Tunesiens Präsident Kais Saied schränkt den Wahlkampf seiner Konkurrenz drastisch ein und legt Kritiker im Gefängnis ab, um seine Wiederwahl zu sichern.
Konkurrenz unerwünschtWie Tunesiens Präsident Mitbewerber ausschaltet
Ayachi Zammel ist so oft im Gefängnis, dass er keine Zeit für den Wahlkampf hat. Der tunesische Präsidentschaftskandidat kam Montag vorige Woche wegen angeblicher Manipulationen von Wahlunterlagen in Haft und wurde in der Nacht zum Freitag auf Anordnung eines Richters auf freien Fuß gesetzt. Kaum hatte Zammel das Gefängnis verlassen, tauchten Beamte der Nationalgarde auf und nahmen ihn wieder fest. Wenige Stunden später sollte er wieder freikommen, blieb aber eingesperrt. Der liberale Politiker Zammel soll vor der Präsidentschaftswahl am 6. Oktober eingeschüchtert werden. Amtsinhaber Kais Saied will keine Konkurrenz.
Tunesien und der Übergang zur Demokratie
Saied, ein 66-jähriger Verfassungsrechtler, war 2019 als Außenseiter ins Präsidentenamt des nordafrikanischen Landes gewählt worden, weil viele Tunesier die Korruption und Untätigkeit der etablierten Politiker und Parteien satthatten. Tunesien ist der einzige Staat des Arabischen Frühlings, der nach dem Sturz von Diktatoren bei der Welle von Volksaufständen im Jahr 2011 den Übergang zur Demokratie schaffte. Saied zerstöre die Demokratie nun wieder, sagen seine Kritiker: Der Präsident löste 2021 das Parlament auf, brachte die Justiz unter seine Kontrolle und ließ politische Widersacher ins Gefängnis stecken.
Auch die Mitglieder der nominell unabhängigen Wahlkommission werden inzwischen vom Präsidenten ernannt oder gefeuert. Vor der Wahl im Oktober arbeitet die Kommission daran, Saieds Wiederwahl zu sichern. Zuerst wies das Gremium die Anmeldung von 14 der 17 Präsidentschaftskandidaten ab. Nur Saied, Zammel und der Linkspolitiker Zouhair Maghzaoui wurden zugelassen. Drei der abgelehnten Bewerber klagten vor dem Verwaltungsgericht gegen ihre Abweisung und bekamen Recht. Doch die Wahlkommission setzte sich über den Gerichtsbeschluss hinweg und weigerte sich, die drei auf die Wahlliste zu nehmen. Saied will kein Risiko eingehen und gleich im ersten Wahlgang siegen.
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„Vieles spricht dafür, dass der Präsident zunehmend nervös geworden ist“, sagt Isabelle Werenfels, Expertin für die Maghreb-Region bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Die drei Kandidaten, die er jetzt ausgeschaltet hat, waren alles Schwergewichte und hätten zusammen mit den beiden Kandidaten, die vorerst zugelassen wurden, wahrscheinlich zu einem zweiten Wahlgang geführt, den er durchaus hätte verlieren können.“
Tunesiens Präsident wird nervöser
Selbst im Rennen gegen die zwei noch verbliebenen Mitbewerber Zammel und Mghzaoui fühlt sich Saied offenbar nicht völlig sicher. Zammel, Kandidat der kleinen liberalen Partei Azimoun, soll in den kommenden Tagen erneut vor Gericht erscheinen.
Akademiker, Gewerkschafter und andere Mitglieder der Zivilgesellschaft protestieren gegen die Drangsalierung der Präsidentschaftskandidaten. Saieds Regime lasse den Gegnern des Präsidenten aber kaum Spielraum dafür, sagt Expertin Werenfels. „Massenproteste wären vielleicht wirksam, aber Demonstrationen werden meist nicht zugelassen, und die Angst ist groß.“ Auch Kritik in den sozialen Medien werde verfolgt.
Internationale Organisationen wie Human Rights Watch schlagen Alarm. Seit dem offiziellen Wahlkampfbeginn im Juli seien mindestens neun Präsidentschaftsaspiranten strafrechtlich verfolgt, verhaftet oder verurteilt worden, erklärte Human Rights Watch. „Unter dieser Repression sind Wahlen ein Hohn.“
Saied lässt sich von solchen Einwänden nicht beeindrucken. Er weiß, dass er wegen seines autokratischen Kurses, der hohen Arbeitslosigkeit und des schleppenden Wirtschaftswachstums bei vielen Tunesiern unbeliebt ist, und setzt deshalb alles daran, seine Wiederwahl durch Druck auf die Mitbewerber zu sichern.
Kritik der EU, die Saieds Regime im vorigen Jahr mit einer Milliarde Euro unterstützte, muss der Präsident nicht fürchten. Für Europa zählt vor allem, dass Tunesien möglichst viele Bootsflüchtlinge an der Überfahrt nach Italien hindert, und das tut Saied. Waren von Januar bis Ende August des vergangenen Jahres laut UN-Angaben noch rund 74.000 Menschen auf Flüchtlingsbooten von Tunesien nach Italien gefahren, wurden in diesem Jahr im gleichen Zeitraum nur noch 13.000 gezählt.
Theoretisch könnte die EU auf Saied einwirken: Europa ist nicht nur ein wichtiger Geldgeber für Tunesien, sondern auch der größte Handelspartner. Aber die EU sei in einer schwierigen Lage, meint Werenfels. „Wenn sie alle Finanzhilfen aussetzt und einen fairen Wahlprozess verlangt, was eine naheliegende Maßnahme wäre, dann wird der Präsident die Migrationskooperation aussetzen“, sagt die Expertin. „Das würde die EU-Staaten innenpolitisch in die Bredouille bringen.“