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Stadtgrün und SchwammstadtDie Klimaregion Rhein-Voreifel auf dem Weg zur Klimaneutralität

Lesezeit 9 Minuten
Die Gemeinde Swisttal förderte Balkonkraftwerke. Die Photovoltaik-Anlagen hängen am Geländer und produzieren je nach Größe etwa 500 kW/h Strom.

Die Gemeinde Swisttal förderte Photovoltaik-Anlagen für das Balkongeländer, die je nach Größe etwa 500 kW/h Strom produzieren.

Mit Projekten wie der Schaffung von Stadtgrün und der Umsetzung des Schwammstadt-Prinzips geht die Region Klimafolgen strategisch an.

Eine Region, in der bei der Flutkatastrophe 2021 Menschen ihr Leben verloren haben und Schäden in Milliardenhöhe entstanden sind, ist besonders sensibel für Themen wie Klimawandel und dem Schutz vor Klimafolgen.

Deshalb haben sich die sechs linksrheinischen Kommunen noch stärker gemeinsam auf den Weg gemacht, um Vorsorge zu treffen. Was ist seither geschehen? Und kann man die Klimaneutralität pünktlich erreichen?

„Ich bin ungeduldig. Aber eine gewisse Ungeduld ist sicher nicht ungesund“, sagt Wolfgang Paulus, Leiter des Amts für Umwelt, Klimaschutz und Stadtgrün der Stadt Bornheim. In Sachen Klimaschutz, Klimafolgenanpassung und auf dem Weg zur Klimaneutralität „könnte alles schneller gehen“, so der 65-jährige Diplom-Biologe. 1989 fing er als Umweltschutzbeauftragter bei der Stadt Bornheim an. „Man muss einen langen Atem haben“, betont er. Seit 1996 bearbeitet er das Thema Windenergie. „Noch immer steht kein Windrad im Stadtgebiet.“ Aber das ändere sich nun bald und Paulus bleibt zuversichtlich, dass die Klimaziele erreicht werden können.

Klimaschutz, Klimafolgenanpassung und Klimaneutralität. Das Bornheimer Amt arbeitet täglich an diesen Mammut-Aufgaben. Was dahinter steckt, erklärt Alexandra Bohlen (37), interkommunale Klimaschutzmanagerin der Region Rhein-Voreifel: „Im Klimaschutz geht es um alles, was Treibhausgasemission reduziert oder verhindert. Die Klimafolgenanpassung hingegen konzentriert sich darauf, einen Umgang zu lernen mit den Klimafolgen, die jetzt schon spürbar sind.“ Welche konkreten Maßnahmen umgesetzt werden müssen, um die Schäden und Beeinträchtigung durch Extrem-Niederschläge, Überflutung, Sturm und Hitze zu verhindern beziehungsweise abzumildern, ist festgehalten im Klimafolgenanpassungskonzept. Ziel ist die Klimaneutralität, also dass menschliche Aktivität das Klima nicht mehr beeinflusst.

Weil Klimaschutz ebenso wie Starkregen nicht an kommunalen Grenzen endet, entschieden sich die sechs Kommunen Alfter, Bornheim, Meckenheim, Rheinbach, Swisttal und Wachtberg zur Gründung der Klimaregion Rhein-Voreifel. Seit 2007 engagieren sich die Kommunen gemeinsam für den Klimaschutz und arbeiten mit ganzheitlichem Blick an der interkommunalen Klimafolgenanpassung. Alle vier bis sechs Wochen kommen die sechs Kommunen zusammen zur AG Klimaschutz, um sich über Sachstände und Ideen auszutauschen und gegenseitig von der Zusammenarbeit zu profitieren.

Wir sind hier mit unserem linksrheinischen Sechser-Klübchen gut aufgestellt.
Wolfgang Paulus, Leiter des Amts für Umwelt, Klimaschutz und Stadtgrün in Bornheim

Die Vernetzung der sechs Kommunen bringt alle voran, so Paulus. Jede entwickelt eigene Ideen und Schwerpunkte, von denen die anderen dann profitieren. Zudem wird vermieden, dass sich Fehler wiederholen. Zwar lade der Rhein-Sieg-Kreis ein- bis zweimal im Jahr zum Erfahrungsaustausch ein, aber die zeitlichen Abstände seien zu groß und zudem sei es zu aufwendig, alle 19 Kommunen an einen Tisch zu bringen, so Paulus: „Wir sind hier mit unserem linksrheinischen Sechser-Klübchen gut aufgestellt.“

Seit 2004 sei die Partnerschaft gewachsen, auch in Sachen Klimafolgenanpassung. „Die gab es eigentlich schon immer“, betont Paulus, „sie nannte sich damals nur anders und war auf Einzelthemen verteilt.“ Um das Konzept auf interkommunaler Ebene umzusetzen, brauchte es zusätzliches Personal. Erstmals 2015 wurde deshalb die Stelle eines interkommunalen Klimaschutzmanagers besetzt mit Tobias Gethke. Seine Nachfolge übernahm Alexandra Bohlen im Frühsommer 2022.

Zu Bohlens Aufgaben gehört es, Anreize zu schaffen, Ideen zu liefern und über Fördermöglichkeiten zu informieren. Die 37-Jährige behält den Überblick über die Klimaregion Rhein-Voreifel. Da sei es auch ein großer Vorteil, dass sie inzwischen mit ihrem Mann und den zwei Kindern in Alfter wohnt. „So bin ich immer auf dem Laufenden und verpasse nichts, was in der Klimaregion Rhein-Voreifel passiert“ sagt Bohlen. Für die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern sei das wichtig, schließlich sei deren Beteiligung maßgeblich, um die Klimaziele zu erreichen.

Klimafolgenanpassung als Pflichtaufgabe für Kommunen

Jede Kommune, die ein Klimafolgenanpassungskonzept hat, kann sich zudem für die Umsetzung personelle Unterstützung in Form eines eigenen Klimaschutzmanagers vom Bund fördern lassen. Die vier Kommunen Bornheim, Rheinbach, Swisttal und Wachtberg haben einen Klimaschutzmanager eingestellt, Meckenheim und Alfter haben personell andere Lösungen gefunden.

Am 1. Juli dieses Jahres ist das Bundes-Klimafolgenanpassungsgesetz in Kraft getreten, in NRW gibt es ein entsprechendes Gesetz schon seit Juli 2021. Deshalb geht Bohlen davon aus, dass Klimafolgenanpassung künftig mehr und mehr zur Pflichtaufgabe von Kommunen wird. Ähnlich wie die Wärmeplanung. „Die Tendenz ist klar ersichtlich“, so Bohlen: „Die Umsetzung und die Interpretation liegt dann immer noch bei den Kommunen selbst.“

Dr. Wolfgang Paulus, Leiter des Amts für Umwelt, Klimaschutz und Stadtgrün der Stadt Bornheim und Alexandra Bohlen, interkommunale Klimaschutzmanagerin der Region Rhein-Voreifel.

Dr. Wolfgang Paulus, Leiter des Amts für Umwelt, Klimaschutz und Stadtgrün der Stadt Bornheim und Alexandra Bohlen, interkommunale Klimaschutzmanagerin der Region Rhein-Voreifel.

Das Konzept hält viele Vorschläge zur Anpassung an Klimafolgen bereit. Um mit dem Konzept zu arbeiten, erklärt Paulus, müsse zunächst überprüft werden, welche der Maßnahmen priorisiert werden oder welche bereits bearbeitet und möglicherweise verstärkt werden sollten. Die Frage, die dann noch bleibt, ist: Steht genug Geld zur Verfügung? Obwohl die Summen, die in die Klimafolgenanpassung investiert werden müssen, eklatant sind, so sind sie doch niedriger als die Reparaturkosten möglicher Schäden, die hätten vermieden werden können. Das bestätige sich auch weltweit, sagt Paulus.

Würde man alles umsetzen, lägen die Kosten nach grober Schätzung für Bornheim bei rund 1,2 Milliarden Euro. Das ist illusorisch. „Die Frage ist, welche Maßnahmen man in welcher Größenordnung überhaupt umsetzten muss. Dann verteilt sich das natürlich auch auf einen großen Zeitraum“, relativiert Paulus. Lippenbekenntnisse der Politik gebe es schnell, melde man dann aber den Betrag im Haushalt an, hieße es: „Oh, das Geld haben wir aber nicht“, so Paulus' Erfahrung.

Für die Klimafolgenanpassung gibt es aber Fördergelder und im Großen und Ganzen funktioniere es auch gut, diese zu beantragen. Manchmal wird es aber doch kompliziert. So auch als es darum ging, Fördergelder für die vier kommunalen Klimafolgenanpassungsmanager in Bornheim, Rheinbach, Swisttal und Wachtberg zu bekommen. Um die Förderrichtlinien einzuhalten, musste das Klimafolgenanpassungskonzept selbst angepasst werden. Gerade weil die Anträge so umfangreich waren und das Timing genau stimmen muss, war es gut, dass die Kommunen zusammenarbeiteten, so Bohlen. Längst hätten sie gerne mit der Umsetzung begonnen, aber es hieß, warten, bis die Gelder bewilligt werden.

Es gibt aber auch Fördermittel, die deutlich einfacher zu beantragen sind. Für Begrünung und das Projekt Schwammstadt kam die Bewilligung zügig innerhalb von einigen Wochen. „Das Thema wächst noch und auch die Fördergeber müssen noch Erkenntnisse sammeln“, betont Bohlen. Von einer ersten Idee bis hin zur Umsetzung dauert es meist Jahre, erklärt Paulus: Um die Bürgerschaft mitzunehmen, müssten ständig Informationen über laufende Projekte und den aktuellen Stand geteilt werden. Sonst entstünde leicht der Eindruck, die Verwaltung täte nur, was sie wolle.

Gerade bei der Windenergie gebe es ein Akzeptanzproblem, so Paulus: „Windenergie könnten wir überall machen, aber bitte nicht bei uns.“ Mit offensiver Information könne man versuchen, da heranzugehen. „Wir machen schon viel und wir könnten noch mehr machen“, sagt Paulus. So sei auf interkommunaler Ebene aktuell der Wunsch da, Energiesparmodelle an Schulen zu thematisieren. Dabei soll es um das Verbraucherverhalten, das Einsparen von Energie und weniger CO2-Emission gehen.

Ein Beispiel für Klimafolgenanpassung, das bereits umgesetzt wird, ist mehr Stadtgrün, um das Klima an Hitzetagen erträglich zu machen. „Wir haben da jetzt schon überhitzte Verhältnisse und in 20 bis 25 Jahren wird das noch zunehmen“, sagt Paulus. Durch mehr Beschattung wird die Temperatur gesenkt, die Blätter der Bäume binden CO2.

Vom Stadtgrün bis zur Schwammstadt

Was verstärkt in allen Kommunen behandelt wird, ist die Thematik Hochwasser und Starkregen. Dabei soll auch das Prinzip der Schwammstadt helfen. Es geht darum, Regenwasser lokal zu speichern, statt es zu kanalisieren. So können Städte vor Extremwetterereignissen und Überhitzung schützt werden. Außerdem habe die regenerative Energieerzeugung in allen sechs linksrheinischen Kommunen einen hohen Stellenwert, so Paulus weiter: „Wir sind da schon gut unterwegs und auch Investoren sind interessiert, an Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen zum Beispiel.“

Welche Maßnahmen umgesetzt werden, ist in allen Kommunen ähnlich. Unabhängig davon, wie groß oder klein eine Kommune ist, der Etat ist gedeckelt und es geht überall um dieselbe Frage: Wie verteilet die Kommune die wenigen Mittel, die zur Verfügung stehen? Welche Maßnahmen zuerst umgesetzt werden, läge aber auch an den geografischen Begebenheiten. Swisttal war 2021 am stärksten von der Flut betroffen, also sei Swisttal nun besonders sensibel für künftige Ereignisse dieser Art und priorisiere in der Klimafolgenanpassung besonders die Bereiche Hochwasser und Starkregen. Bornheim als größte Kommune unter den sechs habe mehr kommunale Gebäude, deren Dächer mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet werden könnten, erklärt Paulus.

In der kommunalen Wärmeplanung sei Bornheim schon weit gekommen. Der größte Emittent seien die Ein- und Zweifamilienhäuser, die fast alle in Privatbesitz sind. „Man müsste also bei jedem Hauseigentümer Klinken putzen, um darum zu bitten, dass er seine Wärmeversorgung umstellt. Solange es keinen gesetzlichen Rahmen gibt, wäre das ein ganz dickes Brett, was man bohren müsste, um im Bereich Wärmesektor etwas zu erreichen.“

Bei einer Sanierungsquote von einem Prozent pro Jahr – und aktuell läge man sogar darunter – würde es hundert Jahre dauern, den gesamten Gebäudebestand energetisch zu sanieren. „Wenn man jetzt bedenkt, dass wir nur noch rund 20 Jahre haben bis 2045, dann ist das Ziel sehr ambitioniert. Aber die Hoffnung verlieren wir nicht.“ Bis spätestens 2045, so will es ein Bundesgesetz, soll auch die Klimaregion Rhein-Voreifel klimaneutral sein. „Das ist ein idealistisches, aber nicht utopisches Ziel“, sagt Paulus. Den mangelnden Fortschritt im Wärmesektor müsse man kompensieren durch mehr Anlagen für erneuerbare Energien.

Wenn Klimaschutz in die eigene Tasche zahlt

„Wenn der unmittelbare Effekt persönlich zu spüren ist, motiviert das“, weiß Paulus. Und lobt ein Projekt der Gemeinde Swisttal, das Photovoltaik-Anlagen für das Balkongeländer förderte. Die sogenannten Balkonkraftwerke produzieren je nach Größe etwa 500 kW/h Strom und können so etwa den Kühlschrank oder Fernseher betreiben. „Das zahlt in die eigene Tasche und hilft gleichzeitig dem Klimaschutz“, so Paulus. Außerdem seien die Balkonkraftwerke wie ein Aushängeschild für regenerativen Strom und hätten so Nachahmungseffekt.

„Tue Gutes und rede darüber“, schlägt Bohlen vor. Das könne viel bewirken, wenn es darum geht, Maßnahmen zu bewerben. „Wir müssen Vorbild sein für die kommenden Generationen“, findet Bohlen: „Das fängt schon bei der Wahl des Verkehrsmittels an. Wenn man das Fahrrad statt des Autos nehmen kann, dann sollte man das tun.“

Paulus plädiert unbedingt dafür, Maßnahmen jetzt umzusetzen und nicht noch länger zu warten. In Sachen Klimafolgenanpassung bedeute das für Bornheim, ein Stadtbaumkonzept aufzustellen, nach dem die Straßen sukzessive bepflanz werden sollen. Damit soll der sommerlichen Hitze entgegengewirkt und die Lebensqualität verbessert werden. Neben Hitze und Hochwasserschutz sind auch Dürre und Wasserverfügbarkeit in der Landwirtschaft wichtige Themen, die zeitnah angegangen werden müssen. Und da ist sie wieder, die Ungeduld: „Da tut sich schon etwas. Wir kommen zwar vom Fleck, aber nicht schnell genug“, so Paulus, der dennoch zuversichtlich ist, die Klimaziele erreichen zu können.

Es gibt auch Erfreuliches und immer wieder kleine Erfolge. So auch, dass das E-Bike-Verleihsystem, dass 2019 eingeführt wurde, erfolgreich läuft. Die Umsetzung eines durchlässigen Fahrradverleihsystems für die Region Bonn/Rhein-Sieg-Kreis, links- wie rechtsrheinisch, ist ab Mitte nächsten Jahres geplant. „Das Ehrenamt bietet für uns eine ganz wichtige Schnittstelle“, sagt Bohlen: „Denn über das Engagement Ehrenamtlicher bleibt das Thema Klimaschutz präsent“. Da sei das Projekt „Klimaschutz in kleinen Kommunen und Stadtteilen“ – kurz KlikKS, das die Themen Klimaschutz und Ehrenamt in kleinen Gemeinden und Stadtteilen verknüpft. Außerdem zeichnet das „KlimaPatenNetzwerk“ Bürger aus, die beispielsweise ihr Haus fortschrittlich sanieren. Auch nicht vergessen dürfte man „Fridays for Future“ und „Parents for Future“, die das Thema immer wieder sichtbar machen.