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Interview

Botschafter über den Krieg
Gibt es noch Hoffnung für die Ukraine, Herr Makeiev?

Lesezeit 6 Minuten
Deutschland müsse der Ukraine schon aus Eigeninteresse helfen, sagt Oleksii Makeiev.

Deutschland müsse der Ukraine schon aus Eigeninteresse helfen, sagt Oleksii Makeiev.

Botschafter Oleksii Makeiev glaubt, dass sein Land den Krieg noch gewinnen kann. Zum zweiten Jahrestag des russischen Angriffs auf sein Land erklärt er, warum man mit Wladimir Putin nicht verhandeln kann.

An der Front größtenteils in der Defensive, im Westen mit kriegsmüden Verbündeten hadernd, dazu die Trauer um Tausende Tote: Wo ist nach zwei Jahren Krieg gegen Russland der Silberstreif am Horizont für die Ukraine? Darüber sprach ihr oberster Diplomat in Deutschland, Oleksii Makeiev, in Berlin mit Rena Lehmann.

Herr Botschafter, am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine angegriffen. Was hat dieser Tag verändert?

Er hat viele Millionen Menschenleben völlig verändert. Das Ausmaß dieser Katastrophe wird sich auf das Leben der nächsten Generationen von Ukrainern und Europäern auswirken. Meine Großeltern haben mir als Kind sehr viel vom Zweiten Weltkrieg und dem, was sie unter der Besetzung der Nazis erlebt haben, erzählt. Meine Tochter wird ihren Kindern, meinen Enkeln, auch wieder davon erzählen, was sie 2022 in Kiew erlebt hat, als es angegriffen wurde. 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg werden wieder Geschichten über Bombardierungen erzählt. Es gibt in der Ukraine viele Kinder, die in den zehn Jahren ihres jungen Lebens nichts anderes als Krieg erlebt haben. Das ist eine Tragödie.

Viele in Europa dachten, der Krieg werde sich schnell entscheiden…

Russland hat 2014 den Krieg gegen uns begonnen. Der Zweite Weltkrieg hat kürzer gedauert. Man muss sich vor Augen führen, was unser Land und seine Menschen durchmachen. Aber wir haben es bis zum heutigen Tag geschafft, unsere Unabhängigkeit zu verteidigen. Wir haben es geschafft, die russischen Truppen von Kiew und Charkiw zu vertreiben mit den wenigen Waffen, die wir 2022 zur Verfügung hatten. Wir haben heute eine große Koalition hinter uns, aber leider nicht genug Waffen und Munition, um diesen Krieg schneller zu gewinnen.

Wird 2024 das entscheidende Jahr sein?

Es sind immer noch viele Gebiete und Millionen Menschen unter russischer Besatzung. Wir müssen sie von dieser Besatzung und von all den Gräueltaten befreien. Für viele Ukrainer sind nicht Jahre, sondern es ist jeder Tag entscheidend. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Menschen sterben. Ich kann nicht sagen, wann dieser Krieg gewonnen wird. Aber je mehr wir vom Westen unterstützt werden, desto besser stehen die Chancen, dass wir es schaffen.

Welche Konsequenzen wird der Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny haben? Für Russland? Für die Ukraine?

Wie unser Präsident in München sagte, ist es (dem russischen Präsidenten Wladimir) Putin egal, wer stirbt. Das ist ein weiteres Zeugnis dafür, dass man nie mit Putin verhandeln sollte, da er immer tötet. Das russische Regime ist allein dafür verantwortlich, für die Ermordung von vielen Moldawiern im Krieg in Transnistrien, von Georgiern im Jahr 2008, Niederländern und Malaysiern nach dem Abschuss der Boeing MH17 im Jahr 2014, Tausenden von ukrainischen Zivilisten nach der Besatzung der Krim und der Invasion gegen die Ukraine. Und, wohl gemerkt, mit einer überwältigen Unterstützung der russischen Gesellschaft. Jetzt ist es aber wichtig, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.

Was erwarten Sie von Deutschland?

Alles, worum ich die deutsche Bundesregierung bitte, ist vom Bedarf an der Front bestimmt. Wir brauchen mehr Munition, mehr Waffen und eine Führungsrolle Deutschlands in Europa. Es bräuchte mehr Verständnis dafür, worum es geht, und warum es sinnvoll ist, uns zu helfen.

Worum geht es denn?

Es wäre wichtig, dass die Grundeinstellung sich in Deutschland weiterentwickelt. Es ist im deutschen und europäischen Interesse, der Ukraine so lange wie nötig und mit allem, was zur Verfügung steht, zur Seite zu stehen. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Ich wünsche mir, dass diese Grundeinstellung für eine umfassende Unterstützung von der Mehrheit in Deutschland geteilt wird: Der Ukraine muss nicht aus Mitleid, sondern aus ureigensten Interessen geholfen werden. Das würde auch politische Entscheidungen beschleunigen.

Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht und der AfD gewinnen in Deutschland gerade zwei Parteien an Einfluss, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen…

Es steht einem Botschafter nicht zu, sich in interne Angelegenheiten des Gastlandes einzumischen, aber das beunruhigt mich schon. Es ist doch verbrecherisch, sich die russische Propaganda zu eigen zu machen oder zu behaupten, man brauche keine Waffen, um sich zu verteidigen. Diese Loser-Philosophie ist angesichts der heutigen Bedrohungslage absolut unverantwortlich.

Putin hat immerhin jüngst versichert, keine weiteren Länder angreifen zu wollen…

Russland darf man nicht glauben. Punkt.

In europäischen Nato-Ländern bereitet man sich auf einen möglichen Angriff Russlands vor. Ist das für Sie ein Zeichen, dass Ihre Unterstützer nicht mehr an einen Sieg der Ukraine glauben?

Ganz im Gegenteil. Man hört auf uns und hat den Ernst der Lage erkannt. Die Tatsache, dass jetzt massiv in eigene und gemeinsame Verteidigung investiert wird, ist goldrichtig. Die Ukraine zeigt heute, warum eine funktionierende und gut versorgte Armee wichtig ist. Wir zeigen unseren Alliierten, wie ein solcher Krieg heute geführt wird und welche Lehren man daraus ziehen muss. Jetzt wird Artillerie-Munition nachproduziert, weil man sie   braucht. Man hat erkannt, dass Flugabwehr überlebenswichtig ist. Auch Drohnen spielen eine Rolle, wie man es sich vor ein paar Jahren noch nicht vorstellen konnte. All das sind Lehren aus diesem Krieg. Wir zahlen dafür mit vielen Menschenleben.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Länder ihr Material jetzt lieber für sich selbst horten, als es der Ukraine zu geben?

Die Waffen müssen jetzt dorthin, wo sie gebraucht werden. Und sie werden an der Ostfront Europas gebraucht. Natürlich kann Deutschland nicht alle Panzer an die Ukraine abgeben, aber im Falle unseres Erfolgs wird die Gefahr auch für Deutschland viel kleiner. Ich freue mich, dass der deutsche Kanzler Olaf Scholz in Europa jetzt eine Führungsrolle übernimmt und jetzt offensiv dafür wirbt, dass auch die anderen Länder die Ukraine stärker unterstützen.

Insbesondere Sahra Wagenknecht verweist immer wieder auf die Möglichkeit, diesen Krieg am Verhandlungstisch zu beenden. Warum ist das keine Option?

Glauben diejenigen, die Verhandlungen fordern, dass sie das, was US-Präsident Joe Biden, Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Emmanuel Macron nicht geschafft haben, schaffen würden? Wir haben von Putin mehrfach gehört, dass uns Ukrainern das Existenzrecht aberkannt wird. Wie soll man da Verhandlungen führen? Niemand hat mir bisher einen Plan vorgestellt. Und wenn man dann vorschlägt, die Ukraine könnte ja Gebiete abgeben, dann frage ich zurück: Würden Sie das auch mit Ihrem Land so machen? Ein Stück Deutschland abgeben, damit alle anderen wieder ihren Frieden haben? Mit diesem Regime, mit diesem Russland kann man nur aus der Position der Stärke verhandeln. Natürlich wird jeder Krieg irgendwann mit Verhandlungen beendet, aber für uns ist entscheidend, dass Russland die Verantwortung übernimmt für diesen Krieg. Russland muss zur Rechenschaft gezogen werden und für die Schäden bezahlen – und nicht der Steuerzahler in Deutschland und anderen Ländern.