Nach der FlutFamilie Kraus in Swisttal – Wie es sich auf einer Baustelle lebt
Swisttal-Odendorf – Das Haus mit dem „Flutsofa“ vor der Tür kennt in Odendorf jeder. Das antike Möbelstück, das einst im Schloss Miel stand, soll in Ehren auf der Straße verrotten. Ein Symbol der Zerstörung. Nebenan der Neuanfang. Yvonne Kraus und ihr Mann Christian bauen wieder auf, was trotz aller Schäden immer noch ihr Zuhause ist: Ein Haus aus den 50er Jahren, es gehört Yvonnes Eltern. Die Flut hat Keller und Erdgeschoss überschwemmt.
„Die Mauern aus Bims haben unglaublich viel Wasser gesaugt. Aber jetzt kann der Handwerker mit einem Sanierungsputz ans Werk gehen, der weitere Feuchtigkeit aus der Wand zieht“, hofft Yvonne Kraus. Seit sechs Monaten lebt sie mit ihrem Mann und der zehnjährigen Tochter Lucy auf einer Baustelle.
Hausrat war nicht ausreichend versichert
Die Schadensbilanz der Familie ist noch lange nicht abgeschlossen. Für das Gebäude gibt es zum Glück eine Elementarschadenversicherung, die für die Sanierung aufkommt. Geschätzte Kosten: 150 000 Euro. Doch der Hausrat war nicht entsprechend versichert. Familie Kraus ist bei der Neuanschaffung – vom Kochtopf bis zur Waschmaschine – auf Spenden und Fluthilfe-Zahlungen angewiesen. 2500 Euro Soforthilfe des Landes bekam die dreiköpfige Familie. „Davon haben wir einige Werkzeuge und neue Schuhe gekauft. Die standen alle im Erdgeschoss.“ Für den zerstörten Hausrat zahlte die Bezirksregierung nach Antrag von Ende September im Dezember 22 500 Euro aus. Auf 50 000 Euro hatte Yvonne Kraus den Schaden geschätzt. „Ich habe hier gesessen und überlegt, was ich in den verschiedenen Schränken hatte. Alles fällt einem da nicht ein.“ So habe Tochter Lucy kürzlich etwas aus ihrem Bastelschrank gesucht, der im Esszimmer stand – vergebens.
Hilfe kam weitgehend unkompliziert
Die Beantragung der Mittel, sagt Yvonne Kraus, sei relativ unkompliziert gewesen. Nur eine Rückfrage habe es gegeben, per Mail, wegen eines Personalausweises oder einer Meldebescheinigung. „Vielleicht haben wir Glück gehabt, dass es ansonsten einfach lief. Ich hatte Fotos mitgeschickt vom Schadenstag, das scheint gereicht zu haben. Von anderen habe ich gehört, dass sie jedes Teil einzeln melden mussten. Das habe ich nicht gemacht.“
Perspektive muss her
„Viele Menschen in den Flutgebieten sind sechs Monate nach der Katastrophe mit ihren Kräften am Ende“, berichtet Kai Imsande. Der 45-Jährige engagiert sich ehrenamtlich als Fluthelfer in Swisttal-Odendorf. „Sie brauchen mentale Unterstützung, aber vor allem eine finanzielle Perspektive. Die ganzen Verfahren müssen beschleunigt werden“, schilderte Imsande bei einer virtuellen Pressekonferenz mit Heimatministerin Ina Scharrenbach am Freitag. Wichtig sei auch eine gute Kommunikation der Behörden mit den Betroffenen: „Es nutzt ja nichts, wenn Gebäude wiederaufgebaut werden, während die Menschen vor sich hin bröckeln. Vor allem dürfen sie nicht das Gefühl haben, Bittsteller zu sein.“ (kmü)
Den Tag , an dem die Flut alles wegschwemmte, wird Yvonne Kraus nie vergessen, als das Wasser den Keller und 1,70 Meter hoch das Erdgeschoss füllte. „Vier Tage waren wir wegen der Dammbruchgefahr an der Steinbachtalsperre evakuiert. Danach haben wir uns sofort ans Entkernen gemacht.“ Aus der Familie ihres Mannes rückten Helfer aus Much an: „Sie kamen mit Akkus und Stromerzeuger. Einer fing direkt an, den Putz abzustemmen.“ Das Entkernen dauerte drei Wochen, dann begann das Trocknen. „Anfangs hatten wir kostenlos Geräte vom DRK. Seit zwei oder drei Monaten laufen Trockner vom Handwerker, und ich hoffe, die Versicherung übernimmt auch die Kosten für den Strom.“
Kabeltrommeln führen Strom ins Obergeschoss, wo nur Schlafzimmer und Bad bewohnbar blieben. „Die Männer haben gerechnet, wie viel Strom an jeder Trommel abgezapft werden kann“, sagt Kraus. Gekocht wird immer noch im Freien, an einer kleinen Küchenzeile, die gespendet wurde. „Auch wenn es kalt ist.“
Von schlimmen Diagnosen und steigenden Preisen
Seit Anfang Oktober arbeitet die kaufmännische Angestellte – ihr Mann ist Straßenmeister – im Homeoffice, nachdem ein neuer Anbieter die Internetverbindung hergestellt hat. Ein Rückschlag war die Diagnose zur Holztreppe. „Sie musste raus. Das Wasser ist hinter die Wangen gedrungen, und der Experte sagt, dort kann sich Schimmel bilden. Jetzt haben wir eine Nottreppe wie zu einem Speicher und müssen den Kopf einziehen, wenn wir sie benutzen.“
Und dann der Preisanstieg für Baumaterialien. „Der Estrichbauer hat sein Angebot zurückgezogen und eine Neuberechnung vorgelegt. Da hatten sich die Preise um die Hälfte erhöht“, so Kraus. Fenster wurden bereits in der Woche vor Weihnachten eingebaut, die Heizung läuft seit Oktober. „Mit Gas“, sagt Kraus: „Die Rechnung will ich nicht sehen. Ich will erst abwarten, wo die Kosten hingehen, und was die Versicherung im Endeffekt bezahlt.“ Da es die Elementarschadenversicherung für das Haus gibt, hat Familie Krause keinen Antrag auf Aufbauhilfe gestellt. „Der Gutachter der Versicherung war sehr schnell da und hat auch einen Vorschuss gezahlt. Wir haben die Angebote der Handwerker eingereicht – das lief bisher alles super.“
Das könnte Sie auch interessieren:
Aber das Leben ist anders seit der Flut. „Anfangs war ich mit Lucy jeden Morgen am Infopoint bei der Bundeswehr, um Kaffee für die Nachbarn zu holen. Jetzt gehen wir noch einmal die Woche zum Essen dorthin. Wir sind hart getroffen, aber versichert“, sagt Yvonne Kraus, „ und darum nicht so auf die freiwilligen Helfer angewiesen. Die sollen besser da helfen, wo die Menschen kein Geld bekommen und nichts mehr haben.“
Eine Kuscheldecke für Lucy hat die Familie angenommen und eine Blechbude für Werkzeug und gespendete Utensilien. Seit Ende der Ferien geht Lucy in Euskirchen zur Schule und wegen der vom Hochwasser weggerissenen Bahngleise übernehmen vier Mamas den Fahrdienst. „Wir machen das Beste draus.“ Schließlich lässt sich fast alles neu anschaffen und wird irgendwann ersetzt. Fast alles. Ihr Hochzeitsalbum, sagt Yvonne Kraus traurig, wird sie nie wieder sehen.