AboAbonnieren

„No-Shows“Dürfen Arztpraxen bei einem verpasstem Termin Ausfall fordern?

Lesezeit 4 Minuten
Facharzt wurde in einen Terminkalender geschrieben.

Zwischen zehn und 20 Prozent der Termine werden nicht wahrgenommen.

Ärztevertreter wollen Patienten, die nicht zum Termin kommen, zahlen lassen. Wo das schon passiert ist und was Patienten wissen sollten. Ein Überblick.

Wer schon einmal versucht hat, als Kassenpatientin einen Facharzttermin zu bekommen, kennt das Problem: Bis man einen Arzt oder eine Ärztin zu Gesicht bekommt, kann es je nach Fachrichtung gern mal mehrere Wochen dauern. Umso ärgerlicher ist es, wenn andere Patienten Termine blockieren und dann unentschuldigt nicht erscheinen. Sollten solche „Terminschwänzer“ – auch „No-Shows“ genannt – bestraft werden, wie Kassenärztechef Andreas Gassen jetzt fordert? Das sollten Patienten dazu wissen:

Wie groß ist das Problem der „No-Shows“ überhaupt?

Dazu gibt es verschiedene Angaben. Die Kassenärzte verweisen auf bundesweite Erhebungen, nach denen zwischen zehn und 20 Prozent der Termine nicht wahrgenommen werden. Die Quote geht nach oben, wenn der Arztbesuch über die zentrale Hotline 116117 ausgemacht wird. Dann liegt sie bei 30 Prozent. Der Gesundheit-IT-Anbieter Doctolib hat 2023 die Ausfälle in den zehn größten deutschen Städte selbst nachgerechnet: München kommt auf eine Quote von 5,6 Prozent, Dortmund auf 8,7 und Essen auf 9,8 Prozent. Spitzenreiter unter den zehn größten Städten ist Leipzig mit 11,0 Prozent. Alle Fachrichtungen sind betroffen - Zahnärzte berichten davon ebenso wie Dermatologen.

Warum wollen die Arztpraxen Zahlungen verlangen?

Arztpraxen sind heute kleine Unternehmen, die wirtschaftlich gut geführt werden müssen. Wenn ausgefallene Termine nicht schnell nachbesetzt werden können, entstehen im Zweifel Kosten. Das Problem betrifft weniger die Hausarztpraxen, die einen hohen Patientendurchlauf haben. In einer Befragung von 2020 gaben sie ihren wirtschaftlichen Schaden „nur“ mit 1580 Euro an. Fachärzte bezifferten ihn mit durchschnittlich 5409 Euro, Psychotherapeuten mit 3151 Euro.

Der niedergelassene Dermatologe Uwe Schwichtenberg sagt, dass Praxen „No-Shows“ längst einkalkulieren. „Sie überbuchen die Sprechstunden deshalb“, so Schwichtenberg, der im Vorstand des Dermatologen-Berufsverbands BDD ist. Kritisch sei es aber, wenn umfangreichere OP-Termine nicht wahrgenommen würden. Er habe in seiner Praxis an jedem OP-Tag einen Patienten, der nicht komme.

Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein weist auf die Folgen für Patienten hin: „Das Problem bei den No Shows ist grundsätzlich, dass nicht abgesagte Patiententermine einen künstlichen Mangel erzeugen und die Wartezeiten für alle Patientinnen und Patienten erhöhen“, so eine Sprecherin.

Darf eine Praxis eine Strafgebühr verlangen?

Teilweise, sagt Sabine Wolter, Gesundheitsrechtsexpertin der Verbraucherzentrale NRW. Gerichte haben dazu bislang zwar nicht einheitlich geurteilt. Ausfallhonorare seien in bestimmten Fällen aber zulässig, so Wolter. Entscheidend sei dafür die Praxisorganisation. Meint: Praxen mit vollen Wartezimmern werden es im Zweifel schwerer haben, eine Ausfallgebühr durchzusetzen, als eine sehr spezialisierte gefäßchirurgische Praxis mit wochenlangen Wartezeiten auf neue Termine.

Was sollten Patienten noch wissen?

Praxen müssen nach Angaben von Fachleuten Ausfallhonorare schriftlich mitteilen – etwa in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder bei der Terminvergabe. Darauf verweist die Zahnärztekammer Nordrhein. Das geht auch aus einem Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahr 2022 hervor. Zulässig ist nach Einschätzung des BKK-Landesverbands nur die Berechnung eines konkreten Schadens, etwa des entgangenen Honorars.

Wann darf keine Gebühr verlangt werden?

Wenn Termine aus legitimen Gründen auch kurzfristig abgesagt werden müssen, etwa weil ein Patient krank geworden ist oder einen Unfall hatte. Generell gilt: Absagefristen dürfen nicht zu lang sein. In Gerichtsurteilen wurde die Grenze von 48 Stunden akzeptiert.

Übernimmt die Krankenkasse die Ausfallgebühren?

Nein, bislang nicht. Die Praxis muss die Gebühr dem Patienten vielmehr direkt in Rechnung stellen - wie eine Privatleistung des Arztes. Das will Andreas Gassen ändern. Er fordert, dass die Krankenkassen die Strafgebühr regelhaft übernehmen. Die wehren sich: Alle Versicherten würden damit für das Verschulden einzelner Patienten gerade stehen, heißt es. Der BKK-Landesverband Nordwest hält die Debatte für überdreht. „Wir gehen davon aus, dass dies nur eine kleine Gruppe von Patienten betrifft“, sagt Landeschef Dirk Janssen. „Die große Mehrheit ist froh, zeitnahe Termine oder überhaupt einen behandelnden Arzt zu finden.“ Anstellt schriller populistischer Forderungen, wünsche er sich „konkrete Maßnahmen der Kassenarztvertreter, wie die ständige Diskriminierung von GKV-Patienten bei der Terminvergabe beendet wird“.

Für Privatversicherte unterstreicht der PKV-Spitzenverband: Versichert sind „medizinisch notwendige Heilbehandlung“. Findet ein Arzttermin nicht statt, gibt es auch keine Behandlung. Heißt: Die Versicherung übernimmt das Ausfallhonorar nicht.

Können Patienten von Praxen abgelehnt werden?

Laut einer Befragung von 2020 vermerken sieben von zehn Praxen Terminschwänzerei in der Patientenakte. Bei wiederholtem Nichterscheinen könnten Praxen nach Einschätzung des BKK-Landesverbands zudem Patienten ablehnen. Die NRW-Verbraucherzentrale betont aber, dass ein einmaliges Nichterscheinen bei einem langjährigen Patienten anders bewertet werden müsse als bei einem neuen. Wichtig: Notfälle müssen behandelt werden.