Sechs Monate nach der Flut in NRWFluthilfe soll schneller ausgezahlt werden
Düsseldorf/Köln – Für die SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag ist die Korrektur der Auszahlungsrichtlinien für die Wiederaufbauhilfe das „Eingeständnis eines Versagens“. Monatelang habe die NRW-Regierung behauptet, eine sofortige Auszahlung der Hilfsgelder sei rechtlich nicht möglich, jetzt gehe es doch. Die Sofortauszahlung von 40 Prozent der bewilligten Summe sei „immerhin mehr als nichts“, sagte Kommunalexperte Stefan Kämmerling.
Nach massiver Kritik und Verärgerung über die aus Sicht der Betroffenen schleppende Bearbeitung und Auszahlung der Hilfsgelder hatte die zuständige Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) am Freitag angekündigt, das Verfahren zu vereinfachen. Ab sofort erhalten Antragsteller, die einen Gebäudeschaden beklagen, mit dem Bewilligungsbescheid 40 Prozent der Billigkeitsleistung. Bislang sei das erste Geld erst nach Ablauf der vierwöchigen Einspruchsfrist nach Erhalt des Bewilligungsbescheids geflossen. „Künftig wird eine hohe Summe sofort ausbezahlt, mit der man schon mal arbeiten kann“, sagte Scharrenbach.
Pauschale soll ebenfalls direkt gezahlt werden
Weitere 30 Prozent können nach Vorlage einer Zwischenabrechnung ausgezahlt werden, die restliche Summe werde dann nach Prüfung des Verwendungsnachweises überwiesen, erläuterte Scharrenbach. Auch die Pauschale für Schäden am eigenen Haushalt wird künftig sofort nach der Bewilligung ausgezahlt. Zum Beispiel erhält bei Mehr-Personen-Haushalten die erste Person pauschal 13 000 Euro, Lebenspartner 8500 Euro und jedes weitere Mitglied eines Haushaltes 3500 Euro.
Stand 7. Januar seien 50 Millionen Euro inzwischen an private Antragsteller ausgezahlt worden, sagte Scharrenbach. Weitere 20 Millionen kämen in den nächsten Tagen hinzu. Im Auszahlungsprozess seien an Privatleute derzeit insgesamt 117,4 Millionen Euro.Insgesamt seien bis heute rund 11 500 Hilfsanträge von Privatleuten geprüft oder bewilligt worden, erklärte Scharrenbach. Das entspreche rund 80 Prozent der Anträge. Zu etwa 2000 dieser Anträge sind laut Landesregierung allerdings noch Rückfragen offen, die Bewilligung stehe daher noch aus.
Ministerin Scharrenbach ist insgesamt zufrieden mit Fluthilfen
Scharrenbach ließ auch durchblicken, dass es immer noch Schwierigkeiten bei der Besetzung zusätzlicher Stellen in den Landesbehörden rund um die Wiederaufbauhilfe gebe: „Wir haben Probleme, qualifizierte Fachkräfte für die offenen Stellen zu finden.“ Mitte Dezember waren von 284 zusätzlichen Stellen in den Bezirksregierungen und Landesministerien erst 21 besetzt. Es dürften noch Monate vergehen, bis die Personallücken geschlossen werden können.
Insgesamt ist Ministerin Scharrenbach zufrieden mit dem Stand der Fluthilfe. Sie spricht von einem „beispiellosen Wiederaufbau“, der angepackt worden sei. Vor vier Monaten schnürten Bund und Länder ein Wiederaufbauhilfe-Paket über 12,3 Milliarden Euro, und die Zwischenbilanz zum Jahresbeginn 2022 könne sich „sehen lassen“, findet die Ministerin. Allerdings habe sowohl die Corona-Pandemie als auch die Flutkatastrophe die Notwendigkeit aufgezeigt, dass NRW eine ständige Eingreifgruppe haben müsse, die bei entsprechenden Krisenlagen sofort eingesetzt werden kann.
Die SPD wirft der NRW-Regierung vor, bei der Fluthilfe „versagt“ zu haben. Hilfsgelder müssten schneller und zuverlässiger zu den Betroffenen kommen. „Seit Monaten weisen wir Kommunalministerin Scharrenbach darauf hin, dass das Antragsverfahren für die Opfer der Hochwasser-Katastrophe viel zu kompliziert und langwierig ist“, sagte Stefan Kämmerling, Kommunalexperte der SPD-Landtagsfraktion. Während sich die Ministerin auf „Eigenlob“ bei der Bewältigung der Herausforderungen beschränke, hätten die Menschen vor Ort „in den Trümmern ihrer Existenz“ auf die Hilfen gewartet.
Kritik kommt auch aus Rheinland-Pfalz
Kritik an der schleppenden Auszahlung der Wiederaufbauhilfe gibt es auch im benachbarten Rheinland-Pfalz. Auch dort warten viele Hochwasseropfer noch immer auf finanzielle Unterstützung. Zwei von ihnen sind das Ehepaar Bernd (69) und Brigitte Gasper (65) aus Altenburg. Durch die Flut haben sie ihr Haus verloren und leben seitdem in der Nähe von Bonn. Kurz vor Weihnachten haben sie einen Abschlag von rund 21 500 Euro bekommen, erzählen sie. Alles andere ist offen. Das Paar will in seinen geliebten Heimatort Altenburg zurück. Auf ihrem Grundstück, in unmittelbarer Nähe der Ahr, wollen die beiden aber nicht wieder neu bauen. Die neuen hochwasserangepassten Auflagen für den Wiederaufbau passten auch nicht zu altersgerechtem Wohnen, ergänzt Bernd Gasper. All das haben sie den Behörden vor Wochen vorgetragen - bislang aber keine Antwort - weder von derWWie die zuständige Investitions- und Strukturbank (ISB), noch vom Büro des Vor-Ort-Beauftragten der Landesregierung, sagen sie. Die Ungewissheit und das Nichts-Tun-Können macht beiden zu schaffen.
Wie die Gaspers haben viele noch keine Klarheit. Wie die ISB Bank auf Rundschau-Anfrage bestätigte, sind erst 31 von bislang 1630 Aufbauhilfsanträgen für Gebäudeschäden mit einer Fördersumme von 3,8 Millionen Euro bewilligt, 40 weitere Anträge seien kurz vor der Bewilligung. Pressesprecherin Claudia Wichmann begründete das mit deutlich komplexeren Sachverhalten im Vergleich zu den pauschal geleisteten Billigkeitsleistungen für den Hausrat. In dem Bereich seien von 8000 Anträgen bislang 5700 Anträge mit einem Volumen von 73,4 Millionen Euro bewilligt.
Auszahlung schon möglich, bevor der Antrag komplett vorliegt
Von den Aufbauhilfsanträgen für Gebäude lägen aktuell rund 300 vollständig vor, das heißt die Antragstellenden haben die Anträge vollständig ausgefüllt und die Unterlagen eingereicht, die inhaltlich geprüft und zur Bewilligung vorbereitet werden. Es seien Abschlagszahlungen in Höhe von 20 Prozent des Gesamtbetrags möglich. Das bedeutet, dass eine Förderung bereits dann in Teilen ausgezahlt werden kann, wenn noch nicht alle erforderlichen Unterlagen vorliegen. Die weiteren Zahlungen erfolgen auf Grundlage einer fortzuschreibenden Belegliste nach Baufortschritt, so Wichmann.Im Ahrtal waren bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 134 Menschen ums Leben gekommen, in Nordrhein-Westfalen gab es 49 Tote. An der Ahr möchten viele nur noch weg. So sind in er zweiten Jahreshälfte 3097 Menschen aus dem Kreis Ahrweiler weggezogen, teilte das Statistische Landesamt Rheinland-Pfalz mit, 5,3 Prozent der Bevölkerung. 1642 Einwohner kehrten der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler den Rücken.