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Angriff auf Mitbewohner in WachtbergFlüchtling steht jetzt in Bonn vor Gericht

Lesezeit 4 Minuten
Mit einem Großaufgebot waren Spezialkräfte der Polizei am 15. Mai 2024 an der Hans-Dietrich-Genscher-Schule angerückt.

Mit einem Großaufgebot waren Spezialkräfte der Polizei am 15. Mai 2024 an der Hans-Dietrich-Genscher-Schule angerückt.

Ein Flüchtling aus Syrien steht vor dem Bonner Schwurgericht wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung an einem Mitbewohner in einer Flüchtlingsunterkunft in Wachtberg-Berkum.

Es waren bange Stunden in Berkum, an die sich bestimmt noch viele erinnern, und eine ungewöhnliche Duplizität der Ereignisse: An jenem Mittwoch im Mai des vergangenen Jahres wurde zunächst ein Amok-Alarm an der Hans-Dietrich-Genscher-Schule in Berkum ausgelöst, ein Schüler habe ein Messer dabei. Spezialkräfte der Polizei umstellten die Schule.

Kurioserweise gab es zeitgleich einen Einsatz in einer Flüchtlingsunterkunft ganz in der Nähe, weil jemand dort einen Mann niedergestochen hatte. Mittags hatte ein 32-Jähriger in der alten Schule in der Straße Am Bollwerk, die als Flüchtlingsunterkunft genutzt wurde, auf einen 37 Jahre alten Bewohner eingestochen, der Ältere war im Bereich des Oberkörpers verletzt worden. Der Täter wurde nach einer kurzen Flucht an einem Kreisverkehr in Berkum festgenommen. Gegen ihn wurde jetzt Anklage erhoben vor dem Bonner Schwurgericht.

Die Befürchtung war zunächst groß, dass beide Vorfälle miteinander zu tun hatten, doch bald schon war klar, dass es keinen Zusammenhang und damit Entwarnung gab. Dennoch waren Schüler und Lehrer noch lange in heller Aufregung - und in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft wurde ein flüchtiger Syrer festgenommen, der versucht haben soll, einen Mitbewohner zu töten. Weil er sich diffamiert fühlte. Vor dem Bonner Schwurgericht muss sich der jetzt 33-jährige Flüchtling wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung verantworten.

Wachtberg: Heimtückischer ASngriff auf Toilette?

Die Anklage wirft ihm vor, den Kontrahenten „aus Verärgerung und Kränkung“ heimtückisch in einer Toilette rücklings angegriffen zu haben, als dieser ahnungslos seine Notdurft verrichtete. Erst soll er ihn geschlagen und getreten, dann mit einem mitgebrachten Küchenmesser auf Kopf und Körper eingestochen haben, auch als dieser bereits zu Boden gegangen sei. Dem 38-Jährigen gelang es laut Anklage, sich wieder aufzurappeln und sich außerhalb der Toilettenräume mit einem Stuhl zur Wehr zu setzten, bis zwei Mitbewohner einschritten und die Auseinandersetzung beendeten. Der damals 37-Jährige wurde in die Uniklinik gebracht und gerettet. Vor allem der Stich in den Oberbauch sei lebensgefährlich gewesen.

Prozessauftakt vor dem Schwurgericht in Bonn.

Prozessauftakt vor dem Schwurgericht in Bonn.

Zum Prozessauftakt bereute der Angeklagte die Tat: „Ich weiß, es war ein großer Fehler, was ich getan habe. Und ich bin heilfroh, dass er überlebt hat“, las sein Verteidiger aus der schriftlichen Einlassung vor. Auch habe er ihn nicht wirklich töten, sondern nur „einen Denkzettel zur Warnung“ verpassen wollen, weil er sich von dem heute 38-jährigen Mitbewohner diffamiert gefühlt habe.

Bereits zwei Monate vor der Tat, so der Angeklagte, habe der das Gerücht verbreitet, er hätte ein Verhältnis mit der Frau seines Bruders. Was nicht stimme. „Ich weiß nicht, warum er das gemacht hat, aber er hat die Lüge immer und immer wiederholt, so dass sich sogar meine wenigen Vertrauten von mir abwandten und ich ganz alleine war.“ Am Morgen des 15. Mai habe er durch die Wand zum Nachbarzimmer gehört, wie der Mitbewohner die falsche Geschichte erneut erzählte. „Ich war zutiefst gekränkt und in meiner Ehre verletzt“.

„In unserem Kulturkreis“, so heißt es weiter in der Einlassung des Angeklagten, „wird mit Gerüchten viel kaputt gemacht“. Man könne sie nicht ignorieren, sondern müsse sich zur Wehr setzten. „Ich wollte, dass das schlechte Gerede endlich aufhört.“ Da habe er sich zum Angriff entschieden, habe ein Küchenmesser aus seinem Zimmer geholt und habe den 38-Jährigen am Urinal angesprochen: „Warum machst Du Dich über mich lustig?“

Schließlich habe er ihm bis zu drei Stiche versetzt, bis ein Mitbewohner aus der Toilettenkabine kam. Aber damit sei die Sache noch nicht beendet gewesen: Denn der Kontrahent schien von seinem „Denkzettel“ nicht beeindruckt, denn er habe nun seine Mutter und Schwester beleidigt und sei mit einem Stuhl auf ihn zugekommen. Da habe er erneut zugestochen.

„Es war ein Ausnahmezustand“, erinnert sich der Angeklagte an die Szene, „ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle“. Am Ende bittet der Syrer, der erst ein Jahr zuvor über Russland nach Deutschland gekommen war, noch um „eine Chance“. Zehn Jahre lang habe er – ungern – als Soldat im Krieg gedient, bis er vor der vielen Gewalt aus seiner Heimat geflüchtet sei.