Das Bonner Schwurgericht verurteilt einen 33 Jahre alten Syrer nach einem Messerangriff in der Asylunterkunft in Wachtberg zu vier Jahren Haft.
Messerangriff in WachtbergHaftstrafe für 33-jährigen Syrer – Mordvorwurf fallengelassen

Der Angeklagte wurde in Handschellen in den Gerichtssaal geführt.
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Was am Vormittag des 15. Mai 2024 in einer Flüchtlingsunterkunft in Wachtberg vorgefallen war, hat das Bonner Schwurgericht minutiös nachverfolgt und neu bewertet - und kommt jetzt zu dem Ergebnis: Der Messerangriff in dem Toiletten-Container des Asylantenheims war keine heimtückische Attacke auf ein arg- und wehrloses Opfer - und entsprechend war es auch kein versuchter Mord. Am Dienstag wurde ein 33-jähriger Syrer wegen gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Haft verurteilt, darüber hinaus muss er dem 38-jährigen Kontrahenten, den er mit seinem Küchenmesser lebensgefährlich verletzt hatte, 15 000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Zuvor war bereits die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer vom angeklagten Vorwurf des Mordversuchs abgewichen und hatte für die Bluttat viereinhalb Haft gefordert.
Das Schwurgericht unter Vorsitz von Klaus Reinhoff hat dem Angeklagten geglaubt, dass er den 38-Jährigen im Letzten nicht töten wollte. In seinem Geständnis hatte er beteuert, dass er zuvor von dem Mitbewohner diffamiert worden sei. Der soll in der Flüchtlingsunterkunft - wahrheitswidrig - verbreitet haben, dass er mit der Frau seines Bruders ein Verhältnis habe. Auch an dem Tatmorgen habe er diese Verleumdung durch die Zimmerwand gehört. Da habe er „aus Verärgerung und Kränkung“ beschlossen, dem Mann einen Denkzettel zu verpassen, um dem ganzen Spuk ein Ende zu machen.
Mit seinem Küchenmesser bewaffnet, ging er in den Toiletten-Container, wo der 38-Jährige gerade am Pissoir gestanden habe. Laut Urteil soll er nicht - wie angeklagt - rücklings zugestochen haben, sondern ihm in den Rücken getreten haben. Der Geschädigte geriet ins Taumeln, fasste sich wieder und wandte sich dem Angreifer zu. In diesem Moment erst rammte ihm der Angeklagte das Messer in den Bauch. Die Verletzung war lebensbedrohlich.
Das wäre, so Reinhoff im Urteil, immer noch ein Tötungsversuch, da er den Tod des Kontrahenten ja in Kauf genommen habe. Aber was dann folgte, entlastete den Angeklagten. Denn er ließ ab, verließ den Container, wurde draußen aber von dem Opfer attackiert: „Warum hast Du das gemacht, Du Bastard?“ Erst daraufhin soll der Angeklagte ein zweites Mal zugestochen und ihn am Arm getroffen haben. Als das verletzte Opfer schließlich mit einem Stuhl auf den Angeklagten losging, „verließ dieser den Platz und verschwand im Gebäude“. Ohne weitere Messerangriffe.
25.000 Euro Schmerzensgeld gefordert
„Rechtlich alles nicht so einfach,“ bemerkte Reinhoff. Nach Betrachtung des komplexen Tatgeflechts kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte die „goldene Brücke des Rücktritts“ gewählt habe. Dass er nämlich von dem ursprünglichen Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten sei. Deswegen war er „nur“ wegen einer gefährlichen Körperverletzung zu bestrafen.
Aber eine, die es in sich habe, so der Vorsitzende: Zwar habe das Opfer die Verletzungen gut überstanden, aber die „posttraumatischen Belastungsstörungen“ seien erheblich. Der 38-Jährige lebe nach dem Angriff in permanenter Angst. Eine Entschuldigung von dem Angeklagten, dem die Tat „furchtbar leid tut“, schlug er aus. Davon wollte er nichts hören. Die Nebenklage hatte sogar 25.000 Euro Schmerzensgeld gefordert.
Für den nicht vorbestraften Syrer, der erst ein Jahr zuvor über Russland nach Deutschland gekommen war, ist seine blutige Tat auch eine bittere Zäsur. Zehn Jahre lang habe er „als Soldat im Krieg gedient“ und habe auch in seiner Familie viel Tod und Leid erfahren. Um diese alltägliche Gewalt nicht mehr erleben zu müssen, so hatte der Angeklagte es zu Prozessbeginn erzählt, sei er aus seiner Heimat geflüchtet. Um endlich in Frieden zu leben. Eine Chance, die - wie er selbst weiß - verwirkt hat.