Bonn/Berlin – Im Streit um die Veröffentlichung eines Zwischenergebnisses der sogenannten Heinsberg-Studie haben der Bonner Virologe Hendrik Streeck und sein Team über Ostern Kritik zurückgewiesen. Der Berliner Virologe Christian Drosten meldete Nachfragen zu der Studie an. „Vorwürfe” oder einen „Verriss” der Ergebnisse gebe es von seiner Seite nicht.
Dem „Tagesspiegel” aus Berlin sagte Streeck an Ostersonntag, dass die Feldstudie alle Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO einhalte. „Wir übererfüllen sogar diese Empfehlungen”, sagte Streeck zu der Studie in der vom Coronavirus besonders betroffenen Gemeinde Gangelt in Nordrhein-Westfalen. Auch wies der Virologe Kritik zurück, das Zwischenergebnis sei zu früh veröffentlicht worden.
„Die Veröffentlichung ist keinesfalls leichtfertig erfolgt. Wir haben bis in die Nacht auf Donnerstag darüber diskutiert, ob wir jetzt erste Daten präsentieren sollen. Wir entschieden uns dazu aus ethischen Gründen, und weil wir uns verpflichtet fühlten, einen nach wissenschaftlichen Kriterien erhobenen validen Zwischenstand vor Publikation mitzuteilen.” Das sei absolut üblich.
Der an der Studie ebenfalls beteiligte Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Pharmakologie der Uni Bonn, Gunther Hartmann, zeigte sich im Gespräch mit der „taz” betroffen: „Es ist schade, dass Kollegen uninformiert voreilige und sichtlich unüberlegte Schlüsse ziehen, die das Bild in den Medien derart verzerren. Weiterhin möchten wir darauf hinweisen, dass alle beteiligten Wissenschaftler bei Konzeption, Design und Präsentation der Studie unabhängig von Interessen Dritter sind, einschließlich der Medienfirma Storymachine.”
Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums unterstützt die Landesregierung die Studie mit 65 315 Euro. Demnach werden mit dem Geld Corona-Tests und medizinische studentische Hilfskräfte finanziert.
Noch vor Ostern war bekannt geworden, dass die Berliner Agentur Storymachine des ehemaligen „Bild”-Chefredakteurs Kai Diekmann die Studie mit einer Dokumentation unter anderem in sozialen Medien unterstützt. Mitinhaber Philipp Jessen hatte dem Internetdienst „Meedia” gesagt: „Natürlich fließen weder Steuergelder noch finanzielle Mittel der Universität Bonn in unsere Arbeit.” Die Agentur habe von sich aus Hilfe angeboten. Auf Twitter bedankte sich Jessen bei zwei Unternehmen, die das Projekt mitfinanzierten.
Michael Mronz, Mitinhaber von Storymachine, bestätigte dem „Kölner Stadt-Anzeiger”, dass er Streeck „schon lange privat” kenne und schätze. Als Streeck ihm erzählt habe, wie viel Zeit ihn das öffentliche Kommunizieren seiner Arbeit koste, habe er ihm Hilfe angeboten.
Streeck hatte am Donnerstag im Beisein von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) erste Ergebnisse seiner Studie im vom Coronavirus besonders betroffenen Landkreis Heinsberg vorgestellt und sich für Lockerungen der aktuellen Maßnahmen ausgesprochen.
Den Zwischenergebnissen zufolge haben 15 Prozent der Bürger in der Gemeinde Gangelt nun eine Immunität gegen das Virus ausgebildet. Die Wahrscheinlichkeit, an der Krankheit zu sterben, liegt demnach bezogen auf die Gesamtzahl der Infizierten bei 0,37 Prozent. Die in Deutschland derzeit von der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität berechnete entsprechende Rate liegt mit 1,98 Prozent um das Fünffache höher.
Wie mehrere Medien am Donnerstag und Freitag berichtet hatten, stößt die Studie auf Kritik anderer Wissenschaftler. So habe unter anderem der Virologe Christian Drosten bei einem vom Kölner Science Media Center organisierten Gespräch gesagt, man könne aus Streecks Pressekonferenz „gar nichts ableiten”.
Streeck wehrte sich: „Zwischenergebnisse werden auf Kongressen ständig und auf der ganzen Welt mitgeteilt. Nur dies ermöglicht eine jeweils aktuelle wissenschaftliche Diskussion.” Zu behaupten, dies sei unwissenschaftlich, stimme schlichtweg nicht, merkte der Forscher an.
Bei Twitter stellte Drosten klar, dass er sich zu dem Zwischenergebnis ein Manuskript wünschen würde. Und wenn ein Wissenschaftler um Vorlage eines Manuskripts bitte, sei das kein „Verriss” oder „Disput”. Drosten schrieb weiter: „Es gibt keinen Vorwurf an die Kollegen, nur eine Nachfrage. Diskurs ermöglicht wissenschaftliche Meinungsbildung. Auch wenn sich manche einen Gelehrtenstreit wünschen.” (dpa)