Unternehmen wie Jenoptik setzen auf Toleranz, um Fachkräfte und Kunden anzulocken. Die Manager sorgen sich nun vor den Wahlen.
Sorge vor WahlBremst der AfD-Aufstieg das Wachstum im Osten?
Die Wirtschaftsaussichten Deutschlands sind derzeit nicht rosig. Rezessionsängste machen sich breit. Doch in einigen Bundesländern zieht das Wachstum entgegen dem Trend an – und zwar ausgerechnet in Ostdeutschland. Die Wirtschaft werde vom Osten aus der Krise gezogen, sinnierte Robert Habeck.
Kritiker wenden ein, das läge in erster Linie an üppigen Subventionen, wie für die Halbleiterfabrik TSMC in Dresden, deren Bau der Staat mit Milliarden bezuschusst. Das künftig erwirtschaftete Geld fließt aber – wie so oft in solchen Fällen – letztlich weniger in die ostdeutschen Standorte, sondern an die weit entfernten Eigentümer und Konzernzentralen.
Hauptquartier bleibt normalerweise im Westen
Eine Entwicklung, die auch Stefan Traeger, Vorstandsvorsitzender vom Technologiekonzern Jenoptik, kritisch beobachtet. „Hier gibt es meist nur die verlängerten Werkbänke großer Unternehmen, deren Hauptsitz aber in Westdeutschland liegt.“ Die Folgen für die Standorte in Ostdeutschland: Das Gehalt sei niedriger, die Aufstiegschance für Angestellte begrenzt, denn „wirklich Karriere macht man immer im Headquarter“.
Das sei bei Jenoptik anders: „Jena ist Haupt- und Gründungsstandort“, so der Manager. Das erwirtschaftete Geld bleibt hier und mit ihm die Karrierechancen. Damit ist das weltweit bekannte Unternehmen eine Ausnahme in Ostdeutschland. So wie Traeger selbst. Er ist wohl der einzige CEO eines börsennotierten Unternehmens, der aus dem Osten kommt. In Jena geboren und aufgewachsen, Ausbildung im Blaumann bei Zeiss, dann Physik-Studium, Forschungsaufenthalt im kalifornischen Berkeley, Jobs in den USA, England, Schweiz, Westdeutschland. Vor fünf Jahren ist er nach Jena zurückgekehrt.
Damit gehört er zu den 4,5 Prozent Ostdeutschen, die es in der Wirtschaft auf den Chefsessel geschafft haben. Doch er habe auch jahrelang seine Herkunft verschwiegen, „Undercover-Ossi“ nennt er sich rückblickend. „Versuchen Sie mal, mit einem sächsischen Akzent Karriere zu machen“, sagt Traeger. „Ich habe es vermieden, meine Identität zu offenbaren.“ Er bezweifelt, dass er sonst Karriere gemacht hätte.
Menschen im Osten werden nicht genug gehört
Traeger weiß, was es mit den Menschen in Ostdeutschland bis heute macht, dass sie es selten bis ganz nach oben schaffen. Viele hätten das Gefühl, nicht gehört zu werden, in der gesellschaftlichen Debatte keine Rolle zu spielen. Daraus zögen sie die Konsequenz: „Wir haben hier sowieso keine Stimme, dann wählen wir rechtsextrem.“
Und das wird immer mehr zum Problem, für die Demokratie, aber auch für Unternehmen wie Jenoptik. „Wir brauchen ein Umfeld, in dem Vielfalt möglich ist, um kreativ an Innovationen arbeiten zu können“, sagt der Top-Manager. Im Ausland werde er bereits auf die politische Situation in Thüringen angesprochen, auf die hohen Zustimmungswerte zur AfD. „New Yorker Banker fragen mich: Was ist los bei euch?“
Das Unternehmen hat sich im November vergangenen Jahres dazu entschlossen, für Offenheit einzustehen – innerhalb der Belegschaft, aber auch nach Außen. Mitarbeiter werben auf Fotos mit ihrem Gesicht für Vielfalt und Toleranz.
Zur Wahrheit gehört auch: Das Unternehmen ist auch auf internationale Fachkräfte angewiesen. Die Sorge, der Ruf Ostdeutschlands könnte sie abschrecken, ist nicht von der Hand zu weisen. Laut aktuellen Wahlprognosen liegt die AfD in Thüringen bei 30 Prozent.
Zwar hat sie in Jena keine Chance, ein Wahlkampfauftritt des Thüringer AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke wurde wegen Protests abgeblasen. Aber die Mehrheit der Mitarbeiter lebe, laut Traeger, im ländlichen Raum. Sie treffen in Jena auf Kollegen aus aller Welt. Auf die Frage, wie das Unternehmen reagieren wird, sollte die AfD an dich Macht kommen, antwortet er: „Wenn Höcke Ministerpräsident wird, dann packen wir nicht gleich unsere Sachen.“
Traeger zeigt eine Zurückhaltung, die der Managerin Judith Borowski fremd ist. „Natürlich müssen wir sagen, dass wir die AfD-Parolen nicht im Haus hören wollen. Jeder soll sich hier sicher fühlen können“, sagt die geschäftsführende Gesellschafterin und Mitinhaberin des Luxusuhrenherstellers Nomos Glashütte. Borowski stammt aus Konstanz. Eine Westdeutsche im Erzgebirge.
AfD als Problem: Viel zu lange geschlafen
In Glashütte haben Uhrmacher eine lange Tradition. Die Kunden kommen vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch die USA und Italien sind Absatzmärkte. „Wir haben eine spezielle Zielgruppe. Und wir sind froh, dass diese Zielgruppe größtenteils unterstützt, was wir tun.“ Sie spielt auf ihre immer wieder offen formulierte Kritik an der AfD an. „Es ist wichtig, Ross und Reiter zu benennen, weil es schon so spät ist. Wir haben viel zu lange geschlafen, viel zu wenig getan.“
Glashütte ist, ähnlich wie Jena in Thüringen, eine Ausnahme in Sachsen. Hier seien die Gehälter seit 2020 um 50 Prozent gestiegen. „Die Löhne sind größtenteils höher als in Berlin, die Lebenskosten aber niedriger“, so Borowski. Und trotzdem hat die AfD der erzgebirgischen Kleinstadt bei der Europawahl über 41 Prozent der Stimmen geholt.
„Es gibt viel Nachwuchs im Ort, weil die Tradition der Uhrmacher hier schon lange besteht.“ Junge Menschen würden sich bewerben, gerade weil Nomos so eindeutig Stellung bezieht.
Borowski sagt aber auch, dass die Wirtschaft in den nächsten Jahren die fehlende Willkommenskultur in Sachsen noch stärker zu spüren bekommen werde.