Alle Altersklassen15 000 Teilnehmer demonstrieren friedlich auf der Hofgartenwiese
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Bonn – „Wir schreiben hier gerade Geschichte“, war sich Noah Rosenbrock sicher. Der Mitorganisator der „Fridays for Future“-Demos (FFF) in Bonn blickte stolz auf die Hofgartenwiese, auf der sich Menschen jeder Altersklasse tummelten. Zum Beginn der Klimastreikwoche, die in über 550 Städten Deutschlands gestern begann, kamen 15 000 Teilnehmer, die nach der Kundgebung an der Uni durch die Stadt zogen. Laut Polizei blieb es friedlich.
Mit gutem Beispiel voran
Die Protestierenden, die auf Maßnahmen gegen den Klimawandel pochen, gaben sich nicht nur stimmgewaltig, sondern hatten auch die obligatorischen Plakate gemalt. Abwechslung war Trumpf. „We rise like the temperature“ („Wir wachsen wie die Temperatur“) stand auf dem Schild, das Lisa aus Swisttal hochhielt. Die 13-Jährige war mit ihrer Mutter da, die sie nicht lange überreden musste, mitzukommen: „Ich habe mir heute extra freigenommen. Alle sollten mitmachen, das Thema muss den Menschen bewusster werden“, sagte Petra Brunsch.
Sie forderte eine Reaktion der Politik und geht mit gutem Beispiel voran. „Wir essen weniger Fleisch und fahren weniger mit dem Auto“, stellte Lisa klar. Sie besucht das St. Joseph-Gymnasium in Rheinbach, das sie gern „grüner“ gestalten würde. Dort gibt es einen Kompromiss, der vom Schulschwänzen abhalten soll, aber dennoch die Möglichkeit bietet, sich zu engagieren: „In der ,Fridays for Future’-AG greifen wir die Themen auf und diskutieren sie.“ Trotzdem bevorzugen laut Lisa einige Mitschüler die Besuche der Demos.
Von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Bonn kamen Peter Saile und seine Kollegen. Eher durch Zufall wurde er auf den Start der Streikwoche aufmerksam. „In der Innenstadt bin ich fast über einige Jugendliche gestolpert, die auf dem Pflaster lagen und sich nicht bewegt haben. Ich habe einen Flyer eingesteckt und herumgezeigt“, erklärte Saile. Er war 1983 anwesend, als die Menschen an demselben Ort gegen den Nato-Doppelbeschluss und das damit verbundene Wettrüsten im Kalten Krieg zwischen Ost und West demonstrierten. Damals kamen 300 000 Teilnehmer. Diese Zahl erreichten die Klimaaktivisten nicht.
Verantwortliche sind zufrieden
Dennoch herrschte Zufriedenheit bei den Verantwortlichen. Zwei Monate tüftelten sie an ihren Plänen, bei der Umsetzung erfuhren sie viel Unterstützung. Spenden aus privaten Kreisen, Gelder der FFF-Bundesvertretung und deutlich vergünstigte Preise ermöglichten ihnen, mehrere Bühnen und eine Rampe für Rollstuhlfahreraufzustellen und einen Gebärdendolmetscher zu engagieren: „Der Aufwand hat sich gelohnt, wir haben zwei Monate lang intensiv geplant und auf unsere Freizeit verzichtet“, freute sich Rosenbrock. Viele Helfer hatten kaum Schlaf in der Nacht zuvor, denn die Aufbauarbeiten begannen bereits um 5.30 Uhr. Andere saßen während der Veranstaltung in der Schule, da gerade Klausurenphase ist. Entsprechend dankbar war die FFF-Gruppe den „Parents for Future“, die sich auch einbrachten.
Einen besonderen Punkt betrachtete der Caritas-Fachdienst für Integration und Migration von Haus Mondial, der wie viele weitere Gruppierungen aus der Region vor Ort war: „Uns interessieren vor allem die Fluchtursachen durch den Klimawandel“, erläuterte Gabi Al-Barghouthi. Sie attestierte den Schülern allgemein, schon viel geschafft zu haben.
Den Nachwuchs behutsam an das Thema heranführen
Im Laufe der Woche campieren einige Teilnehmer auf der Hofgartenwiese. Jeder Tag hat ein anderes Motto, es finden zahlreiche Workshops und Vorträge statt, bis die Streikwoche am 27. September endet.
Klimaschutz
Das Parken in der Bonner Innenstadt soll teurer werden, und die Stadtverwaltung soll verstärkt fürs Jobticket werben. Das sind zwei Vorschläge der Jamaika-Koalition des Stadtrats, die sie passend zum Klimastreik vorgelegt hat. CDU, FDP und Grüne fordern eine Arbeitsgruppe, die innerhalb der nächsten drei Monate eine Liste von Maßnahmen zur Förderung des Klimaschutzes vorlegen soll. Dazu gehört laut Koalition die verbindliche Nutzung von Sonnenenergie auf städtischen Gebäuden und Fassaden wie dem Stadthaus und der Vorrang von Rad- und Fußgängerverkehr. Außerdem sollen die Schadstoffemissionen an städtischen Gebäuden gesenkt sowie mehr Bäume im Kottenforst und in den Stadtbezirken gepflanzt werden, um Kohlendioxid aufzunehmen. (dbr)
Rosenbrock besucht das Gymnasium Rheinbach. Dort werden die Fehlstunden als unentschuldigt angerechnet, auf Bußgeldbescheide will die Schule aber laut Rosenbrock verzichten: „Das NRW-Schulministerium und die Bezirksregierung haben Druck auf die Schulleitung aufgebaut, die nun Angst vor Sanktionen hat. Dabei hat unser Protest nichts mit Schuleschwänzen zu tun“, stellt der 16-Jährige klar und verweist auf die aus seiner Sicht enttäuschenden Ergebnisse des Klimakabinetts vom Donnerstag. Bei der Kundgebung unterstrichen er und seine Mitstreiter ihre Forderungen: Kohle- und Atomausstieg, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Das konnten aber nicht alle hören, da die Beschallung nicht jeden auf der Hofgartenwiese erreichte.
Mittendrin: knapp 20 Kinder aus einer Klasse des Friedrich-Ebert-Gymnasiums in Bonn. Einige Elternteile waren mit ihrem Nachwuchs da, sie wollen die Zehn- bis Elfjährigen ans Thema heranführen. Wirklich bewusst sei den Mädchen und Jungen noch nicht, worum es gehe. Doch sie hätten sehr wohl mitbekommen, dass es sich um etwas Wichtiges handele, so Stephanie Galata. Die Kleinen stellten sich an die Adenauerallee, um Autofahrer auszubuhen und Radfahrern zu applaudieren.
Etwas ruhiger ließ es Peter Schürkes angehen. Mit seinem Schild „30 Jahre Schlaf sind zu viel“ protestierte er auf einer der Bühnen. „Ich war selbst lange aktiv, aber es hat nicht funktioniert.“ Der 76-Jährige tut es Greta Thunberg gleich. Jeden Freitag steht er von 11 bis 12 Uhr auf der Hauptstraße in Rheinbach. Das war bereits 13-mal der Fall. Die 14. Auflage seines Protests findet erst am 4. Oktober statt, denn zum Ende der Streikwoche am kommenden Freitag wird Schürkes an der Abschlussveranstaltung in Bonn teilnehmen, die mit einer Kundgebung auf dem Münsterplatz um 11 Uhr beginnt.