Körperliche Gewalt gegen Politiker ist in der Region kein Problem, wohl aber Schmierereien und Beschimpfungen.
EuropawahlParteien in Köln und Region berichten von ansteigender Aggressivität
Die Angriffe auf den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke in Dresden gehen auch an den Parteimitgliedern in Köln und der Region nicht spurlos vorüber. Achtsam will man in den kommenden Wochen des Vorwahlkampfs sein. Das Motto „Flagge zeigen“ ist allerorten zu hören. Ecke war, wie berichtet, von mehreren Angreifern beim Aufhängen von Wahlplakaten derart attackiert worden, dass er Frakturen im Gesicht erlitt und im Krankenhaus operiert werden musste.
Bonn
Der Bonner SPD-Vorsitzende Gabriel Kunze sagte der Rundschau, dass „die Attacke schon einige unserer Wahlhelfer ins Grübeln gebracht hat. Das ändert aber nichts an unserer Motivation, nach außen für unsere Positionen einzutreten.“ Als stärkste Kraft in der Bundesregierung hätten die SPD-Wahlkämpfer an den Informationsständen in den vergangenen Wochen einiges an Kritik einstecken müssen: vom eingeführten Bürgergeld bis zum Heizungsstreit in der Ampelkoalition. Von Tätlichkeiten sei ihm allerdings nichts bekannt. „Verbale Entgleisungen gibt es hin oder wieder, mehr in den Innenstädten als in den Ortsteilen“, sagte Kunze. In den kommenden Tagen werde die Partei noch einmal mit den Wahlhelfern sprechen und dazu raten, an den Infoständen und beim Plakatieren möglichst nicht alleine unterwegs zu sein.
Der CDU-Kreisvorsitzende Christoph Jansen schätzt, dass seine Partei in den vergangenen drei bis vier Wochen eine dreistellige Zahl von Wahlplakaten erneuern musste, weil sie entweder zerlegt oder weggenommen wurden. „Das hat schon zugenommen.“ Von Übergriffen auf Wahlhelfer ist auch ihm nichts bekannt. Jansen nimmt aber wahr, dass Entgleisungen und Beschimpfungen in den Weiten des Internets nicht erst seit dem Wochenende auch zu einer enthemmteren Sprache bei Begegnungen führten.
Er erinnert in diesem Zusammenhang an die Anfeindungen des für Bonn wieder antretenden CDU-Europaparlamentariers Axel Voss bis hin zu Bombendrohungen auf sein Büro. Voss war Berichterstatter der umstrittenen EU-Urheberrechtsreform in Brüssel. Für „sehr bedenklich“ hält Jansen diese Entwicklung auf kommunalpolitischer Ebene. „Wenn wir niemanden mehr finden, der bereit ist, sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik zu engagieren, wird die Säge an die Demokratie angelegt.“ Gerade deshalb sei es wichtig, als demokratische Partei weiterhin Wahlkampf direkt bei den Bürgern zu machen und sich nicht beirren zu lassen.
Rhein-Sieg-Kreis
An der Kreisstraße 17 in Ruppichteroth haben Unbekannte einen Aufsteller der Grünen-Spitzenkandidatin mit rechten Parolen beschrieben. Wörter wie „AfD Vaterland“ und „Volksverräter“ — mit Rechtschreibfehler — sind dort zu lesen, außerdem „1161“, ein in rechten Kreisen verwendeter Code für „Anti-Antifacist-Action“: gegen antifaschistische Gruppen, soll das bedeuteten.
Die Empörung von Ruth Kühn, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Ruppichteroth, hat sich in Trotz umgewandelt. „Wir haben Anzeige erstattet, aber uns dagegen entschieden, drüber zu plakatieren. Wir sind der Meinung, dass sich eine Gesellschaft dafür schämen und so etwas verhindern muss“, sagt sie. Die mit rechten Parolen beschmierten Plakate seien „eine Art Mahnmal“.
Dass die Verantwortlichen aus Ruppichteroth kommen, glaubt Kühn nicht. „Das ist eine Kampagne, die von irgendwo gesteuert wird. Nazis gibt es überall, in der Stadt wie im Ländlichen.“ Es helfe nicht, als Kommune mit dem Finger auf andere zu zeigen.
„Parteien müssen fraktionsübergreifend zusammenarbeiten, sauber analysieren und entsprechende Maßnahmen treffen, ohne die falschen Menschen zu pauschalisieren.“ Das gelte nicht nur für Parteien, sondern für auch andere demokratische Kräfte.
Es sind nicht nur körperliche Übergriffe, die Wahlkampfhelferinnen und -helfer fürchten, es ist auch die unterschwellige Bedrohung durch das Beschmieren von Wahlplakaten. Auf ein Plakat der FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Hennef hat jemand „Mörder“ geschrieben, sagt Kurt Lausus, Pressesprecher der FDP in Hennef. Die tätlichen Angriffe auf Politikerinnen und Politiker im Land machen ihm Sorgen. „Vor 20, 30 Jahren hätte ich mich noch wehren können, jetzt gehe ich auf die 80 zu. Wenn da einer beim Plakatieren die Leiter umtritt, habe ich nichts zu lachen.“
Vor ein paar Tagen sei er in Siegburg persönlich angegangen worden. „Jemand hat mich aufgefordert, sofort die Stadt zu verlassen. Ich weiß nicht, ob der mich erkannt hat, vielleicht war das auch nur ein Spinner“, sagt der Hennefer. Er selbst möchte noch ein paar Plakate in seinem Wohnort Bröl aufhängen. „Das mache ich nicht alleine, schon aus praktischen Gründen.“ Ihm bereite die Kommunalwahl im kommenden Jahr Sorge, die nach jetzigem Stand der Planung zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfinden soll. „Ich fürchte, dass da nicht mehr differenziert wird und die Leute Sachen an uns Kommunalpolitikern auslassen, über die sie sich auf Bundesebene ärgern“, sagt Lausus.
Rhein-Erft-Kreis
„Ich finde es erst mal gut, dass man sich hier informieren und diskutieren kann, bestenfalls mit Argumenten“, sagte Passantin Kerstin Fischer. Die Zunahme von Gewalt und Hass machten ihr Angst. „Ich möchte das Feld vor allem nicht rechtsextremen Kräften überlassen. Ich werde wählen gehen“, ergänzte Rene Schmitz.
„Uns haben die jüngsten Überfälle auf Politiker schwer erschüttert, aber die Mitglieder haben keine Angst, ihren EU-Wahlkampf fortzusetzen“, betonte der Vorstandssprecher der Grünen, Robert Saß. So seien die Infostände immer mit mehreren Parteimitgliedern besetzt und auch Plakate würden nicht allein aufgehängt. Bereits in der Vergangenheit hätten die Grünen-Mitglieder heftige verbale Auseinandersetzungen, oft auch im digitalen Raum, erlebt. „Unsere Politik polarisiert. Wir erleben aber auch gerade vor Ort eine Phase, wo wir eine starke Wählerbasis haben.“
Am Tisch der Linken befand Sprecher Karsten Peters: „Die Menschen hier sind aufgeschlossen“. Jetzt erst recht präsent zu sein, sei ihnen wichtig. Oft gehe es in Gesprächen darum, demokratische Prozesse verständlich zu machen. Notwendig sei eine bessere Aufklärung über Desinformation im Netz, „um gerade den rechtsextremen Inhalten und Ideologien in den sozialen Medien viel mehr entgegenzusetzen“, betonte seine Mitstreiterin Sirin Seitz.
Aus der Statistik des BKA geht hervor, dass mit mehr als 10.500 Straftaten gegen Parteienvertreter zwischen 2019 und 2023 bundesweit diese Zahl gestiegen ist. Die Übergriffe betreffen alle Parteien, zuletzt häufig die Grünen und die AfD. „Das ist jetzt unsere vierte oder fünfte Veranstaltung in der Innenstadt“, sagte der Sprecher des AfD-Stadtverbandes, Jobst Schmidt. „Wir haben aktuell keine Übergriffe erlebt, wir informieren die Bürger über unser Programm.“
Oberberg
„Ein leichtes Schieben oder Anspucken haben wir aber leider schon erlebt und nehmen das sehr ernst“, berichtet Jan Köstering, Kreissprecher Die Linke. Erst recht nach einem Vorfall im Jahr 2020, als eine damalige Sprecherin der Linke Oberberg Morddrohungen – vermutlich von einem rechtsextremistischen Absender – erhalten hatte. „In der Regel geben wir so etwas zur Anzeige, aber nicht immer. Denn mit einer Anzeige ist auch die Privatadresse in der Polizeiakte vermerkt und könnte im schlimmsten Fall von Kriminellen abgerufen werden“, so Köstering. Plakatiert werde in seiner Partei nur noch zu zweit und auch an Infoständen stehe niemand alleine.
Die AfD Oberberg müsse sich derweil seit Jahren „mit Beleidigungen auseinandersetzen“, sagt der Kreisvorsitzende Bernd Rummler – ob an Infoständen oder an der Kreisgeschäftsstelle in Gummersbach-Vollmerhausen, an der bereits mehrere Demos stattfanden. Das Plakatieren habe man bereits an einen Dienstleister abgegeben. Fast täglich werden heruntergerissene Plakate neu aufgehängt.
Köln
Tätliche Angriffe auf Politiker und Wahlkampfhelfer hat es in Köln bisher nicht gegeben, doch mehrere Parteien berichten auf Anfrage von einer wachsenden Aggressivität im Europawahlkampf. Die Grünen sprechen von einer „zunehmenden Enthemmung am Wahlkampfstand“. Beleidigungen hätten zugenommen, sagt Kreisgeschäftsführerin Lisa Schopp. „Das hat eine andere Qualität als früher. Man merkt, dass sich viel Kritik auf die Grünen konzentriert.“ Der Vorsitzende der Grünen in der Bezirksvertretung Nippes habe Hassbriefe erhalten, man habe Anzeige erstattet. „Wir lassen uns nicht einschüchtern“, so Schopp.
Die Kölner FDP berichtet, Schmierereien auf Wahlplakaten der Liberalen würden sich vor allem gegen FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann persönlich richten. „Da zeigt sich eine Verrohung in der Sprache, wie man sie auch aus dem Netz kennt“, so Kölns FDP-Chef Lorenz Deutsch. An Wahlkampfständen habe man bisher keine negativen Erfahrungen gemacht. „Jedoch wurde eines unserer Teams beim Plakatekleben in Kalk so aggressiv beleidigt und bedroht, dass es seine Aktion abgebrochen hat.“
SPD und CDU haben in Köln bisher keine außergewöhnlichen Attacken auf Wahlkampfstände erlebt.