Balljunge direkt an der deutschen Bank: Julian Seliger aus Bad Münstereifel-Kirspenich erlebte eine unvergessliche Nacht in Dortmund.
EM-BalljungeKirspenicher erlebt Achtelfinale hautnah und verpasst Deal mit Niclas Füllkrug
„Unvergessliches Erlebnis.“ „Der beste Tag in meinem Leben.“ Julian Seliger braucht einige Superlative, wenn er über das Achtelfinale bei der Europameisterschaft zwischen Deutschland und Dänemark spricht. Der 17 Jahre alte Kirspenicher war beim Spiel in Dortmund als Balljunge im Einsatz. Und das war viel mehr als Bälle anreichen. Aus nächster Nähe erlebte er im Regen tanzende Dänen, flachsende deutsche Nationalspieler und einen Weltmeister von 2014, der über Cristiano Ronaldo erzählt.
Ermöglicht hat das ein Sponsor der EM, ein Hersteller von Arbeitskleidung. Auch ein wenig Glück war dabei. „Der Sponsor stellt Balljungen, und als Kunde des Unternehmens erhielt ich eine E-Mail, über die ich Julian melden konnte“, berichtet Vater Dirk Seliger. Am Montag vergangener Woche kam der Anruf, dass der 17-Jährige ausgewählt wurde. Am Samstag um 15 Uhr musste Seliger im Stadion sein, ab 19.45 Uhr stand er am Spielfeldrand, wo die Helfer das Aufwärmen der Teams begleiteten.
Unzählige Gänsehaut-Momente für den jungen Fußballer aus Kirspenich
Schon das sei ein Highlight gewesen, sagt der 17-Jährige: „Die Stimmung im Stadion war krass. Die dänischen Fans waren superlaut.“ Wenn das jemand sagt, der seit Kindertagen regelmäßig Spiele im Westfalen-Stadion schaut und die alles andere als leise Atmosphäre bei Dortmund-Spielen kennt, dürften die Anhänger von Danish Dynamite tatsächlich nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben.
Doch nicht nur die Fans sorgen auch drei Tage nach dem 2:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft beim jungen Kirspenicher für Gänsehaut. Auch sein Einsatzort als Balljunge sei „einfach überragend“ gewesen – direkt an der deutschen Bank. „Hinter mir saß Jonathan Tah, der wegen seiner zwei Gelben Karten gesperrt war“, so Seliger: „Das Beste war eigentlich, dass die ganzen Spieler sich vor mir immer warm gemacht haben und sie quasi zum Greifen nah waren. Ich hätte nur meinen Arm herausstrecken müssen und hätte mit ihnen abklatschen können.“
Die Regenjacken gab's für Julian Seliger und seine Kollegen recht spät
Mittendrin statt nur dabei. Dann kam das Unwetter. Und mit etwas Verzögerung gab es für die Ballkids eine Regenjacke. „Wenn man auf den Wetterbericht geschaut hätte, hätte man die uns vielleicht auch schon vor dem Spiel geben können“, sagt der 17-Jährige. Zunächst sollten sich die Ballkinder im Bereich der dänischen Schlachtenbummler sammeln. Die Bilder von zwei Fans, die im Wasserfall des Signal-Iduna-Parks tanzten, gingen um die Welt. „Die haben wir aus nächster Nähe gesehen“, so Seliger.
Als es nach gut 20 Minuten Gewitter-Unterbrechung für die Spieler wieder auf den Platz ging, um sich kurz aufzuwärmen, war auch der Balljunge wieder auf seinem Posten in der Nähe der deutschen Bank. „In der Halbzeitpause habe ich mich mit Moderatorin Laura Papendick über die Nationalmannschaft unterhalten. Das war schon cool“, so der 17-Jährige, der für die JSG Kirchheim/Arloff/Flamersheim spielt und großer Fan von Niclas Füllkrug ist.
Genau der sprach den Kirspenicher plötzlich an und brachte ihn in eine unangenehme Situation. Der Grund: Füllkrug wollte den Ball von Seliger haben, um sich warm zu machen. „Uns wurde vorher beim Briefing gesagt, wir dürfen die Bälle nicht zum Aufwärmen den Spielern mitgeben, weil die die nie zurückgeben, auch wenn sie es sagen. Aber da ich Dortmund-Fan bin und Niclas Füllkrug einer meiner Lieblingsspieler ist, habe ich den Ball trotzdem abgegeben“, erzählt Seliger.
Julian Seliger weiß jetzt, wie Niclas Füllkrug und Thomas Müller so drauf sind
Es kam, wie es kommen musste: „Er hat gesagt, dass er mir verspricht, den Ball wiederzugeben. Am Ende des Tages habe ich den Ball nicht wiederbekommen.“ Aber es folgte laut Seliger noch ein kurzer Smalltalk ohne Worte. Füllkrug zwinkerte dem Kirspenicher Balljungen zu und streckte den Daumen hoch – wohl wissend, dass er eigentlich den Ball rausrücken müsste.
Der 17-Jährige nahm es mit Humor, formte mit seinen Fingern ein Herz und organisierte sich einen neuen Ball. Drei Tage später ärgert sich der BVB-Fan noch ein wenig, dass er mit „Fülle“ nicht einen Deal ausgehandelt hat: Ball gegen Trikot nach dem Spiel. Dafür sei die Situation aber zu schnell vorbei gewesen.
Neben Füllkrug ist auch Thomas Müller dem Hobbyfußballer in Erinnerung geblieben: „Der macht beim Aufwärmen genauso viel Quatsch wie in Interviews.“ So habe er sich mit Maximilian Beier darüber amüsiert, dass Florian Wirtz das Tempo des Hoffenheimers fehle. Gleichzeitig aber die Technik Beiers zu schlecht sei, um überhaupt in solche Wirtz-Situationen zu kommen.
Als Bonus gab es noch ein Treffen mit Weltmeister Sami Khedira
Apropos Tempo: Das hatte auch Jamal Musiala vor dem 2:0. Doch sich so richtig freuen? Das war für Balljunge Seliger weder nach dem 1:0 durch Kai Havertz noch nach dem 2:0 angesagt. „Ausrasten war verboten“, sagt der 17-Jährige. Als Balljunge müsse man grundsätzlich neutral sein. Aber so ganz neutral geht bei einer Heim-EM in Dortmund beim 2:0 gegen Dänemark dann doch nicht. Und so ballte Seliger wenigstens kurz die Faust, während die Fans ihren Emotionen freien Lauf ließen.
Für den 17-Jährigen war das Achtelfinale der zweite Einsatz als Ballkind. Auch beim Duell Italien gegen Albanien war der Kirspenicher im Einsatz. Vor dem 2:1 der Squadra Azzurra hatten sich alle Ballkids mit Gianluca Zambrotta, Weltmeister von 2006, zum Foto aufstellen dürfen. Beim Achtelfinale war Sami Khedira, Weltmeister von 2014, in der Kabine der Ballkinder und beantwortete ein paar Fragen.
Eine davon: Wie es ist, mit Cristiano Ronaldo zusammenzuspielen? „Er hat erzählt, dass es einfach nur krass ist. Auch, weil Ronaldo eine beeindruckende Aura versprühe“, so Seliger. Ein dritter Einsatz als Balljunge wäre noch im Halbfinale in Dortmund möglich. Doch dazu werde es wohl nicht kommen. „Nur wenn gleich mehrere Kandidaten absagen. Aber wer weiß“, so der 17-Jährige.