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Nach FlutkatastrophePalmersheimer hoffen auf verbesserte Krisenkommunikation

Lesezeit 5 Minuten

Der Damm der Steinbachtalsperre hielt die Menschen in Atem. Ministerpräsident Armin Laschet verschaffte sich einen Überblick:

Euskirchen-Palmersheim – 19 Stunden Angst – Christian Behrens wird und will den 14. und 15. Juli nicht vergessen. „Wir haben uns am Donnerstag gegen 15 Uhr selbst evakuiert. Wir hatten Angst“, sagt der Palmersheimer. Er habe an diesem Tag, etwa 24 Stunden, nachdem der Regen immer stärker wurde, keine Sekunde länger in der Ungewissheit, ob der Damm der Steinbachtalsperre gebrochen sei, in seinem Haus bleiben wollen. Das Gerücht des Dammbruchs verbreitete sich am Donnerstag, 15. Juli, wie ein Lauffeuer – von Haus zu Haus, von Straße zu Straße.

Als es bei den Eheleuten Behrens an der Brunhildestraße ankam, setzten die sich ins Auto und fuhren los. „Meine Frau arbeitet in Bonn. Sie hatte erfahren, dass es dort sicher ist“, erinnert sich der Palmersheimer. Wie er mit seiner Frau letztlich in die Bundesstadt gekommen ist, weiß er nicht mehr. Er sei zunächst in Richtung Weilerswist gefahren. Anschließend sei die Fahrt zur Odyssee geworden. Gesperrte Straßen hier, Umleitungen dort.

Der Damm der Steinbach wird derzeit saniert.

Auch die Nachbarn und andere Palmersheimer evakuierten sich selbst. Am Mittwochabend sei das nicht mehr möglich gewesen, weil die Straßen nicht passierbar waren. Am Donnerstag sei man aber problemlos nach Palmersheim gekommen. „Da hätte ich mir Informationen gewünscht, zumal die Feuerwehr am Mittwoch gegen 21 Uhr bereits getwittert hat, dass Schweinheim und Flamersheim evakuiert werden. Wenn auch ohne Zeitangabe“, so Behrens.

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„Wie die Teenager“

An verlässliche Informationen zu kommen, war in den Stunden und Tagen nach dem Hochwasser in vielen Bereichen schwierig. Das Telefonnetz war ausgefallen – sowohl Festnetz als auch Mobilfunk. „Warum ist am Donnerstag nicht mal einer durch Palmersheim gefahren und hat via Lautsprecher Durchsagen zur Situation gemacht“, fragt sich Behrens: „Wir sind wie die Teenager durch die Straßen gelaufen, haben das Handy in die Luft gestreckt, in der Hoffnung Empfang zu haben.“

Er, so Behrens, hätte einen Mitarbeiter der Kreisverwaltung in ein Auto gesetzt und ihn soweit fahren lassen, bis er ein Netz gefunden hätte, um einen Post abzusetzen. „Dann wäre er zurückgekommen, hätte die neuesten Infos aufgeschrieben und wäre wieder los“, sagt der Palmersheimer. Einfach nichts zu veröffentlichen, sei falsch gewesen – auch wenn diejenigen, die auf die Infos angewiesen seien, vielleicht kein Netz hatten. „Meldewege aufzubauen, ist in solchen Situationen das A und O“, berichtet Behrens, der die Feuerwehr ausdrücklich in Schutz nimmt: „Sie haben ihr möglichstes getan und hatten ja auch keine anderen Infos.“

Kein Szenario für einen Dammbruch

Der Euskirchener Energieversorger e-regio ist Betreiber der Steinbachtalsperre. Ein Szenario, das einen Dammbruch zumindest in der Theorie beinhaltet, gibt es nach Unternehmensangaben nicht. Der Grund: Die Steinbachtalsperre ist auf ein Extremhochwasser ausgelegt, was statistisch alle 10 000 Jahre eintritt. Eine extremere Situation sei selbst in der Talsperrennorm, DIN 19700, nicht vorgesehen. Nach der DIN 19700 sind in Deutschland alle Stauanlagen auszulegen – also auch die Steinbachtalsperre. „Dieses Sicherheitsmerkmal wird und wurde auch an der Steinbachtalsperre erfüllt“, sagt Simone Leimbach, Unternehmenssprecherin der e-regio.

Am 14. Juli sei ein Starkregenereignis aufgetreten, dessen Folgen nach bisherigem menschlichem Ermessen nicht abzuschätzen gewesen seien, sagt Leimbach.Der Erftverband sprach im jüngsten Euskirchener Ausschuss sogar davon, dass es statistisch mehr als ein 10 000-jährliches Hochwasser gewesen sei. In der Fachwelt herrsche derzeit eine intensive Diskussion darüber, künftig auch solche Risikobetrachtungen einzubeziehen. Dabei werden Abflusssimulationen durchgeführt, bei denen die Überschwemmungsflächen mit den zugehörigen Wasserständen und den gegebenenfalls auftretenden Strömungsgeschwindigkeiten ermittelt werden. Es sei also nicht auszuschließen, dass solche Berechnungen erstellt würden. (tom)

Was ihn fuchse, so Behrens, sei die Tatsache, dass am 14. Juli gegen 18.10 Uhr abzusehen gewesen sei, dass der Damm überlaufen werde. Dennoch sei „gefühlt nichts passiert“. Dass ein Erddamm dem Wasserdruck nachgeben könnte, sei in einer solchen Situation zu erwarten.

Ein Post von der Bezirksregierung

Und dann war da plötzlich doch ein Post. Einer von der Bezirksregierung. Einer, der am 17. Juli auf dem Sozialen Netzwerk Facebook veröffentlicht wurde und nicht zur Beruhigung der Lage beitrug. „Große Teile des Dammes sind durch die Überströmung weggebrochen“, schrieb die Bezirksregierung, die als Talsperrenaufsicht fungiert, drei Tage nach dem Hochwasser. Die Formulierung bezog sich wahrscheinlich auf die großen Geröllmassen, die sich auf der sogenannten Lichtseite des Damms gelöst und den Grundablass verschüttet hatten.

„Für solche Spitzfindigkeiten hat man keine Nerven, wenn man evakuiert ist und sich Gedanken um sein Hab und Gut macht“, sagt eine Palmersheimerin, die in der Evakuierungsstelle in der Weilerswister Erft-Swist-Halle bange Stunden verlebte. Andere Bewohner wurden nach Dom-Esch, Kuchenheim und die Kaplan-Kellermann-Schule gebracht und teilweise bis zu fünf Tage von den Einsatzkräften versorgt. Wenn sie lese, dass große Teile weggebrochen seien, dann beziehe sie das auf den eigentlichen Damm, sagt die Palmersheimerin. In den Gesprächen seien immer wieder zwei Zahlen gefallen: fünf und sechs Meter. So hoch könne die Flutwelle werden, wenn der Damm der Talsperre tatsächlich brechen sollte. Werte, die die e-regio nicht bestätigen kann, da es keine Simulation gebe, die ein solches Szenario berücksichtige (siehe „Kein Szenario für einen Dammbruch“).

Mit dem schlimmstmöglichen Fall befassen

Für Behrens ein Unding. „Wenn ich Chef von einem Unternehmen bin, egal welches, beschäftigte ich mich immer mit dem schlimmsten Fall, der theoretisch eintreten kann“, sagt er. Dass man Menschen 19 Stunden unter einer Talsperre leben lasse, die zu brechen drohe, könne er auch sechs Wochen später noch nicht nachvollziehen. Man lebe schließlich in einer Zeit, in der man Informationen gar nicht mehr ausweichen könne. Am Tag des Hochwassers sei die Informationslage aber „sehr analog“ gewesen.

Die Bezirksregierung kann nach eigenen Angaben noch nichts beitragen, was Licht ins Dunkel bringen könne. „Wir befinden uns weiterhin in der Phase der Aufarbeitung, Zusammenstellung und Rekonstruktion aller Informationen und Einflussfaktoren zu den aktuellen Hochwasser- und Schadensereignissen“, sagt ein Sprecher der Bezirksregierung. Konkrete Fragen könnten derzeit noch nicht beantwortet werden.

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Behrens hofft, dass alle Beteiligten die richtigen Schlüsse aus dem Hochwasser ziehen: „In Belgien gibt es durch die Atomkraftwerke eine Gefahrensituation. Sollte der Super-GAU eintreten, muss es besser laufen als bei der Flutkatastrophe. Angefangen bei der Kommunikation.“