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Interview

Verkehrspsychologe zu vermeintlichen Freiheit
Warum Autos auch unglücklich machen können

Lesezeit 4 Minuten
Statussymbol, Leidenschaft oder schlichtes Transportmittel? Die eigene Einstellung zum Auto kann einen starken Effekt auf die Lebenszufriedenheit haben.

Statussymbol, Leidenschaft oder schlichtes Transportmittel? Die eigene Einstellung zum Auto kann einen starken Effekt auf die Lebenszufriedenheit haben.

Von wegen grenzenlose Freiheit: Verkehrspsychologe Jens Schade erklärt im Interview, wann Autos unglücklich machen.

Bis heute pflegen die Deutschen eine sehr enge Beziehung zu ihren Autos. 2024 waren laut Kraftfahrt-Bundesamt hierzulande fast 50 Millionen Pkw zugelassen, so viele wie noch nie. Was aber mit jeder Beziehung passieren kann, gilt auch hier: Irgendwann macht sie unglücklich. Da bildet das Verhältnis zum eigenen Wagen keine Ausnahme. Jens Schade ist Verkehrspsychologe an der TU Dresden. Im Gespräch erklärt der Professor, wann Autos die Selbstzufriedenheit verringern, was das für ernste Folgen haben kann und was Betroffene tun können.

Herr Schade, für viele Menschen steht der eigene Wagen für grenzenlose Freiheit. Können Autos tatsächlich die Lebenszufriedenheit erhöhen?

Wenn ich ein Auto besitze, steigt zunächst meine Lebenszufriedenheit. Ich kann an Orte gelangen, die ich ohne eigenes Fahrzeug nicht oder nur schwer erreichen würde. Kurz: Ich fühle mich frei.

Ich muss also nur ein Auto besitzen – und schon bin ein glücklicherer Mensch?

Nein. Es gibt zwar Studien, die das andeuten. Aber für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem reinen Autobesitz und der eigenen Lebenszufriedenheit haben wir keinen wissenschaftlichen Beleg. Eher kommt es auf die individuelle Einstellung an. Hat mein eigenes Auto für mich bloß eine instrumentelle Funktion, damit ich von A nach B komme? Oder hat es eine symbolische Funktion? Wenn ja, dann identifiziere ich mich mit dem Fahrzeug und es löst bei mir Emotionen wie Freude und Erregung aus. Und ja, auch Glück.

Gerade teure Oberklassemodelle bieten Wohnzimmerambiente und allerlei Infotainment: Ist das empfundene Glück auch eine Frage des Einkommens?

Verfüge ich über finanzielle Ressourcen, kann mein Auto leicht eine symbolische Funktion haben. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Luxus-SUV erfüllt grundsätzlich den gleichen Zweck wie ein Kleinwagen. Aber ein teurer SUV steht auch für Erfolg. Wenn ich mir so einen Wagen kaufe, habe ich das Gefühl: Ich habe es geschafft. Das trägt sehr zur Identifikation bei und kann die Selbstzufriedenheit erhöhen.

Sie haben gesagt, dass ein Auto „zunächst“ die eigene Zufriedenheit steigern kann. Wann ist ein Kipppunkt erreicht?

Wenn das Auto das Gegenteil von Freiheit schafft, nämlich Abhängigkeit. Wird die zu groß, kehren sich die Empfindungen um. Das individuelle Freiheitsgefühl findet ein jähes Ende. Die Betroffenen nehmen das Autofahren nicht mehr als Vergnügen wahr, sondern als Zwang.

Wen betrifft das?

Vor allem Berufstätige, die jeden Tag weite Strecken pendeln müssen. Oder Menschen, die im Alltag sehr viel Zeit hinterm Steuer verbringen, weil sie in ländlichen Gebieten wohnen, wo die Wege weiter sind und der öffentliche Nahverkehr schlecht ausgebaut ist. Man muss aber bedenken, auch die tägliche Pendelei mit der Bahn kann extrem belasten.

Was sind die Folgen einer zu starken Autoabhängigkeit?

Wenn ich jeden Tag lange hinterm Steuer sitzen muss, obwohl ich das als lästige Pflicht empfinde, stresst mich das enorm. Es kann mich psychisch krank machen. Mein Körper zeigt dann die klassischen Reaktionen: chronischer Stress, Bluthochdruck, Muskelverspannungen.

Also genau das, was viele Menschen verspüren, wenn sie im Stau stehen.

Ja, aber da muss man differenzieren. Nicht jeder Stau ist automatisch ein Stressfaktor. Das gilt für Staus, mit denen ich rechne, etwa weil sich auf meinem Weg zur Arbeit eine bekannte Baustelle befindet. Gerät der Verkehr aber wegen eines unvorhersehbaren Ereignisses ins Stocken, wirkt das auf mich aversiv.

Laut einer Studie der Arizona State University verringert sich die Lebenszufriedenheit, wenn man für mehr als 50 Prozent der Außer-Haus-Aktivitäten das Auto nutzen muss. Lässt sich dieser Wert auf Deutschland übertragen?

Da der Wert aus einer amerikanischen Studie stammt, lässt er sich meiner Meinung nicht ohne weiteres übertragen. Wichtig ist die Erkenntnis, dass eine hohe Autonutzung ab einem gewissen Punkt zu einer niedrigeren Lebenszufriedenheit führen kann.

Die Preise für Sprit, Kfz-Versicherung und Gebrauchtwagen sind gestiegen. Wie belastend sind die Kosten des Autobesitzes?

Vor allem sind es die direkten Kosten der Autonutzung wie etwa die Benzinpreise, die wir spüren. Dies gilt weit weniger für die indirekten Kosten, wie zum Beispiel der Wertverlust. Aber klar, Autofahren wird immer teurer und insbesondere für junge Menschen wird die Anschaffung eines Autos immer schwieriger.

Was raten Sie Menschen, die Autofahren als Zwang empfinden?

Mal den Wagen stehenzulassen und das Fahrrad zur Arbeit zu nehmen, sofern das möglich ist. Oder beim Autofahren längere Pausen einzulegen, um sich die Beine zu vertreten. Ich muss nicht gleich meinen Wagen dauerhaft in der Garage parken oder verkaufen, um etwas gegen die Abhängigkeit zu tun. Bewegung hilft auf jeden Fall.