Liebe im LockdownWie erleben Singles die Corona-Pandemie?
- Lange Videoanrufe, Spaziergänge mit Abstand und Nachrichten im Sekundentakt.
- Wer die Corona-Pandemie als Single erlebt, braucht neue Wege, um einen Partner zu finden.
- Wie fühlt es sich an, diese Krise alleine zu durchleben? Wie leicht ist es, neue Menschen kennenzulernen?
Bonn – Als das Alltagsleben im März zum ersten Mal in den Ruhezustand versetzt wird, als die Menschen auf Distanz zueinander gehen müssen, flüchtet Emma zu ihren Eltern aufs Land nach Baden-Württemberg. Ihre Vorlesungen finden virtuell statt, die Wohngemeinschaft in der Bonner Weststadt ist urplötzlich leer. Es gibt niemanden, der dafür sorgt, dass Emma während des Lockdowns in der Stadt bleiben möchte.
Der Freundeskreis, den sie in den ersten beiden Semestern kennengelernt hat, zerstreut sich in alle Himmelsrichtungen – und einen Partner, mit dem sie die Ausnahmesituation gemeinsam durchleben könnte, gibt es nicht. Emma, die eigentlich anders heißt, möchte in der Zeitung anonym bleiben. Sie ist einer der 18,6 Millionen Singles, die laut Angaben des Statistischen Bundesamts aktuell in Deutschland leben.
Pandemie macht vor niemandem Halt
Die Pandemie macht vor niemandem Halt. Sie stellt jeden Einzelnen in dieser Gesellschaft vor noch nie dagewesene Herausforderungen. Und dabei ist längst nicht jeder von einem stabilen Umfeld umgeben, das Sorgen und Ängste auffangen kann. Nicht wenige wünschen sich in dieser Ausnahmesituation einen Partner an ihrer Seite. Doch wie fühlt es sich an, diese Krise allein zu erleben?
Wie leicht ist es, jemanden kennenzulernen, um aus dem alleinstehenden Beziehungsstatus einen vergebenen zu machen? Emma zögert, wenn sie über diese Fragen nachdenkt. Sie wisse nicht, ob sie gerade überhaupt jemanden sucht, sagt sie Ende November, als sie in der Küche ihrer Wohngemeinschaft steht und Kaffee in einem Espressokocher zubereitet.
Seit den Sommermonaten zurück
Nachdem sie den ersten Lockdown vollständig in ihrem kleinen Heimatdorf verbrachte, ist sie seit den Sommermonaten zurück in Bonn. Und anders als beim ersten Mal verspürt sie selbst jetzt, wo der zweite Lockdown längst Realität geworden ist, immer noch nicht den Impuls, diese Stadt wieder zu verlassen. „Wir haben das ja schon einmal durchlebt“, sagt sie.
Emma ist seit sechs Jahren Single. Grundsätzlich sei sie bereit für eine Beziehung, sagt sie. Doch den richtigen Mann habe sie bisher noch nicht getroffen. Die 24-Jährige studiert „Agricultural Business und Economics“ im dritten Mastersemester. Wo sie im kommenden Jahr leben wird, weiß sie jetzt noch nicht. Wenn es die Pandemie zulässt, wird sie die Monate nach Silvester im Ausland verbringen. Das Spiel mit der Liebe passt deshalb ohnehin nicht so ganz in ihren Alltag.
Das Kennenlernen während der Pandemie
Zu unbeständig, zu wenig planbar ist ihre Zukunft. Trotzdem hat sie während des Sommers mehrere Männer kennengelernt, entweder über gemeinsame Freunde oder die beliebte Dating-App Tinder, die in Deutschland knapp 5,8 Millionen Nutzer zählt. „Jemanden kennenzulernen war diesen Sommer so leicht wie noch nie“, sagt Emma. „Vielleicht, weil wir alle offener waren.“ Offener, sich auf jemanden einzulassen. „Immerhin waren wir vorher alle voneinander getrennt.“
Geblieben ist von diesen Männern allerdings niemand. Und jetzt, im zweiten Lockdown, ist Emma wieder vorsichtiger geworden. Ohnehin hat sich das Datingverhalten im Jahr 2020 massiv gewandelt. Statt neue Menschen draußen kennenzulernen, beim Feiern in der überfüllten Eckkneipe, auf der Tanzfläche im Club oder in der ersten Reihe beim Konzert der Lieblingsband, suchen Singles nun virtuell nach neuen Kontakten. Zum einen, weil es derzeit eben nicht anders geht, schließlich pausiert das Alltagsleben zum zweiten Mal.
Neue und ungekannte Hindernisse
Zum anderen, weil die Pandemie für neue, bislang ungekannte Hindernisse sorgt. Denn wie nah dürfen sich zwei fremde Menschen inmitten einer Pandemie überhaupt bedenkenlos kommen? Das Geschäft mit der digitalen Liebe boomte bereits vor Beginn der Kontaktbeschränkungen. Laut einer Studie des IT-Branchenverbandes Bitkom haben 33 Prozent aller volljährigen Deutschen mindestens einmal in ihrem Leben Dating-Plattformen im Internet genutzt.
Das entspricht knapp 21 Millionen Nutzern. Im vergangenen Jahr erzielte etwa die Match-Group, zu der unter anderem auch Tinder gehört, umgerechnet 1,74 Milliarden Euro Umsatz. Die Werbebranche suggeriert, dass ein alleinstehender Mensch ein unglücklicher sein muss. Dieser Marketingtrick scheint schon lange zu funktionieren. Und während der Coronakrise erst recht.
Online-Partnersuche hat sich intensiviert
Seit März hat sich die Partnersuche auf digitalen Plattformen intensiviert. Das gab die Match-Group kürzlich in einer Pressemitteilung bekannt. Im Durchschnitt schickten etwa Tinder-User während der Selbstisolation zwischen März und Juni um 52 Prozent mehr Nachrichten als vor dem Lockdown. Europaweit galten vor allem die Spanier als besonders mitteilungsbedürftig, sie schickten doppelt so viele Nachrichten wie üblich. Auch in Italien wurden um 67 Prozent mehr potenzielle Partner gesichtet. Der höchste Wert weltweit.
Doch warum bestimmt die Suche nach der Liebe das Leben so vieler Menschen? Weshalb ist es wichtig, seinen Alltag, seine Erlebnisse, seine Gedanken mit jemandem teilen zu können? „Eine glückliche und stabile Partnerschaft bedeutet für die meisten Menschen eine hohe Lebenszufriedenheit und stellt die Grundlage für das Wohlbefinden dar“, schreiben die Psychologen Horst Heidbrink, Helmut Lück und Heide Schmidtmann. Eine Beziehung gehöre zu den am meisten herbeigesehnten Lebenszielen und sei ein wichtiger Faktor für die psychische und physische Gesundheit.
Der Mensch ist nicht dafür gemacht, alleine zu sein
Das bestätigt auch Susanne Helbig, Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung an der Universität Bonn. „Viele berufen sich im Lockdown auf ihren Partner, um Zweisamkeit zu erfahren“, sagt die 32-Jährige. In einer Beziehung gebe es die Sicherheit, dass da zumindest eine Person ist, der man nahe sein kann. „Das ist für Singles, die alleine leben und soziale Kontakte meiden, derzeitig ein Problem.“
Der Mensch sei nicht dafür gemacht, alleine zu sein. „Eine gewisse Zeit lang lässt sich dies vielleicht kompensieren, auf lange Sicht gesehen führt so eine Bedürfnisdeprivation häufig zu ungesunden Bewältigungsmechanismen.“ Im schlimmsten Fall seien dies etwa Depressionen. Die Psychologin betont allerdings, dass es dabei stets auf die eigene Perspektive ankomme. „Ich kann jetzt zu Hause sitzen und mich ärgern, dass ich gerade niemanden kennenlernen kann. Ich kann stattdessen aber auch die Zeit nutzen, um herauszufinden, wer ich selbst bin und wonach ich eigentlich suche.“
Abhängigkeit von eigenen Lebenszielen
Wie glücklich Singles durch die aktuelle Krise gehen, hänge auch damit zusammen, welche Lebensziele sie für sich definiert hätten. „Es kommt auf die Prioritäten an: Will ich Familie oder Karriere? Will ich alleine sein oder vergeben?“, resümiert Helbig. Gerade für Menschen, die nach Bindung streben, reiche es nicht unbedingt aus, Nähe bei Freunden und der Familie zu suchen.
So ist es beispielsweise bei einer Bekannten von Emmas Mitbewohnerin: Alina lebt seit sechs Jahren in Bonn, kam zunächst zum Studium in die Stadt, arbeitet seit drei Jahren in der Medienbranche – und war bereits vor der Pandemie auf der Suche nach einem Partner. Bislang aber erfolglos. Der Lockdown hat die Situation für sie erschwert. „Natürlich kann ich mich noch mit einigen wenigen Freunden treffen“, sagt die 31-Jährige. Doch sei dies für sie einfach nicht dasselbe wie Nähe in einer Partnerschaft.
Unterhaltsame virtuelle Gespräche
Während des Sommers installierte Alina die Dating-Plattform Parship auf ihrem Smartphone. Sie zahlt dafür mehr als 50 Euro im Monat – obwohl der Erfolg der Partnersuche im Vorfeld nicht absehbar ist. In Deutschland zählt die App 5,4 Millionen Nutzer. Die virtuellen Gespräche seien unterhaltsam gewesen, sagt Alina, einen der Männer wollte sie dann persönlich kennenlernen. Vor dem ersten Treffen war sie aufgeregt und machte sich große Hoffnungen.
Wenn die digitale Unterhaltung schon so leicht falle, dann müsse dies doch auch in der Realität so sein – dachte Alina zumindest. Denn als sie dem Unbekannten schließlich persönlich gegenüberstand, sei sie enttäuscht gewesen, sagt sie heute. „Die Chemie stimmte nicht.“ Sind Enttäuschungen im Online-Dating also programmiert? Nicht unbedingt. Doch Psychologin Helbig betont: „Gestik und Mimik, Geruch und gemeinsame Erlebnisse spielen eine große Rolle, wenn man jemanden kennenlernt.“ In der digitalen Welt fehlen diese Faktoren überwiegend. „Häufig merkt man erst im direkten Kontakt, ob es zwischen zwei Personen wirklich passt.“
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Wann das Leben wieder in vorhersehbaren Bahnen verläuft, wann Singles ohne Bedenken auf Dates gehen können, wann es wieder leichter wird, Menschen in alltäglichen Begegnungen kennenzulernen, ist noch lange nicht absehbar. „Die Nähe fehlt“, befindet auch Emma. Ja, diese Krise sei belastend, doch sie versuche, nicht zu weit in die Zukunft zu blicken. „Ich habe das Gefühl, es geht alles etwas leichter, wenn ich mich darauf konzentriere, was ich in diesem Moment machen kann“, sagt die Studentin. „Es bringt ja nichts, sich jetzt verrückt zu machen.“ Alles im Leben habe einen Endpunkt. Auch diese Pandemie. Das sei nur eine Frage der Zeit.