Berlin – Die Zeit zwischen ausgelassener Darts-Party und Narkose im Operationssaal konnte Michael van Gerwen ganz genau beziffern.
„In elf Stunden und 20 Minuten” werde er sich dem länger geplanten Eingriff an seiner Wurfhand unterziehen, verkündete der Premier-League-Champion in Berlin. „Ich hoffe, mein Doktor ist bereit.” Van Gerwen selbst war bereit, rechtzeitig vor der Zwangspause eine eineinhalbjährige Major-Flaute zu beenden und mit dem sechsten Premier-League-Titel mit Rekordmann Phil Taylor gleichzuziehen.
„Diese letzten 18 Monate haben mir sehr wehgetan, ich bin durch eine sehr schwere Zeit gegangen. Aber heute bin ich ein glücklicher Mann. Dieser Titel bedeutet mir extrem viel”, sagte der 33 Jahre alte Niederländer, nachdem er Englands Joe Cullen in einem Pfeile-Krimi im Finale mit 11:10 bezwungen hatte. Zur Belohnung gab es die übliche Siegerpyramide, einen Berliner Bär und umgerechnet rund 320.000 Euro Preisgeld.
Emotionaler Sieg
Es waren emotionale Bilder, die die Finalpremiere von Berlin am Ende bot. Debütant Cullen verpasste bei 10:10 das Doppel-16-Feld und damit den Titel nur um Millimeter, nur wenige Sekunden später stand van Gerwen als Gewinner fest. Beide kämpften nun mit den Tränen: der eine vor Stolz, der andere vor Enttäuschung. „Michael ist ein fantastischer Spieler und Champion, aber ich bin absolut am Boden zerstört”, sagte Cullen. So sah er auch aus, als er nach seinem kurzen Statement bedröppelt in der Ecke kauerte.
„Ich weiß, es ist noch mehr in meinem Tank”, kündigte dagegen der selbstbewusste van Gerwen an. Dass er die Premier-League-Bestmarke von sechs Titeln nun mit Englands Legende Taylor teilt, ist ihm nicht genug. Er wolle alleiniger Rekordhalter werden. „Ich habe noch 10 bis 15 Jahre Zeit”, sagte van Gerwen, der nach jahrelanger Dominanz seit Herbst 2020 ein Tief erlebt und seinen Spitzenplatz in der Rangliste längst eingebüßt hat.
Karriereentscheidende Operation
Bevor der Mann mit dem markanten grellgrünen Shirt weitere Titel holen kann, muss er nun die Folgen der Operation an seiner Wurfhand meistern. Bei van Gerwen wurde ein Karpaltunnelsyndrom diagnostiziert, er hat deswegen mit einem Kribbeln in seiner rechten Wurfhand und dem Arm zu kämpfen. Akut scheint ihn die Verletzung nicht groß behindert zu haben, es geht vorrangig um die Minimierung möglicher langfristiger Folgen.
„Es gibt keine Wahl bei dieser Operation. Mein Arzt sagte zu mir: Du willst eine lange Karriere haben, also müssen wir es machen. Wenn wir es nicht machen müssten, würden wir es nicht machen”, schilderte van Gerwen bei der Siegerpressekonferenz in der Berliner Arena am Ostbahnhof.
Zum World Matchplay zurück
Der Plan des Niederländers war zum Wochenstart dicht getaktet: Finale, Siegerehrung, Pressekonferenz und am nächsten Mittag schon im Operationssaal. Van Gerwen hatte sich den Zeitpunkt ausgesucht und diesen bereits Ende Mai verkündet. Die Premier League, für ihn „der zweitwichtigste Titel hinter der WM”, wollte er noch zu Ende spielen, für die Team-WM in Frankfurt an diesem Wochenende wird er dagegen ausfallen.
Bis zum prestigeträchtigen World Matchplay in Blackpool (Beginn 16. Juli) möchte van Gerwen zurück sein. „Natürlich will ich noch mehr Titel gewinnen”, sagte er. Das deutsche Publikum würdigte der Sieger als „atemberaubend” und „bereit für Finalabende”. Erstmals in der Geschichte des Wettbewerbs wurde der Schlusspunkt des Ligaformats nicht in Großbritannien ausgetragen.
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