Trotz Krisenbewältigung steht Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach wegen mutmaßlicher Beteiligung im Luxusschleuser-Skandal unter Druck.
KorruptionsverdachtSolingens OB ist als Krisenmanager gefragt – und hat ein Problem
Als alles gesagt ist am Montagmittag beim Kanzlerbesuch in Solingen, kommt es zu einer kleinen Geste, die kaum einer bemerkt und die doch so viel sagt. Olaf Scholz zupft den schon abdrehenden Tim Kurzbach kurz am Arm, drückt ihm die Hand und posiert nur mit ihm für ein gemeinsames Pressefoto.
Der Oberbürgermeister von Solingen kann das, was Politikern im Allgemeinen und Scholz im Besonderen so schwer fällt: Er redet mit pastoralem Timbre so einfühlsam wie ein Trauerredner, ohne dass es aufgesetzt rüberkäme. Mit kleinen Augen und Drei-Tage-Bart verkörpert der große Mann im schwarzen Anzug die Niedergeschlagenheit seiner Stadt, ohne überfordert zu wirken.
„Es sind immer noch schwere Tage in Solingen. Wir versuchen, in eine neue Woche zu starten“, formuliert Kurzbach. Und: „Wir sind noch lange nicht durch mit dem Schrecken der Ereignisse hier.“ Seit bald zehn Jahren ist der SPD-Mann Oberbürgermeister. Schon häufiger musste er in die Rolle des Kümmerers und Krisenmanagers wechseln. Etwas zynisch könnte man meinen, er hätte Routine im Ausnahmezustand.
Allein das laufende Jahr meinte es nicht gut mit den Solingern. Im März kamen vier Menschen mit Migrationshintergrund bei einem Brandanschlag ums Leben. Eine Beziehungstat. Sofort war dennoch die lokale Urschande wieder präsent: das von Rechtsextremen 1993 in der Unteren Wernerstraße gelegte Feuer, das fünf Mitglieder der Familie Genc tötete.
Ende Juni kam es dann zu einer Explosion, die Verbindungen ins niederländisch-marokkanische Drogenmafia-Milieu nahelegte. Und jetzt auch noch das Messer-Attentat, ausgerechnet in der „Klingenstadt“ Solingen. „Diese Stadt ist gebeutelt“, sagt Philipp Müller, Mitorganisator des Stadtfestes, das der Schauplatz der Terrorattacke vom vergangenen Freitag war.
Ein Kümmerer mit Biss
Oberbürgermeister Kurzbach ist seither als Tröster und Schutzpatron unterwegs. Er fordert „Respekt vor den Menschen in dieser Stadt“ und bittet: „Lasst uns zur Ruhe kommen.“ Die bergische Mittelstadt will kein Symbolort der verfehlten Migrationspolitik der Bundesrepublik werden. „Solingen und danach. Solingen, Solingen. Es geht nicht nur um Solingen. Es geht um unser Land und deshalb müssen die Debatten auch an anderen Orten geführt werden“, brummt Kurzbach.
Der Diplom-Sozialarbeiter war Chef der Arbeiterwohlfahrt, bevor er zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Der Vater von drei Kindern ist mit einer ehemaligen grünen Lokalpolitikerin verheiratet und wohnt in seinem Heimatstadtteil Ohligs. Er wurde kirchlich sozialisiert, leitete vor Ort den Bund der Deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und ist seit zehn Jahren Vorsitzender des Diözesanrates im Erzbistum Köln.
„Solingen selbstbewusst“, lautete Kurzbachs Wahlkampfmotto. Sich selbst attestiert der 46-Jährige eine Mischung aus rheinischer Fröhlichkeit und bergischer Sturheit. In der NRW-SPD war man lange stolz auf gedanklich unabhängige Kommunalpolitiker wie ihn, der in der Corona-Krise mit dem „Solinger Modell“ des Distanzunterrichts immer wieder die damalige Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) triezte.
Düsterer Schatten über Kurzbach
Der Lohn: 2020 wurde Kurzbach im ersten Wahlgang im Amt bestätigt. Viele von solchen zupackenden und sendungsbewussten Typen mitten aus dem Leben – Vater KfZ-Meister, Mutter Hausfrau – hat die NRW-SPD nicht mehr.
Mitte Juni legte sich jedoch ein düsterer Schatten über die Karriere des Machers, der möglicherweise zu hemdsärmelig eigene Wege gegangen ist: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf führt den Oberbürgermeister als Beschuldigten im sogenannten Luxusschleuser-Skandal. Kurzbachs Verwaltung soll geholfen haben, vermögenden Chinesen Aufenthaltstitel zu ergaunern. Bestechung seht im Raum. Der SPD-Mann bestreitet jede Verwicklung.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wird trotzdem in Berlin gefragt, ob ihr Genosse Kurzbach, mit dem sie so vertraut sei, angesichts der Ermittlungen gegen ihn noch der Richtige für die Bewältigung der Krisenlage sei. Faeser antwortet verärgert, dass sie auf solche „Fragen, die wirklich sehr unsachlich sind, nicht antworte“. Überhaupt: Sie kenne Kurzbach nur durch die Gedenkfeier „30 Jahre Brandanschlag Solingen“ aus dem vorigen Jahr.
Das klang nicht nach einer Ehrenerklärung. Tim Kurzbach, der dem Landesvorstand der SPD angehört, scheint selbst im Schatten des Terroranschlags ein Krisenmanager auf Bewährung zu sein. Wenn sich die Vorwürfe im Schleuser-Skandal erhärten sollten, könnte ihm wohl selbst die einfühlsame Trauerarbeit dieser Tage im kommenden Jahr nicht die Wiederwahl retten.