Emotionaler Prozessauftakt am Landgericht in Bonn: Eine 62-Jährige muss sich wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung verantworten. Das Mädchen starb nach Zusammenprall bei 80 Stundenkilometer.
Prozessauftakt nach Unfall in WachtbergUnter Tränen den Tod der Schwester geschildert
Totenstille im Schwurgerichtssaal. Zehn Minuten bevor am Dienstag der Bonner Landgerichtsprozess im Fall eines tödlichen Verkehrsunfalls in Wachtberg startet, sitzen alle Prozessteilnehmer an ihrem Platz – und schweigen. Auch der Zuschauerraum ist stark besucht, fast alles junge Menschen, Freunde und Klassenkameraden der mit 17 Jahren tödlich verunglückten Schülerin Charlotte, sie sind immer wieder den Tränen nah. Auf der Anklagebank eine 62-jährige Autofahrerin, die sich wegen fahrlässiger Tötung und gefährlicher Körperverletzung verantworten muss, eingerahmt von ihren Kölner Anwälten.
Tödlicher Unfall: Details des tragischen Tages
Ihr gegenüber die Nebenkläger-Familie: Die Eltern, die ihre älteste Tochter verloren haben, aber auch die ein Jahr jüngere Schwester, die an diesem 3. Juli 2023 gemeinsam mit ihr unterwegs gewesen war. Die beiden hatten zuvor Stunden im Pferdestall verbracht. Es waren Sommerferien. Auf ihren Pedelecs fuhren die Mädchen gegen 15.45 Uhr hintereinander auf der Kreisstraße 57 in Richtung Gimmersdorf. In einer leichten Rechtskurve dann kommt ihnen ein blaues Auto entgegen, das nicht die Kurve nimmt, sondern über die Mittellinie direkt auf sie zufährt.
Die 16-Jährige wird von dem Ford Focus seitlich erwischt, fliegt in hohem Bogen vom Fahrrad und bleibt schwer verletzt auf dem Asphalt liegen. Was mit ihrer älteren Schwester dann passiert ist, konnte sie nicht mehr sehen. Denn der Pkw ist weiterhin ungebremst auf die 17-Jährige zugerast, erfasste sie mit 80 Stundenkilometern von vorne, sie wird gegen die Windschutzscheibe geschleudert und dann ins Feld. Die Ältere überlebt den Unfall nicht. Trotz Notoperation – sie hatte ein Schädelhirntrauma 4. Grades erlitten – stirbt sie noch in der Nacht in der Universitätsklinik. Zum Abschied wird die jüngere Schwester im Krankenbett noch zur Toten gefahren. „Das war nicht mehr meine Schwester, ich habe sie kaum erkannt. Sie sah völlig entstellt aus“, erinnerte sie sich im Zeugenstand unter Tränen.
Angeklagte bei Gericht: Keine Erinnerung an Unfall
Die 62-jährige Angeklagte hingegen kann sich nicht erinnern, wie es zu dem „Blindflug“, so die Staatsanwältin, gekommen ist. Die Kindergarten-Pflegerin hatte an diesem Montag zu Hause Mittagspause gemacht und war auf dem Weg zu einer Kita-Besprechung: „Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, alles Routine“, erzählte sie gestern. Das Handy hatte sie wie so oft zu Hause gelassen; ihre Handtasche lag auf dem Beifahrersitz, ihr Laptop im Fond. „Ich kann mich nur noch erinnern, wie ich aus dem Kreisel rausgefahren bin, keine Ahnung, warum ich die Kurve nicht genommen habe.“
Im Vernehmungsprotokoll steht, dass sie durch „nichts abgelenkt gewesen sei. Keine Konzentrationsschwäche, auch keine Müdigkeit“. Woher sie das wissen will, hakte der Nebenkläger-Anwalt nach, wenn sie sich doch an nichts erinnere. Die Nebenklage glaubt ihr nicht: Für sie ist die Angeklagte „unglaubwürdig.“ Ihre Verteidiger halten dagegen: Sie hätten alles getan, um den Grund für das „Blackout“ zu finden. Denn auch die 62-Jährige, die nach eigener Auskunft ein „normales, völlig unspektakuläres Leben“ führt, habe ein hohes Interesse, zu verstehen, wie das passieren konnte. Alles was medizinisch möglich sei, so die Verteidiger weiter, sei untersucht und abgeklärt worden. Es gebe keinen gesundheitlichen Hinweis auf einen geistigen Ausfall.
Zeugenbericht und Vorwürfe an die Angeklagte
Nach dem Unfall habe sie durchaus einen „verwirrten Eindruck“ gemacht, notierten die Polizeibeamten. Aber da habe sie komplett unter dem Unfall-Schock gestanden. Erst nach psychotherapeutischer Hilfe sei in ihrer Erinnerung ein Bild aufgetaucht. „Das Gesicht des Mädchens, wie es auf die Windschutzscheibe zugeflogen kam.“ Mehr nicht.
Dann folgte der sehr emotionale Part der jüngeren Schwester, die im Zeugenstand über die letzten Stunden der Schwerverletzten in der Uni-Klinik sprach: Über die Ungewissheit, was geschehen war, das Bangen um ihr Leben, bis zu der furchtbaren Nachricht der Ärzte, dass ihre Schwester es nicht geschafft hat. „Das letzte, das wir gesprochen hatten, war, wie schön alles um uns herum aussieht, die blühenden Wiesen, der blaue Himmel, die hohen Wolken.“ Von dem Unfall selbst habe sie nur das „gestochen scharfe Bild“ eines blauen Autos mit einer schwarzen Windschutzscheibe im Kopf, rechts und links davon die blühenden Felder. Dann sei alles dunkel geworden.
Die 17-Jährige macht der Angeklagten bittere Vorwürfe: „Nach dem Tod meiner Schwester haben wir 800 Briefe bekommen, aber von der Frau, die das alles verursacht hat, kein Wort, keine Geste, nichts.“ Die Angeklagte versuchte, ihr Verhalten zu erklären: „Ich habe gedacht, ich würde die Familie eher stören. Für mich ist es sehr schwer, für das, was ich angerichtet habe, Worte zu finden.“