Serie „Babylon Köln“Der gescheiterte Banker Joseph Goebbels
- Auch Köln war in den 20er Jahren geprägt von einer ausschweifenden Lust am Leben, aber auch von Kriminalität und Gewalt.
- In unserer Serie „Babylon Köln“ schildern wir spektakuläre Fälle dieser Zeit. Heute: Goebbels Laufbahn als gescheiterter Banker.
Köln – Missmutig trat ein 25 Jahre alter promovierter Germanist aus Rheydt im Niederrhein am 2. Januar 1923 bei der Dresdner Bank in Köln, Unter Sachsenhausen 5-7, seinen Dienst an. Niemand konnte ahnen, dass er bald schon für den Tod unzähliger Menschen verantwortlich sein sollte. Paul Joseph Goebbels fühlte sich eigentlich zum Schriftsteller berufen. Während seines Studiums hatte er unter anderem „verzweifelte Gedichte“ verfasst. Hoffnungsvoll hatte er seine Werke unter anderem der Kölnischen Zeitung angeboten.
Alle Verleger hatten dankend abgelehnt. Seit seiner Promotion im November 1921 drängte nun seine finanziell klamme Familie, er solle sich einen ordentlichen Beruf besorgen. Aber woher den nehmen in Zeiten der Wirtschaftskrise? Hilfe kam von Goebbels Freundin, der Lehrerin Else Janke, Tochter einer jüdischen Mutter. Dank der Beziehungen ihrer Verwandten kam Goebbels als Depotbuchhalter bei der Dresdner Bank in Köln unter. Froh war er darüber aber nicht.
Inflation erschwerte das Leben in den 20er Jahren
Kurz nach Dienstantritt, am 11. Januar 1923, marschierten Truppen ins Ruhrgebiet ein. Deutschland war mit den im Versailler Vertrag festgelegten Reparationszahlungen für den Weltkrieg im Verzug. Frankreich und Belgien fühlten sich somit berechtigt, Besitztümer ihres Schuldners zu pfänden. Die Deutsche Regierung rief zu passivem Widerstand auf. Der sogenannte Ruhrkampf begann. Der war kostspieliger, als es sich die klamme Weimarer Republik leisten konnte. Das notwendige Geld wurde einfach gedruckt. Die Folge: Hyperinflation. Gespartes löste sich in Luft auf. Auf der Straße wurde getuschelt. Pure Absicht sei das von der deutschen Regierung. Alle Welt solle sehen, dass die deutsche Wirtschaft nach dem Krieg am Boden liege und die immensen Reparationsforderungen der Siegermächte einfach nicht bewältigen könne.
Das Buch
In „Die Insel der Seligen“ beschreibt Anselm Weyer, wie die Menschen in Köln nach dem Ersten Weltkrieg gezeichnet waren von Hunger und Not, wie begehrt, gehasst, geraubt und gemordet wurde. Das Buch ist aus der Rundschau-Serie „Babylon Köln“ heraus entstanden.
20 Kriminalfälle sind in der Reihe seit dem November 2020 erscheinen. Vom Giftmord, über blutige Kämpfe um Kartoffelsäcke bis zur Brandstiftung in Dünnwald.
Die Geschichten spiegeln immer auch die Zeit der Weimarer Republik und rücken die politischen Unruhen ins Zentrum. Etwa den Anschlag auf den Politiker Joseph Smeets 1923, dem ersten „Fall“ der Serie. Mit dem Buch setzt auch die Rundschau die Serie Babylon Köln fort.
Anselm Weyer: Insel der Seligen, Köln 1918 - 1926, Greven-Verlag, 176 Seiten, 16 Euro.
Was ist schlimmer für einen Germanisten, der sich zum Dichter berufen fühlt, als in der Buchhaltung einer Bank zu arbeiten? Dafür noch nicht einmal ordentlich bezahlt zu werden. Sein Gehalt sei demütigend, jammerte Goebbels, der auf finanzielle Unterstützung und Essenspakete seiner Eltern angewiesen blieb. Nicht einmal eine Bleibe in Köln konnte er sich anfangs leisten. Jeden Morgen ging es ab 5.30 Uhr mit dem Zug von Rheydt nach Köln hin und abends um 19.30 Uhr wieder zurück. „Scheußliche Fahrt“, schimpft er.
Endlich aber fand Goebbels ein günstiges Zimmer in der Siebengebirgsallee in Klettenberg. Fortan genoss er von hier das kulturelle Leben Kölns. Er schaute sich die „Meistersinger“ in der Oper an, hörte Mahlers Neunte Sinfonie unter der Leitung von Otto Klemperer, besucht Wallraf-Richartz-Museum und Ostasiatisches Museum. Seine Arbeit aber, der tägliche Kontakt mit der „heiligen Spekulation“, widerte ihn an.
„Cöln ein Ekel, die Bank Sinnlosigkeit. Gehalt gleich Null. Krank an Körper und Geist. Nicht mehr auszuhalten“, klagte er und hoffte auf eine baldige Revolution: „Die Inflation. Tolle Zeiten. Der Dollar klettere wie ein Jongleur. Bei mir heimliche Freude. Ja das Chaos kann kommen, wenn es besser werden soll.“ Er notiert eine „Abkehr vom Internationalismus“. Dies gipfelt in dem Satz: „Ich bin deutscher Kommunist“.
Spekulanten profitierten von der Krise
Goebbels stößt sich am Geschäftsgebaren in diesem „Tempel des Materialismus“. Die Inflation traf schließlich nicht alle Menschen gleich hart. Es gab auch Profiteure: Schuldner, deren Verpflichtungen sich fast in Luft auflösten. Allen voran das Deutsche Reich, das seine ausstehenden Kriegsanleihen elegant begleichen konnten. Spekulanten schlugen aus der Krise Profit. Groß war die Versuchung für alle mit Insider-Wissen. Goebbels berichtet, wie seine Kollegen über den Kurssprung einer Aktie erfahren und nichts ahnenden Aktionären noch Papiere zum alten Preis abgekauft hatten.
„Eine ganz gemeine, lumpige Betrügerei“, wie Goebbels schreibt. Nicht, dass er nicht selbst versuchte hätte, aus der Inflation Vorteile zu ziehen. Goebbels hatte sich sein Studium nur finanzieren können, weil er vom katholischen Albertus-Magnus-Verein in Köln von 1917 bis 1920 zusammen 960 Mark als zinsloses Darlehen erhalten hatte.
Diesen Kredit wollte Goebbels am 15. Mai 1923, mitten in der Inflation, mit einer Summe begleichen, die gegengerechnet etwa 109 Goldpfennige wert war. Der Verein ging vor Gericht. Nach Auseinandersetzungen sollte Goebbels am 3. Juli 1929, mittlerweile zum Lautsprecher des Nationalsozialismus emporgestiegen, zu einer Zahlung von 400 Reichsmark verurteilt werden. Die Zahlung blieb Goebbels bis 1930 schuldig.
In seine Kölner Zeit fällt auch, dass Goebbels zum exzessiven Antisemiten wird. Noch im Februar 1919 hatte er geschrieben, dass er „übertriebenen Antisemitismus nicht besonders leiden mag“. Zwar, so meint er, könne er „nicht gerade sagen, dass die Juden meine besonderen Freunde wären, aber ich meine, durch Schimpfen und Polemisieren oder gar durch Pogrome schafft man sie nicht aus der Welt, und wenn man es auf diese Weise könnte, dann wäre es sehr unedel und menschenunwürdig.“ Dies änderte sich nun, als er sich mit Adolf Hitler beschäftigte.
Die Kündigung wusste er zu verheimlichen
Weil ihm seine Situation bei der Bank unerträglich schien, suchte er Ärzte auf, bis ihn einer im Juli krankschrieb. Mit Else fuhr er im August 1923 nach Baltrum. Zurück in Köln erwartet ihn die Kündigung von der Dresdner Bank. Er verheimlichte sein Scheitern zunächst den Eltern, schrieb ihnen, er sei krank. Else half ihm aus. Trotzdem musste er hungern. „Ich lebe eine Woche von einem Gulden. Tage voll Sorge und Arbeitslosigkeit.“
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Er besuchte die Kölner Kirchen. Als aber seine Suche nach einer neuen Stelle erfolglos bleibt, gibt er im Oktober auf. Pleite pumpt er seinen Vater um Reisegeld an und kehrt heim nach Rheydt. Der gescheiterte Banker interessierte sich fortan für die verbotene NSDAP, der er 1925 beitreten sollte. Seine schlechten Erfahrungen hinderten Joseph Goebbels nicht, später als Propagandaminister nach Köln zu kommen. „Hier habe ich ein Jahr gelitten“, notiert er anlässlich eines Besuchs in sein Tagebuch.
Propagandaminister
Joseph Goebbels (geboren 1897 in Mönchengladbach) war eine der wichtigsten Führungsfiguren des Nationalsozialismus und gilt als ein entscheidender ideologischer Wegbereiter des Holocausts. Zunächst war er als Reichspropagandaleiter mitverantwortlich für den Aufstieg der NSDAP.
Während der Nazidiktatur war seine Person eng verbunden mit den zwei Ämtern Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer. In diesen Funktionen war Goebbels für die Gleichschaltung von Medien und Kultur verantwortlich. Die staatliche Hetze gegen jüdische Menschen und andere verfolgte Gruppen fielen in seinen Verantwortungsbereich. Er ist bekannt für seine demagogischen Reden, unter anderem die Sportpalastrede 1943, in der er die Deutschen zum „totalen Krieg“ aufrief. Wie Adolf Hitler beging er 1945 Suizid. (rue)
Die Leiden Europas haben da noch nicht ansatzweise begonnen. „Die deutsche Nation will keinen Krieg“, sagt Goebbels bei einer Kundgebung in den Kölner Messehallen am 19. Mai 1939: „Der Führer ist ein Friedensfreund. Er will wirklich den Frieden. Die Wahl liegt bei den anderen, nicht bei uns. Wir sind bewaffnet bis an die Zähne und vertrauen blind auf den Mann, der Deutschland aus seinem tiefsten Fall von 1919 zur Höhe von 1939 emporführte.“ Im Februar 1943 sollte Goebbels selbst dann den totalen Krieg fordern.
Goebbels war Kölner Ehrenbürger
Am 8. Juli 1943 und am 4. Oktober 1944 inspiziert er dann die immensen Schäden der Luftangriffe auf das am Ende fast vollkommen zerstörte Köln. Da war er schon, nach Beschluss des Kölner Rats vom 20. Mai 1939, Ehrenbürger der Stadt.
Er sollte dafür sorgen, dass dem verlorenen Krieg zuletzt auch die minderjährigen Kämpfer des Volkssturm sinnlos geopfert werden würden. Auch vor seinen eigenen sechs Kindern, zwischen vier und zwölf Jahre alt, würde er nicht Halt machen. Mit Blausäure wird er sie vergiften lassen, bevor er und seine Ehefrau sich selbst am 1. Mai 1945 gegen 21 Uhr das Leben nehmen würden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten auch die prunkvollen Gebäude der Straße Unter Sachsenhausen fast völlig zerstört worden sein. Am 27. April 1989 beschloss der Rat der Stadt, dass alle zwischen 1933 und 1945 gefassten Beschlüsse zur Verleihung von Ehrenbürgerrechten von Anfang an nichtig waren. Goebbels ist also nie Ehrenbürger der Stadt Köln gewesen.