Robert Habecks Auftritt in Leipzig unterstreicht die Herausforderungen der Grünen im Osten: niedrige Umfragewerte und Populismusgefahr.
Verlorener Posten im Osten?Wie die Leipziger auf Robert Habeck reagieren
Schon eine Stunde vor dem Auftritt von Robert Habeck stauen sich die Menschen bei kaltem Schmuddelwetter hunderte Meter lang vor dem Leipziger Haus. Die Polizei lässt ihre Hunde jede Tasche beschnüffeln. Der Osten ist für die Ökopartei ein hartes, ja, gefährliches Terrain, wie eine Wahlkämpferin später berichten wird. In Umfragen liegen die Grünen, die ja den Kanzler stellen wollen, in den neuen Bundesländern zwischen 3 und 7 Prozent. Leipzig mit seiner großen Universität ist so etwas wie eine Hochburg. Trotzdem merkt man den Veranstaltern ihre Erleichterung darüber an, dass heute keine Randalierer gekommen sind, dafür umso mehr Unterstützer.
Erst mit einer halben Stunde Verspätung darf Habeck auf die Bühne, bis sich die Menge verteilt hat. Die Beine hüftbreit auseinander, in einer Hand das Mikro, die andere zur Faust geballt oder in die Hüfte gestemmt, der Oberkörper ganz leicht nach vorn gebeugt, die Stimme klingt leicht gehetzt, und hinter ihm auf grüner Wand neben einer Sonnenblume der Slogan: EIN MENSCH. EIN WORT.
In Washington wird gerade Donald Trump vereidigt. „Und ich bin hier in Leipzig, das kann kein Zufall sein“, ruft Habeck. Er lässt sich als „Bündniskanzler“ feiern, der die demokratischen Kräfte anführen kann. Kleiner macht er es nicht.
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Ohne die AfD beim Namen zu nennen, redet der Kandidat viel über die Bedrohung durch den Populismus. Er nennt ihn eine „Methode, um die Debatte zu verunmöglichen“. Mit Übertreibungen und Lügen werde ein permanentes Gereizt-Sein erzeugt, mit Dauerstreit die Sehnsucht nach Autoritarismus geschaffen. Und Leute wie Elon Musk wollten mit der Verheißung auf mehr Freiheit immer mehr Regeln abschaffen, dabei gehe es ihnen allein um mehr Macht. Dass er sich als „Gegengift“ gegen die Musks, Trumps und Weidels empfiehlt, gefällt ihnen hier im Saal sehr.
„Erst haben wir den Strom grün gemacht, jetzt machen wir ihn billig“
Auf die Reizthemen Migration und Flüchtlinge geht Habeck kaum ein, es ist noch vor der Messerattacke von Aschaffenburg. Zum Klima sagt er einen für Grüne bemerkenswerten Satz: „Durch Klimaschutz kann eine Wirtschaft belastet werden.“ Die Lösung liegt für Habeck parat: „Erst haben wir den Strom grün gemacht, jetzt machen wir ihn billig.“ Damit der Staat die Stromsteuern und Netzentgelte übernimmt, kann man ja die Schuldenbremse lockern.
Immerhin gesteht der Wirtschaftsminister einen Hauch von Selbstkritik ein: Er empfinde es nach dem Ampel-Streit und seinem Heizungsgesetz „ein Wunder, dass ich Vertrauen zurückgewinne“. Für seine Auftritte müssten immer größere Hallen gebucht werden. Die Geschlossenheit sei gewaltig. „Es passiert hier was“, sagt er in die jetzt tobende Anhängerschar. „Auch wenn ich noch nicht genau weiß, wie groß es ist.“
Tja, wie groß ist es? Während Habeck noch für TV-Interviews, Selfies und Autogramme bereitsteht, erzählt eine ehemalige Amtsträgerin aus Dresden, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen will, im Foyer des Leipziger Hauses vom Wahlkampf-Alltag im Osten. „Die Scheibe unseres Büros wurde dreimal eingeschlagen. Jetzt haben wir Sicherheitsglas, auch das hat schon Löcher“, sagt sie. „Als ein SPD-Kollege spätabends beim Plakatekleben zusammengeschlagen wurde, waren wir nur ein paar hundert Meter entfernt unterwegs.“
Nach Warnungen von Verfassungsschutzbehörden vor rechtsradikalen Trupps sei der Straßenwahlkampf auf dem Land weitgehend eingestellt worden. „Und wenn man sich jenseits der Städte als Grüner outet, kann es passieren, dass du keinen Handwerker mehr bekommst.“ Selbst einigermaßen vernünftige Menschen würden ihr sagen: „Das ist uns alles zu kompliziert, wir wählen AfD“, berichtet die gestandene Politikerin und Managerin. Entsetzt sei sie auch von einer tief verwurzelten Putin-Treue in Sachsen. „Ich glaube, es wird hier bald krachen“, fügt sie noch hinzu.
Ist der Osten also für die Grünen verloren? Nicht nur für Habeck selbst ist es ja bemerkenswert, dass die Grünen bislang als einzige Ampel-Partei in den bundesweiten Umfragen vom Scheitern der Regierung profitiert haben. Aber auch, weil sich dieser Trend in den neuen Ländern nicht zeigt, hat die Ex-Dezernentin den Glauben an eine schwarz-grüne Regierung nach der Bundestagswahl verloren. Sie hofft auf eine Kenia-Koalition von Union, SPD und Grünen. „Hauptsache ohne FDP!“
Studierende unterstützen die Grünen
Auf der Suche nach einer authentischen Kneipe, um mit „normalen“ Leipzigern über Robert Habeck zu sprechen, geht es in die „Substanz“ östlich des Zentrums. Die ist zwar sehr gemütlich, allerdings auch sehr verraucht und links-grün angehaucht. Simon findet Habeck „sehr kompetent und glaubwürdig“. Klare Agenda, klare Kommunikation, „und im Gegensatz zu Politikern anderer Parteien argumentiert er faktisch und bedient sich keiner populistischen Rhetorik“, meint der Student. „Für mich ist Habeck der geeignetste Kanzlerkandidat – wenn auch chancenlos.“
Bei den Studierenden in der Stadt gebe es viel Unterstützung für die politische Ausrichtung der Grünen links der Mitte und für ihren Einsatz für Klima- und Umweltthemen. In den Randbezirken Leipzigs und in weiten Teilen Sachsens und Ostdeutschlands vermutet Simon allerdings mehr Antipathien. „Hier herrschen konservative und teils rechte Meinungen vor, die die Grünen zu einem Feindbild stigmatisieren.“
Emma, die Kellnerin in der „Substanz“, kommt aus Südthüringen. „Ich finde Habeck okay, aber die Grünen sind mir nicht links genug“, sagt sie. „Bei der Landtagswahl habe ich trotzdem CDU gewählt. Damit die AfD nicht die stärkste Partei wird.“ Einen Einzug der Linkspartei in den Bundestag hält sie noch für möglich. An einen Aufstieg der Grünen im Osten glaubt Emma nicht.
„Ich würde die Partei wählen, die alle Scheiß-Flüchtlinge rausschmeißt“
Ein paar Straßen weiter gibt es noch eine Kneipe im Osten von Leipzig. „Inges Eck“ sieht von außen auch sehr authentisch aus, aber nicht nach grünem Publikum. Auch das ist eine Raucherkneipe. Mehrere Spielautomaten klingeln vor sich hin, auf einem Großbildschirm läuft ein stummes Interview mit Christian Lindner, hinter der Bar steht eine hübsche Frau aus Afghanistan. Neben dem Tresen hängt das Porträt einer rüstigen Dame. „Das ist Inge“, sagt die Kellnerin. „Sie ist leider vor einiger Zeit gestorben. Aber hier lebt sie für immer.“
Zur vorgerückten Stunde sind nur noch zwei Gäste da. Einer von ihnen ist Azizul Rahman Stanekzai. Er floh 2012 aus Afghanistan, saß in Griechenland anderthalb Jahre in einem Flüchtlingsgefängnis, lebt inzwischen seit zehn Jahren in Leipzig, ist mit einer Deutschen verheiratet und hat Zwillingstöchter.
Was hält Azizul von der deutschen Politik? Er spricht lieber Englisch als Deutsch und sagt: „I would vote for the party that throws out all the bullshit refugees – Ich würde die Partei wählen, die alle Scheiß-Flüchtlinge rausschmeißt.“ Er meint straffällig gewordene Asylbewerber. „Es gibt viel Gewalt von Ausländern. Als es mal wieder einer Schlägerei gab, bin ich zur Polizei gegangen, damit sie einschreiten. Sie sagten, sie hätten nicht genug Leute. Ich habe manchmal selbst Angst um meine Töchter.“
Und was hält Azizul von Robert Habeck und den Grünen? Der Namen des Grünen-Stars ist ihm unbekannt. Angela Merkel, ja, mit der kann er etwas anfangen. „Aber die Parteien, grün, gelb, blau, rot, alles egal: Sie sollen die friedlichen Ausländer mit Respekt behandeln und die gewalttätigen Zuwanderer rauswerfen, das ist meine Meinung. Aber eine Partei, die das macht, kenne ich nicht.“