Leiter des Impfzentrums in Sankt Augustin„Man muss hoch konzentriert arbeiten“
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Sankt Augustin – Sebastian Groß ist seit Anfang April Pharmazeutischer Leiter des Impfzentrums in Sankt Augustin. Der 41-Jährige betreibt die Schiller-Apotheke und eine Podologische Praxis in der Meckenheimer Herold-Passage. Über seine Arbeit im Impfzentrum sprach Rundschau-Mitarbeiter Volker Jost mit ihm.
Herr Groß, was ist eigentlich die Aufgabe eines Pharmazeutischen Leiters in einem Impfzentrum?
Sebastian Groß: Ich bin dafür verantwortlich, dass die im Impfzentrum tätigen Ärzte jederzeit eine ausreichende Menge an Impfstoff in pharmazeutischer Qualität zur Verfügung haben. Seit Mittwoch arbeitet das Impfzentrum vorerst unter Volllast – das bedeutet, dass jeden Tag 1800 bis 2000 Dosen verabreicht werden, manchmal sogar noch etwas mehr. Und die müssen von meinem Team aus Apothekern und Pharmazeutisch-Technischen Angestellten zeitnah und qualitativ perfekt bereitgestellt werden.
Es handelt sich dabei um eine Tätigkeit, die exaktes Arbeiten voraussetzt. Die 1000. bereit gestellte Impfung muss qualitativ der ersten entsprechen. In Sankt Augustin wird derzeit mit dem Vakzin von Biontech-Pfizer geimpft. Nach dem Auftauen von minus 70 Grad Celsius sind die Vials, das sind kleine Durchstechflaschen, fünf Tage lang haltbar. Der Impfstoff wird als Impfstoffkonzentrat bei Kühlschranktemperatur angeliefert und wird sofort in einen speziellen Arzneimittel-Kühlschrank gelagert, wo er bis zur Rekonstitution aufbewahrt wird. Alle Tagesmengen sind auf die jeweilige Patientenanzahl abgestimmt – es bleiben keine Nachtvorräte.
Was versteht man unter einer Rekonstitution?
Der zuvor tiefgefrorene Wirkstoff wird aufgewärmt und aktiviert. Deshalb muss er vor Beginn der Arbeit Raumtemperatur angenommen haben. Der Impfstoff befindet sich in einem Mehrfachdosen-Behältnis, das mit 1,8 Milliliter Kochsalzlösung vermischt wird. Dann werden sechs Dosen mit je 0,3 Milliliter entnommen. Vibrationen, Hitze und Sonnenlicht beschädigen den Impfstoff. Größte Herausforderung ist die pharmazeutische Qualität bei so vielen einzelnen Dosen am Tag.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Beim Kochen brennt manchmal etwas an. Unachtsamkeit. So etwas muss bei uns durch Prozeduren wie Vier-Augen-Prinzip und wechselnde Teams sicher ausgeschlossen werden. Präzision ist fester Bestandteil des Apothekeralltags. Das Aufziehen von 0,3 Milliliter erfordert Übung, denn es ist relativ wenig und sowohl Spritzen als auch Vials sind klein und feucht von Desinfektionsmitteln. Außerdem muss der Zeitpunkt der Verdünnung jederzeit nachprüfbar sein. Die sechs in einem Arbeitsgang hergestellten Spritzen werden daher mit Datum und Uhrzeit der Verdünnung sowie mit dem Kürzel der herstellenden Person versehen. Sollte mal etwas schief gehen, muss jeder Schritt nachvollziehbar sein, um systematische Fehler auszuschließen. Protokollierung und Kontrolle sind hier die Zauberworte.
Wie wird die Keimfreiheit der Impfdosen sichergestellt?
Wir arbeiten in einem mit Luftfiltern und Desinfektionsmitteln keimarm gehaltenen Raum. Neben der ausreichenden Bereitstellung an Impfdosen für das Zentrum ist die mikrobielle Reinheit unsere wichtigste Verantwortung. Da Pharmazeuten neben der Herstellung von Arzneimitteln in diesem Bereich Fachkräfte sind, wurde auf uns zurückgegriffen, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen.
Wie wirkt der Impfstoff eigentlich?
Beim Vakzin von Biontech-Pfizer handelt es sich um einen sogenannten mRNA-Wirkstoff, wobei mRNA für ,messenger-Ribonukleinsäure’ steht, die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Er bringt den Körper des Impflings dazu, einen bestimmten Teil des Virus selbst zu produzieren. Auf diese Virusproteine reagiert dann das Immunsystem mit der Bildung von Antikörpern, die dann sofort in Aktion treten, wenn der Impfling dem echten Corona-Virus ausgesetzt wird. So wird eine Infektion von vorneherein verhindert oder deutlich abgeschwächt.
Aktuell wird nur noch das Vakzin von Biontech-Pfizer im Impfzentrum Sankt Augustin verabreicht?
So ist es. Das sind natürlich Entscheidungen, die außerhalb der Zuständigkeit der Pharmazeuten liegen. Jeder Impfstoff zählt.
Ziehen Sie die 2000 Impfdosen pro Tag allein auf?
Um Gottes willen, das wäre schlichtweg unmöglich! Es gibt einen Pool von bis zu 600 Apothekern und PTAs im Rhein-Sieg Kreis, die sich neben ihrer täglichen Arbeit freiwillig für den Dienst im Impfzentrum gemeldet haben. Wir arbeiten derzeit im Drei-Schicht-Betrieb von 6.30 Uhr bis 19 Uhr, sieben Tage die Woche. Feiertage gibt es nicht. In jeder Schicht werden je nach Bedarf bis zu zehn Freiwillige eingeteilt: Dabei hat der „Apotheker vom Dienst“ das Kommando über die pharmazeutische Abteilung. Schließlich sind zehn Impfstraßen zu bedienen, so dass rein rechnerisch auf jeden Arzt im Impfzentrums ein Pharmazeut kommt. Auch hier gilt das Vier-Augen-Prinzip: Keine Impfdosis geht raus, die nicht zuvor auf ihre pharmazeutische Qualität geprüft wurde.
Das hört sich sehr anstrengend an . . .
Ist es auch, vor allem, weil man ein scharfes Auge braucht und ständig hoch konzentriert arbeiten muss. Wir fangen morgens anderthalb Stunden vor dem eigentlichen Impfbeginn an, damit ein definierter Vorrat an Impfdosen fertig ist, wenn die Ärzte loslegen. Anschließend arbeiten wir kontinuierlich weiter und hören etwa eine Stunde vor Ende der Impfungen auf. Dabei bemessen wir die Anzahl der Impfdosen so, dass sie genau mit der Zahl der Impflinge übereinstimmt, die für diesen Tag angemeldet sind. Auch die organisatorische Leitung des Zentrums leistet hier sieben Tage die Woche großartige Arbeit.
Und das passt immer genau?
Fast. Manchmal kann es vorkommen, dass am Ende des Tages einige wenige Impfdosen übrig sind. Das kommt daher, dass ein Vial immer komplett aufgezogen werden muss: Wenn für die letzten drei Patienten des Tages ein Vial angebrochen wird, bleiben drei Impfdosen übrig.
Was passiert dann?
Für diesen Fall gibt es eine Liste mit Personen, die wichtige Ordnungsfunktionen besitzen, beispielsweise bei der Feuerwehr oder den Rettungsdiensten. Diese werden dann informiert und ins Impfzentrum gebeten. Schließlich sind Impfdosen maximal sechs Stunden gekühlt haltbar, wenn sie einmal aufgezogen sind. Danach müssen sie vernichtet werden.
Was hat Sie dazu bewegt, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen?
Ich sehe es als meine Pflicht an, das Virus effektiv zu bekämpfen, und diese Aufgabe erledige ich mit großem Elan – manchmal zum Leidwesen meiner Frau Irena und unserer vier Kinder. Für mich ist es eine Erfüllung, ein Projekt anzupacken und von Kopf bis Fuß durchzuorganisieren. Das ist eine meiner großen Stärken, die ich gerne in den Dienst der Gesellschaft stelle. Dabei darf man nicht vergessen, dass es hier auch um eine echte Materialschlacht geht, denn täglich werden Tausende von Spritzen und Kanülen benötigt sowie sterile Einweghandschuhe, Mundschutzmasken, Desinfektionsmittel und ähnliches Material – und das muss ja auch organisiert werden. Alle im Impfzentrum sind mitunter zur Improvisation gezwungen, wenn etwa der Nachschub einmal nicht so läuft wie gewünscht, wenn Patienten sich verspäten oder Computersysteme nicht wie gewünscht arbeiten. Aber bisher ist noch immer alles gut gegangen. Was auch an dem hervorragenden Miteinander liegt, das im ganzen Impfzentrum herrscht: Hier begegnen sich Kommune, Ärzte und Apotheker auf Augenhöhe, weil alle aufeinander angewiesen sind. So wie ich auf mein herausragendes Team. Wenn eine Säule fehlt, läuft nichts mehr.
Kann eigentlich die Impfkapazität in Sankt Augustin noch erhöht werden?
Dazu kann ich als Pharmazeutischer Leiter keine Aussage treffen. Die Organisation obliegt der Kommune. Käme Impfstoff für 4000 Patienten am Tag und müssten wir die Impfstoffe zur Verfügung stellen, wäre ich dabei. Aber jetzt sind ja die Hausärzte als neue Mitspieler hinzugekommen, die einen immer größer werdenden Anteil an den Impfungen übernehmen sollen.
Die Politik hatte vor einiger Zeit auch eine Dependance des Impfzentrums in Meckenheim ins Spiel gebracht, wie steht es damit?
Darauf würde ich wenig Hoffnung setzen, meines Wissens gibt es keine Weiterentwicklung in dieser Richtung. Die Fahrzeit aus dem Linksrheinischen nach Sankt Augustin ist zwar lästig; aber solange wir keinen Impfstoff im Überfluss haben, erübrigt sich ein solches Projekt meiner Meinung nach.
Was glauben Sie, wie lange das Impfzentrum in der Sankt Augustiner Kinderklinik noch arbeiten wird?
Auf jeden Fall noch bis zum Spätsommer. Die Impfzentren bilden das Rückgrat der deutschen Impfkampagne, auf der die Hausärzte aktuell aufbauen können. Wie es dann weitergeht ist unklar: Denn immer wieder tauchen neue Virus-Mutationen auf. Am besten wäre es natürlich, wenn wir sehr zeitnah alle Mitmenschen geimpft hätten und das Virus stark zurückdrängen.