Am 10. Mai 1980 erschoss ein Killer einen libyschen Ex-Diplomaten mitten in der Bonner Innenstadt. Im Schwurgerichtssaal des Bonner Landgerichts wurde einem der Täter ab Dezember der Prozess gemacht.
Geschichte im GerichtssaalAttentat im Mai 1980 – Libysche Täter bringen Dissidenten in Bonn um
Der Mann war Diplomat, hatte als Wirtschaftsattaché an der libyschen Botschaft in Bonn gearbeitet, einem Zweckbau an der Beethovenallee 12a im Bad Godesberger Villenviertel. Im Jahr 1979 aber quittierte Omran al-Mehdawi aus politischen Gründen seinen Dienst – und lebte fortan in Bonn als Dissident in ständiger Lebensgefahr. Denn Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi hatte Häscher ausgeschickt, die ihm und anderen Oppositionellen in Europa auf den Fersen waren.
Das Attentat
Am 10. Mai 1980, einem Samstag, lauerte das Killerkommando dem Landsmann an der Poppelsdorfer Unterführung zwischen Kaiserplatz und Poppelsdorfer Allee auf und streckte ihn mit vier Schüssen nieder; der Ex-Diplomat starb. Querschläger trafen mehrere Passanten und verletzten sie teilweise schwer. Der Bonner Polizei gelang es, den Mörder und zwei Komplizen noch am Tatort zu verhaften.
Im Verhör behauptete der Attentäter Baschir el-Mida zunächst, Streit um Geld habe ihn zu dem Mord veranlasst, doch dann rang sich der 25-Jährige zur Wahrheit durch: Ein Revolutionskomitee habe ihn entsandt, um den in Libyen in Abwesenheit zum Tode verurteilten Ex-Attaché hinzurichten, das sei das „gute Recht des libyschen Volkes“.
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Was das „gute Recht“ sei, hatte Machthaber Gaddafi, der sich gern mit Sonnenbrille und in Militärunform abbilden ließ und sich mit einer Leibwache von 30 bis 40 Frauen (der „Amazonengarde“) umgab, definiert: Mord war für ihn die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, schrieb damals der „Spiegel“.
1980 starben innerhalb von drei Monaten in Rom, Athen, London und Bonn acht libysche Oppositionelle im Kugelhagel der Todesschwadronen; das Attentat in Rom geschah am gleichen Tag wie das in Bonn. Ein weiterer Mittäter el-Midas, der ihm die Waffe besorgt hatte, war abgetaucht.
Der Diktator: Muammar al-Gaddafi (1942-2011) entstammt aus einer Beduinenfamilie und studierte zunächst Geschichte und Jura, entschloss sich dann aber zu einer Militärausbildung. Mit weiteren Offizieren stürzte er 1969 den König von Libyen und übernahm als Chef einer Militärjunta die Macht. Der selbst ernannte Revolutionsführer baute, unter anderem gestützt auf Einnahmen aus der Ölförderung, einen Personenkult um sich auf und herrschte als Diktator mit fast unbegrenzter Macht. 2011 folgten auf Unruhen in Tunesien und Ägypten auch in Libyen Aufstände und ein Bürgerkrieg. Am 22. August 2011 wurde Gaddafi abgesetzt, polizeilich gesucht und am 20. Oktober 2011 gemeinsam mit seinem Sohn getötet. Die Umstände des Todes sind unklar. (dbr)
Die Festnahme
Die Bonner Polizei hatte ihn jedoch bald identifiziert und schrieb einen internationalen Haftbefehl aus. Mit Erfolg: Der Mann wurde auf dem römischen Flughafen Fiumicino festgenommen, kurz nachdem er ein Flugzeug in die libysche Hauptstadt Tripolis bestiegen hatte.
Der Bonner Schwurgerichtsvorsitzende Walter Schmitz-Justen, der den Prozess gegen el-Mida führe, der ermittelnde Staatsanwalt Bernd König, der später als Leitender Oberstaatsanwalt der Bonner Behörde vorstehen sollte, zwei Beamte des Staatsschutzes und el-Midas Verteidiger reisten nach Rom und vernahmen den mutmaßlichen Komplizen eine Woche lang in einer Zelle im Gefängnis Regina Coeli („Himmelskönigin“). Es war letztlich vergeblich, Italien habe den Verdächtigen nicht ausgeliefert, erinnert sich König, heute Landesvorsitzender der Hilfsorganisation „Weißer Ring“.
Der Prozess
Das Gerichtsverfahren gegen den Mörder al-Mehdawis und seinen angeklagten Landsmann begann im Dezember 1980 unter hohen Sicherheitsvorkehrungen vor dem Bonner Schwurgericht. Die Strafkammer verurteilte den Hauptangeklagten am 22. Dezember wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Schmitz-Justen nannte ihn in der Urteilsbegründung einen „Handlungsreisenden in Sachen Tod und Verderben“.
Der Mörder saß nur knapp zweieinhalb Jahre im Gefängnis, dann wurde er gegen zwölf deutsche Firmenmitarbeiter freigelassen, die in Libyen festgesetzt und unter fadenscheinigen Vorwürfen zu teils lebenslangen Strafen verurteilt worden waren. Der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und spätere Bundespräsident Johannes Rau weigerte sich zuerst, dem Druck des nordafrikanischen Ölstaates nachzugeben, doch nachdem weitere Deutsche in libysche Gefängnisse gesteckt worden waren, beugte er sich und stimmte dem Gefangenenaustausch zu.
Die angebliche Blutrache
Wer hoffte, damit sei die Todesserie zu Ende, irrte. Am Ostersamstag, dem 6. April 1985, wurde Dschibril al-Dinali, eine prominente Figur der libyschen Opposition in der Bundesrepublik, vor dem Bonner Münster erschossen. Seine deutsche Freundin stand daneben. Als er bereits getroffen auf dem Boden lag, näherte sich der Killer und gab noch einen gezielten Genickschuss ab. Ein zufällig in der Nähe stehender Kriminaloberkommissar reagierte blitzschnell und nahm Fatahi al-Tarhoni fest.
Im ersten Verhör nannte er politische Motive für die Bluttat; die libysche Regierung aber leugnete jede Verantwortung, vielmehr seien wohl private Motive der Hintergrund des Mordes. Im Schwurgerichtsprozess, der wieder unter dem Vorsitz von Walter Schmitz-Justen stattfand, änderte der Angeklagte seine vor der Polizei gemachte Aussage und erklärte, er habe aus Blutrache gehandelt: Bei einem Bombenanschlag in Tripolis sei seine Schwester ums Leben gekommen. Auf die Frage des Vorsitzenden, woher er 18.000 Mark für Reise und Aufenthalt in Bonn habe, antwortete der Libyer: „Geld spielt doch bei Blutrache keine Rolle.“
Das Urteil
Das Urteil wurde am 11. November verkündet: lebenslange Haft. Die Strafkammer ließ offen, ob sie der Blutrache-Version des Angeklagten glaubte oder den Vorwurf der Staatsanwaltschaft für richtig hielt, al-Tarhoni habe als Auftragsmörder gehandelt und Mittäter gehabt. Schmitz-Justen ging in der Urteilsbegründung auch auf die politischen Hintergründe ein: „Der Angeklagte ist nicht aus dem luftleeren Raum in unser Land eingefallen“, vielmehr habe „der geistige Mutterboden“ des Regimes in Tripolis viel „zu der abscheulichen Tat“ beigetragen.
Eine Reihe Libyer, so der Richter weiter, sei „in die Zentren Europas katapultiert“ worden, „um hier ihre sogenannte Mission durch Mord, Terror und Hass zu erfüllen. In Rom, London, Athen und Bonn hinterließen sie ihre blutigen Spuren, während sie in ihrer Heimat als Patrioten gefeiert werden“ . Der Gerichtszeichner Erich Dittmann hat am 28. Oktober 1985 im Prozess eine Skizze gefertigt. Sie zeigt al-Tarhoni im blauen Hemd, die Haare schwarz, das Gesicht ernst, auf der Anklagebank, dahinter die Richterbank mit Schmitz-Justen, der den rechten Zeigefinger hebt und eine Frage zu stellen scheint.
Die Zeichnung ist als Leihgabe des Hauses der Geschichte im kleinen Justizmuseum des Bonner Landgerichts ausgestellt, das vor wenigen Wochen eröffnet worden ist.