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Am Orbach in Swisttal-OdendorfFür manche Bewohner gibt es keine Rückkehr

Lesezeit 5 Minuten

Am zweiten Tag nach dem Ende der Evakuierung machen die Folgen der Flutkatastrophe in Odendorf immer noch sprachlos.

Swisttal – Ein einziges Wort reicht manchmal schon aus, um einen Zusammenbruch oder einen Wutanfall auszulösen. Dienstag ist Tag sechs nach der Flutkatastrophe im Rhein-Sieg-Kreis. Die Nerven liegen blank bei den Betroffenen, immer wieder kommt es in Odendorf zu Streit auf offener Straße sowie am Verpflegungs- und Informationszelt am Zehnthofplatz. Einige Odendorfer dürfen immer noch nicht in ihre Häuser zurück, andere werden es nie wieder können. Im Bereich um den Orbach sind Häuser eingestürzt, andere sind vom Technischen Hilfswerk (THW) als einsturzgefährdet eingestuft.

Eine der Anwohnerinnen ist Jutta Bartels. Sie berichtet noch einmal von der vergangenen Woche, als ihr die Tränen in die Augen schießen. „Das Wasser kam einfach zu schnell, um noch irgendwas zu retten“, schildert sie. Sie hat noch ein Video machen können, bevor sie ins Obergeschoss flüchtete. Es sieht aus, als hätte sie in einem Wildwasserkanal gestanden. Kurz ist das angsteinflößende, ohrenbetäubende Rauschen zu hören. Das Wasser kratzte am Mittwochabend bereits an der Fensterbank des Erdgeschosses, da war die Sonne noch nicht untergegangen.

Die Bilder haben sich bei den Betroffenen eingebrannt

Bartels und ihr Freund flüchteten die Treppe hinauf, als sie auch noch die Glastür zum Garten bersten hörten. „Nach der Aufnahme stieg das Wasser noch anderthalb Stunden so weiter“, erinnert sie sich. Die Panik war ihr auch eine Woche nach der Flut noch anzusehen. „Evakuiert wurden wir nicht. Wie auch? Das war ein reißender Strom, da wäre eh keiner durchgekommen“, berichtet sie und erzählt, dass in der Orbachstraße kaum jemand von den Hilfskräften gerettet werden konnte. Eine Nachbarin habe sie später gefragt, wer sie denn rausgeholt hätte. „Keiner.

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Als das Wasser zurückgegangen war, sind wir selbst runter und über die ganzen Möbel nach draußen geklettert. Richtung Garten ging nicht, nachher steckt noch eine Scherbe von der Gartentür im Fuß. Draußen war wohl kaum Hilfe zu erwarten – also durch das Wohnzimmer, über Sofas und alles weitere“, schildert sie. Vor dem Haus traf sie der Schlag. Die Flut hatte ein Loch in die untere Ecke des Gebäudes an der Straßenecke gerissen. Dort, wo das Wasser sich den Weg in die nächste Querstraße gebahnt hatte, klaffte ein Lücke im Mauerwerk. Ob sie überhaupt wieder in ihr Haus zurückkehren darf, das wusste sie am Dienstagmittag noch nicht.

Klaffende Löcher in den Hauswänden wurden von den Einsatzkräften des THW stabilisiert.

Der Bereich um den Orbach ist weiterhin gesperrt und nur für THW, Polizei und Feuerwehr offen. Die Statiker überprüfen immer noch die Häuser und den Untergrund, auch die Tragfähigkeit der Straße. An jedes Haus, das als gefährdet eingestuft wurde, kleben sie DIN-A4-große Zettel: „Einsturzgefahr! Betreten verboten!“

Bei einigen Häusern ist nicht klar, ob sie nicht nach vorne auf die Straße stürzen, sollten schweren Fahrzeuge vorbeifahren. Die Lage ist besonders auf der niedrigeren Ostseite kritisch. Dort schätzen die Einsatzkräfte, dass es wohl noch einige Tage dauern kann, bis der Bereich wieder freigegeben wird. Auf der höher gelegenen Westseite, mit den ungeraden Hausnummern, kommt die Freigabe gegen 13.30 Uhr. Bevor die Menschen jedoch in ihre Häuser zurückkehren können, findet noch eine Begehung gemeinsam mit der Bundespolizei statt. Es sickert durch, dass mindestens eine Leiche gefunden wurde.

Die Zeit der Ungewissheit verbringen die Anwohner der Orbachstraße unterschiedlich. Bartels berichtet, dass einige noch in Notunterkünften sind, andere sitzen vom Schock wie gelähmt auf dem Zehnthofplatz oder haben sich dort Feldbetten aufgebaut. Bartels zumindest kann nicht still sitzen , sie steigt gleich mit in die Organisation der Verpflegung und der Hilfsgüter auf dem Platz vor dem Zehnthaus ein.

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„Was für eine Schuhgröße hast du? Hier, nimm die“, sagt sie und drückte einem Helfer ein paar Gummistiefel in die Hand. Helfer kommen viele, Hilfsgüter auch. Im Minutentakt halten Transporter und kleine Lkw vor dem Pfarrzentrum, beladen mit Getränken, Hygienemitteln, Schubkarren und Schippen. Die Spenden werden allmählich zu viel. Im Pfarrzentrum stapeln Helfer Konserven, Baby- und Tiernahrung. Palettenweise Mineralwasser steht bereits vor der Tür. Deswegen soll ab Nachmittag auch die Kita der Gemeinde für die Spendenausgabe genutzt werden.

Zwischenzeitlich keine Annahme von Spenden

„Es ist schon fast zu viel“, sagt auch Malte Bartels. Der Sohn von Jutta Bartels ist aus dem Norden Deutschlands gekommen, wo er als Soldat stationiert ist. „Es sind wohl auch noch voll beladene Lkw unterwegs hierhin“, sagt er. Kleidung und Nahrungsmittel gebe es genug. Diesel würde am meisten gebraucht, um die Aggregate und die Maschinen zu betreiben.

Die Masse an Engagement führt aber zu einem ganz anderen Problem: Die großen Fahrzeuge kommen nicht durch die Straßen. Helfer fahren mit ihren Autos in den Ort und versperren auf der Suche nach Parkmöglichkeiten die Zufahrten zu den wichtigsten Straßen. Die Polizei lässt deswegen auch niemanden mehr in den Bereich des Zehnthofs einfahren, ohne zu kontrollieren. Dort wird alles koordiniert, sofern möglich.

Besonders zur Mittagszeit ist der Zehnthof aber auch der zentrale Anlaufpunkt, denn die Bundeswehr verteilt Erbsensuppe an alle Helfer und Einsatzkräfte. Viele Odendorfer treffen sich dort, sprechen beim Teller Suppe mit Nachbarn, Bekannten, aber alle sind angespannt. Hier und da ein Lachen, gleich daneben wird gestritten. Einigen platzt einfach der Kragen, weil sie noch nicht in ihr Zuhause zurück dürfen.