenden Maßnahmen (BvB), eine Einstiegsqualifizierung (EQ), Assistierte Ausbildung (AsA) oder Außerbetriebliche Berufsausbildung (BaE).
„Wir lassen die Jugendlichen und auch die Ausbilderinnen und Ausbilder nicht allein“, wirbt die Geschäftsführerin operativ der Arbeitsagentur in Brühl, Anja Daub, für die Angebote. Es gebe seit Jahren erfolgreiche Angebote wie die Assistierte Ausbildung oder die Nachhilfe für Azubis. Oder auch das begleitende Coaching. Es gebe viele Möglichkeiten der Unterstützung für junge Menschen, aber auch für Betriebe, so Daub.
Mit der EQ könne der Brückenschlag in die Berufsausbildung gelingen. Diese Langzeitpraktika richten sich an unvermittelte Bewerber. Ein Großteil der Jugendlichen wechselten nach einer EQ in eine betriebliche Ausbildung oder sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Die Agentur biete zudem weitere Alternativen zum direkten Ausbildungseinstieg an. So können Jugendliche zunächst an einer Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilnehmen, die durch die Berufsberatung finanziert wird.
In diesen Berufen gibt es noch Azubi-Stellen im Kreis Euskirchen
In diesen Berufen gibt es aktuell noch offene Ausbildungsstellen im Kreis Euskirchen: Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r (11 Stellen), Medizinische/r Fachangestellte/r (10), Handelsfachwirt/in (6), Fachwirt-Vertrieb (5), Anlagenmechaniker Sanitär/Heizung (4), Bankkaufmann/frau (4), Dachdecker/in (3), Kaufmann/frau (3).
Kontakt für Jugendliche, die eine Ausbildungsstelle suchen, können sich hier melden: 022 51 79 79 79 oder per Mail.
Kontakt für Arbeitgeber, die eine Ausbildungsstelle anbieten möchten: 0800 4 55 55 20 oder per E-Mail.
Bürojobs sind bei den jungen Leuten immer noch gut im Rennen
930 Bewerbungen gab's für das Ausbildungsjahr. Mit 66 steht die Sparte Kaufmann/frau -Büromanagement oben auf der Wunschliste. Es folgen: Kfz-Mechatroniker (46), Verkäufer/in (43) Kaufmann/frau Einzelhandel (41), Medizinische/r Fachangestellte/r (32).
820 Azubistellen wurden im Kreis angeboten, die meisten für die Berufe Verkäufer/in (76), Kaufmann/frau im Einzelhandel (52), Kaufmann/frau (41), Fachkraft-Lagerlogistik (35), Medizinische/r Fachangestellte/r (32). 100 Bewerber waren Ende September nicht versorgt (45 oder 81,8 Prozent mehr als im Vorjahr), 69 Stellen blieben unbesetzt (-21, -23,2 Prozent).