TV-VorschauIm neuen „Tatort” wirkt Berlin wie eine Karikatur
Berlin – Die Miete wird erhöht, ach was, die Miete wird verdoppelt – das reicht als Basis in Berlin derzeit, um einen schnurgeraden Klassenkampfkrimi zu drehen. Die Eheleute in der kleinen Wohnung ballen keine Faust, aber sie gucken traurig, wie in den Zeiten von Zille, als Berlin in feuchten Hinterhöfen darauf wartete, dass die Moderne endlich Einzug hält. Am besten gleich mit einem Mietendeckel.
Die Preise steigen, die Menschen purzeln
Der Deckel wird im neuen “Tatort: Das perfekte Verbrechen” (Regie: Brigitte Maria Bertele, Drehbuch: Michael Comtesse) über Bord geworfen. Kein Maß regiert in diesem Film, nirgends gibt es Halt, die Menschen purzeln und die Preise für die eigenen vier Wände steigen. Man könnte das als Kommentar zur Lage auf dem Immobilienmarkt verstehen, um daraus einen Film mit Emotion und einer Spur von Analyse zu entwickeln. Doch man kann es auch verschenken und bequem zu den vertrauten Fratzen greifen, wie es dieser “Tatort” tut.
Für „Tatort“-Fans
„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.
Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.
Nein, Benjamin (Anton von Lucke) ist keine Fratze, er ist ein hochbegabter Junge, Sohn der Eheleute, deren Miete ungesunde Purzelbäume schlägt. Er wohnt in einem Kinderzimmer, dessen Mief und Mittelmäßigkeit er umstandslos entkommen will. Darum studiert er Jura an der School of Law, 25.000 Euro kostet das pro Halbjahr. Wie soll das gehen, wenn schon die Eltern kaum den Strom bezahlen können?
Ein Junge stolpert wie ein Welpe durch den „Tatort”
Sein Leiden an der Herkunft wird verjuxt, wenn er sich von den reichen Freunden deren Luxusauto leiht, um Luise (Paula Kroh) zu gefallen. Die schaut entgeistert. “Spinnst du?”, fragt sie. “Ich dachte, du freust dich”, sagt Benjamin, treuherzig wie ein Welpe stolpert er durch diesen “Tatort”. Es ist dürftig, wie der Film soziale Gräben zieht. Das Mitgefühl des Publikums richtet sich nicht aufs Schicksal dieses jungen Mannes, sondern auf die Arbeit des Ensembles, das Texte aufzusagen hat, von denen es nicht überzeugt ist.
Am deutlichsten wird das bei Meret Becker, die als Kommissarin Nina Rubin nur noch Dienst nach Vorschrift schiebt. Es ist ihr elfter “Tatort” aus Berlin, im Frühjahr 2022 macht sie Schluss. Doch die Frage bleibt, wie sie auf einer derart kleinen Flamme weitere vier Filme drehen will, die vertraglich zugesichert sind, bis ihr Corinna Harfouch folgt.
Der Lorbeer des Berliner „Tatort” scheint verwelkt
Für die Folge „Meta” aus dem Februar 2018 erhielt der Berliner „Tatort” den Grimmepreis spezial. Erst zwei Jahre her, doch dieser Lorbeer scheint verwelkt. Becker, eine begabte Anarchistin, hat sich mit Mark Waschke, der den psychologisch geschulten Macker und Ermittler Robert Karow spielt, auf ein Stillhalteabkommen geeinigt – mehr lässt sich zur Dynamik der beiden im aktuellen Film nicht sagen.
Um die Story zu umreißen: Benjamin sucht die Gelegenheit zum Aufstieg bei den reichen Jungs in seinem Studium, verzogene Söhne von mental kaputten Vätern. Sie zwingen ihn zur Aufnahmeprüfung, er soll sich mit Männern von der Straße schlagen, um ins Netzwerk zu gelangen, wo sie ihm gute Jobs versprechen. Zweite Übung: Über das “perfekte Verbrechen” muss er referieren. Doch dann wird Mina (Yun Huang) erschossen, eine Freundin von Benjamins Freundin Luise, vor aller Augen, mitten in der Stadt.
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Stammt der Täter aus dem Zirkel der verkommenen Studenten, die ihre Jagdgewehre streicheln, sich in lateinische Phrasen flüchten und unverdaut von Nietzsches Übermensch erzählen? Ihre Anwältin kann von den Fehltritten dieser Bagage bestens leben, sie fährt Porsche.
Milieus sind so unsauber gezeichnet, dass es wehtut
Die Milieus sind derart unsauber gezeichnet, dass es schmerzt. Wo hört das Leben auf, wo beginnt die Karikatur? Mit der Oberschicht konnte die “Tatort”-Reihe noch nie umgehen. Ja, das ist ein schwieriges Feld, man braucht das Fingerspitzengefühl des britischen Upper-Class-Stücks “The Riot Club” aus dem Jahr 2014, um eine Form von Tiefe in den Film zu kriegen. Im “Tatort” wurde dieser Blick verschenkt. Es wirkt nicht so, als wäre er gesucht worden.