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Café in der Neuen Bahnstadt OpladenBei Walter sind seine Amigos ganz Familie

Lesezeit 6 Minuten

Seit einem Jahr betreibt Walter Alejandro di Cara mit seinem Café den ersten Treffpunkt in der Neuen Bahnstadt.

Leverkusen-Opladen – An diesem sonnigen Morgen, an dem sich die unbarmherzige Hitze des Nachmittags gerade erst anzudeuten beginnt, hat sich auf einer schattigen Terrasse an der Bahnstadtchaussee wieder einmal Opladen in Miniatur versammelt. Es ist neun Uhr und Bauarbeiter treffen auf Polizisten, Künstler auf Hausmeister, Mütter mit Babys auf Rentner-Ehepaare mit Enkelkindern. Es scheint, als kenne hier jeder jeden, man duzt sich und nennt sich beim Vornamen.

„Hier sind alle gleich“, sagt Axel, von Beruf Handwerker. Der Mann, zu dem sie alle gekommen sind, trägt kurze Jeans, Sneaker, Bart und einen Namen wie aus einer Verdi-Oper. Walter Alejandro di Cara (35) steht drinnen hinter dem Tresen und schlägt Eier auf. Gleich kommen die nächsten Bauarbeiter von gegenüber und Walter ist Wirt genug um zu wissen, was sie bestellen werden. Das Gleiche wie immer.

Wo die Bahn noch bis vor ein paar Jahren ihre Lokomotiven wartete, hat sich in der Neuen Bahnstadt das Café „Hey Walter“ zu einem ersten Treffpunkt entwickelt, das vom Stil auch in die Kölner Südstadt oder nach Düsseldorf-Flingern passen würde.

Das Klavier hat Walter von der Tante einer Freundin bekommen, die Lampen eigens in Amsterdam gekauft, die Tische und Stühle teils selbst zusammengebaut. Alte Bahnhofsschilder erinnern an die Geschichte dieses Ortes, der sich gerade neu erfindet.

Das alte Klavier hat Walter Alejandro di Cara von der Tante einer Freundin, das Mobiliar hat er teils selbst zusammengebaut.

Vor 40 Jahren waren die di Caras die ersten Argentinier, die nach Leverkusen kamen, die Frau stammt gebürtig aus Italien. Im Rheinland angekommen, nannten sie ihren Sohn Walter, deutscher geht es kaum. Trotzdem erinnern in dem Café, das seinen Namen trägt, Bilder an den Wänden und Fahnen an der Toilettentür an Walters Wurzeln. Seine Gäste nennt er „Amigos“. Und unter Freunden ist hier alles ziemlich lässig, was vielleicht daran liegt, dass hier kein Alkohol verkauft wird.

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Die Ghettofaust, mit der hier jeder begrüßt und verabschiedet wird, hat natürlich ein ehemaliger Boxer eingeführt, der auch Hausmeister in der Siedlung unterm Funkenturm ist. Thommy heißt der, tourt als Ringsprecher durch die Region und sieht aus, wie ein Boxer aussieht. Die Lacher der Café-Gäste hat er auf seiner Seite, als er auf der Terrasse ein kleines Roboter-Auto Probe fährt, das er seinem Sohn zum vierten Geburtstag schenken will. Ein Baum von Kampfsportler, dem die kindische Freude in die Augen steht.

Am Morgen ist die Terrasse des „Hey Walter“ an der Bahnstadtchaussee noch ein schattiges Plätzchen.

Es sind Szenen wie diese, die Walter das Gastronomen-Herz aufgehen lassen. Diese persönliche Bindung, sagt er, sei für ihn als Wirt das wichtigste. Ein Gast komme regelmäßig aus Bergisch Gladbach hierher, weil ihm die Atmosphäre gefalle. „So etwas erfüllt mich total“, sagt Walter mit etwas Stolz in den Augen. „Mit diesen ganzen Abfertigungs-Läden in der Stadt kann ich nichts anfangen“, sagt er. Thommy nennt die Menschen hier „eine kleine Familie“.

Zu der gehören auch Jutta und Bernd, Rentner aus dem nahen Quettingen, die mehrmals in der Woche kommen, meist mit ihrer kleinen Enkeltochter. „Es ist immer jemand hier, den man kennt und mit dem man in Gespräche kommt“, sagt Jutta. So sei auch ein kleines Netzwerk unter den Stammgästen entstanden, in dem man sich gegenseitig helfe. „So etwas hat hier noch gefehlt“, sagt Bernd. Ein neues Viertel ohne einen solchen Treffpunkt – nicht denkbar.

Mit individueller Ausstattung und inzwischen vielen Stammgästen hat das Bahnstadtcafé besonderes Flair entwickelt.

Die Männer, die dafür sorgen, dass dieses Viertel ein neues Gesicht bekommt, bauen gerade in Sichtweite des Cafés neben Spielplatz und Basketball-Käfig den Campus der TH Köln. Es sind dutzende Bauarbeiter, ihre Overalls sind blau oder orange, die Helme weiß, manchmal gelb. Und sie kommen hierher, um ihren Amigo zu treffen und all die anderen aus der Familie. Eine Auszeit von der Baustelle, ein kurzer Plausch. Der Urlaub? Fantastisch. Die Hitze? Nicht auszuhalten. Die Frau, die Kinder, der Hund? Muss. Heute wie immer, Amigo? Na klar, Rührei, wie immer.

Frühstück für die Amigos

Weil sie jeden Morgen um halb zehn nach den ersten drei Stunden auf dem Bau zu ihrem zweiten Frühstück kommen, haben sich die Routinen eingeschliffen. Man könnte meinen, dass Walter am Klang der Baustelle hört, wann sich seine Amigos auf den Weg zu ihm machen.

Wenn die Bagger Ruhe geben, die Sägen stillstehen, macht Walter schon mal „wie immer“. Damit es schneller geht. Rührei, Brötchen, Zwiebelmett. Freitags auch mal Räucherlachs. „Ich kenne meine Stammkunden, die nehmen immer das gleiche“ sagt Walter, „richtige Amigos“.

Als Hausmeister der Siedlung, sagt Thommy, habe er damals selbst dafür gesorgt, dass die Wahl bei der Suche nach einem Café-Betreiber auf Walter fiel. Ein anderer Wirt hatte schon den Zuschlag für die neuen Räume, sich jedoch kurz vor der Eröffnung umentschieden. „Wie das Schicksal so will“, sagt Walter, der direkt „das Kribbeln im Bauch spürte“, als er den Laden sah. Also bewarb er sich – und bekam den Zuschlag.

Vor eineinhalb Jahren war das, da gab Walter sein gutlaufendes Büdchen in Manfort auf, um in Opladen neu anzufangen. Ein Risiko, in ein völlig neues Viertel zu gehen, von dem niemand weiß, wie es sich entwickeln wird. Er hatte Glück, dass ihm viele seiner Amigos gefolgt sind. Und immerhin muss er jetzt nicht mehr jeden Morgen um 4 Uhr seinen Kiosk aufschließen. Seit einem Jahr öffnet er erst um 6, ausschlafen also.

Schimpftiraden über Zustände in Leverkusen

Auf der Terrasse, wo es inzwischen mehr als 30 Grad haben muss, kommt Ulrich gerade mit einem Kollegen zum Kaffee zusammen. Ulrich, der Polizist, ist seit mehr als 40 Jahren er in der Wache hinter der Jugendkirche stationiert. Damals, erzählt er, wurde er wie tausende im ganzen Land eingestellt. Terrorzeiten, RAF, die Polizei brauchte jeden Mann. Nun hat er nur noch wenige Monate und gewöhnt sich im Urlaub schon mal an sein Leben in zivil.

Derweil setzt Axel zu einer Schimpftirade über die Zustände in seiner Stadt an. Die Baustellen, die Grünanlagen, die Politiker. Ein paar Ecken oben in Steinbüchel, ja, die seien ganz nett. Und eben das Café in der Bahnstadt. „Ich liebe diesen Ort. Dieser Laden ist wie ein Cut im Leben. Hier herrscht ein ganz anderer Ton, ein anderes Feeling. So etwas ist selten geworden in Leverkusen“, sagt Axel, schlürft den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse und geht zurück zur Schicht, zurück in die Sonne.

1200 Studenten in Aussicht

Wie es an einem so jungen Ort nicht anders möglich wäre, verändert sich dessen Ton noch ständig. In wenigen Monaten werden die Handwerker, die Baggerfahrer von der Baustelle schräg gegenüber weiterziehen. „Aber dann kommen hier 1200 Studenten her“, sagt Walter. In seinem Blick mischen sich Aufregung und Ungewissheit. Viele potenzielle Kunden sind für ihn zwar ein Geschenk. Einer der Gäste murmelt etwas vom Geschäft seines Lebens, das auf Walter und sein Café zukommt. Doch Walter sagt, er kenne seine Amigos nur so gut, weil er fast alles alleine mache und weil er immer hier sei.

Das könne sich womöglich ändern, wenn sich der Kundenstamm innerhalb kurzer Zeit vervielfache. „Schreiben Sie nicht, wie schön es hier wirklich ist“, sagt eine Kundin ironisch, aber auch etwas besorgt hinter vorgehaltener Hand. „Denn dann kommen sie alle hierher.“