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Star-Fußballer mit politischer StimmeWie Mbappé vor den Neuwahlen an die Franzosen appelliert

Lesezeit 7 Minuten
Frankreichs Nationalstürmer Kylian Mbappé

Frankreichs Nationalstürmer Kylian Mbappé

In seinem Heimatort Bondy wird der Star der Équipe Tricolore noch mehr verehrt als im Rest des Landes. Was denken die Einwohner über seine politischen Einlassungen? Ein Besuch in der Banlieue im Nordosten von Paris.

Der hat sich die Nase gebrochen, so ein Pech! Hoffentlich steht er bald wieder auf dem Platz.“ Boubacar sitzt auf einem Mauer-Vorsprung vor dem Parkplatz von „Harry’s Café“ in Bondy, in dem er arbeitet. Von hier aus bietet sich ihm ein guter Blick auf das berühmteste Hochhaus im Ort, zehn Stockwerke hoch. Eine der Seitenflächen ziert eine riesige Freske zu Ehren des großen Sohnes der Stadt: Kylian Mbappé, der Star-Fußballer und Kapitän der französischen Mannschaft, der beim ersten EM-Spiel am Montag gegen Österreich einen Nasenbruch erlitten hat.

Aber nicht nur deshalb macht der 25-Jährige momentan von sich reden; sondern auch aufgrund seines Appells an alle Franzosen, sich an den Parlamentswahlen am 30. Juni und 7. Juli zu beteiligen. Er sei „gegen die Extremen, gegen die Ideen, die spalten“, sagte er am Sonntag bei einer Pressekonferenz. Damit löste er einen Sturm aus Reaktionen aus. Darf, soll, muss ein Fußballer sich zu politischen Vorgängen äußern?

Im unteren Bereich des Gemäldes auf der Hauswand ist Mbappé als verträumter Junge dargestellt, der mit geschlossenen Augen einen Fußball umarmt. Darüber erscheint er als breitschultriger Erwachsener von hinten im Trikot der französischen Nationalelf. Darauf prangen sein Nachname und seine Nummer, die Zehn. „Liebe deinen Traum, und er wird dich zurück lieben“, steht auf Französisch zwischen beiden Abbildungen.

Kylian Mbappé: Seinen Traum verwirklicht

Der Sohn einer Algerierin und eines Kameruners hat einen Traum realisiert, den Millionen kleiner Jungen und Mädchen träumen: Vom anonymen Einwandererkind aus der Banlieue stieg er auf zu einem der besten und bestbezahltesten Fußballer der Welt. Aufgewachsen ist er wie sein Teamkollege Randal Kolo Muani in Bondy. Der knapp 55000 Einwohner zählende Vorort im Nordosten von Paris gehört zum Département Seine-Saint-Denis, das für seine sozialen Spannungen berüchtigt ist.

Beim örtlichen Fußballverein AS Bondy begann Mbappé zu kicken, zunächst trainiert von seinem Vater Wilfried Mbappé. Auch seine Mutter Fayza Lamari war Top-Sportlerin, spielte in der höchsten französischen Handball-Liga. Als Zehnjähriger wechselte Mbappé ins Nachwuchsleistungszentrum INF Clairefontaine im schicken Pariser Westen. 2015 startete er seine Karriere in der Jugendabteilung der AS Monaco, bevor er 2017 beim Hauptstadt-Club Paris Saint-Germain (PSG) unterschrieb.

Er ist, was Zidane vor 20 Jahren war: ein Idol und Botschafter zugleich

Noch als Teenager schoss er während der WM 2018 in Russland fünf Tore, vier Jahre später war er in Katar mit acht Treffern Top-Torjäger. Nun wechselt er zu Real Madrid. Der 25-Jährige gilt als Frankreichs Vorzeigespieler schlechthin. Was Zinédine Zidane vor 20 Jahren für Marseille war, ist Kylian Mbappé heute für Bondy: ein Idol und Botschafter zugleich. Ein Symbol für den Aufstieg, möglich mit viel Fleiß und Talent.

„Seine Geschichte inspiriert in seinem Heimatort viele“, sagt Boubacar. Auch ihn selbst, der ebenfalls der Sohn von Migranten ist. „Wir sind stolz auf ihn und es kommen ständig junge Leute her, um sich vor der Freske zu fotografieren.“ Man sieht sie von der Autobahn A3 aus, die nach Paris führt. Bei der Einweihung des Kunstwerks im Jahr 2017 kam Mbappé persönlich vorbei, auch wenn er schon lange nicht mehr in Bondy lebt und das Gebäude mit der Freske nie sein Wohnhaus war. „Hier wohnte nur sein Chauffeur“, glaubt Boubacar zu wissen. Mbappés jüngste Äußerungen zur Politik finde er gut, sagt der 38-Jährige. „Ich selbst wäre sowieso wählen gegangen, aber viele junge Leute kann das motivieren. Daran fehlt es manchmal.“

Genau darauf zielte Mbappé ab, indem er sagte, er gehöre einer Generation an, „die den Unterschied machen kann“. Die Extremen befänden sich an der Pforte zur Macht und könnten über die Zukunft des Landes entscheiden. Doch er wünsche sich, am 7. Juli, nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen, immer noch stolz sein zu können, das französische Trikot zu tragen. „Ich will nicht ein Land repräsentieren, das nicht zu meinen Werten passt“.

Tatsächlich liegt die rechtsextreme Partei laut Umfragen mit mehr als 30 Prozent vorne und könnte vielleicht sogar eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreichen. Im zweiten Fall würde der 28-jährige Parteichef Jordan Bardella Premierminister. Zu Thurams und Mbappés Aussagen befragt, sagte Bardella, er habe viel Respekt und Bewunderung für beide, aber es gelte, die Entscheidung der Franzosen zu respektieren. „Bei Multimillionären, die in Privatjets herumfliegen, finde ich es etwas störend, wenn diese Sportler Leuten Lektionen geben, die 1400 Euro pro Monat verdienen und nicht in behüteten Vierteln leben.“

Demgegenüber applaudierten Vertreter der Regierungspartei Mbappé. Er habe „absolut vorbildliche Worte gewählt“, sagte die Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra. Der französische Fußballverband FFF stellte in einem Kommuniqué klar, dass den Spielern zwar Meinungsfreiheit garantiert werde und der Appell zum Urnengang notwendig sei. Aber beim FFF handle es sich um eine neutrale Institution, die keine Wahlempfehlungen abgebe. „Ich bin Verbandspräsident, nicht Chef einer Partei“, betonte FFF-Präsident Philippe Diallo.

Für Paul Dietschy, Professor für Zeitgeschichte an der Universität der Franche-Comté und Spezialist für die Geschichte des französischen Fußballs, kommen Mbappés Aussagen zur Wahl nicht überraschend. Bereits vor einem Jahr hatte er öffentlich auf die damaligen Jugend-Unruhen in Frankreich reagiert. „Mir tut die Seele für Frankreich weh“, kommentierte er damals. „Indem er sich während der EM äußerte, trat er aus seiner Rolle als Fußballprofi heraus, aber zugleich erscheint es normal, dass er bei Fragen Position ergreift, die ihm am Herzen liegen“, betont Dietschy.

Sportler sind nur selten politisch eindeutig

Solche klaren Stellungnahmen seien selten, weil Spitzensportler heute über ein Wirtschaftsimperium verfügten und sich deshalb meist in einvernehmlicher Weise äußern. Für jüngere Spieler, die noch keinen „Star-Status“ haben, sei eine politische Positionierung daher schwierig. Mbappé gehe allerdings kein großes Risiko ein, da er längst eine „Marke“ sei. Ob seine Empfehlungen konkrete Auswirkungen auf die Wahl haben, ist schwer zu messen. Allein im Netzwerk Instagram folgen ihm mehr als 118 Millionen Menschen.

Auch Emmanuel Macron hat mehrmals versucht, Mbappés potenziellen Einfluss für sich zu nutzen, indem er immer wieder seine guten Beziehungen zu ihm hervorhob. Während einer Sendung mit zwei bekannten YouTube-Stars 2021 griff der Präsident wie spontan zum Hörer und rief mal eben „Kylian“ an, um ihn davon zu überzeugen, von PSG zu Macrons Lieblings-Club Olympique Marseille zu wechseln. „Unmöglich!“, lachte der Fußball-Star, der das Spiel mitmachte. Nach der Niederlage der „Bleus“ im WM-Finale Ende 2022 schien er sich hingegen aus Macrons tröstenden Umarmungen zu winden. Das war dann doch zu viel Nähe.

Für sie sei Mbappé ein Vorbild und eine wichtige Stimme, sagen Mohammed und Loris einhellig. „Wir kennen ihn und seinen kleinen Bruder Ethan, der spielt auch bei PSG. Das sind super Typen!“ Die beiden 18-jährigen Schüler verbringen ihre Mittagspause vor dem Sportstadion Léo-Lagrange in Bondy. Es gehört zu den wenigen Grünflächen in einer Stadt, die von Beton, stark befahrenen Alleen, Schnellimbissen und Sozialsiedlungen geprägt ist.

„Mit dieser Hautfarbe gehört man einfach nie ganz dazu“

„Wir sind selbst in unserem Alltag ständig mit Rassismus konfrontiert“, klagt Loris. „Mit dieser Hautfarbe“, er zeigt mit dem Finger auf sein schwarzes Gesicht, „gehört man einfach nie ganz dazu.“ Wenn der Rassemblement National an die Macht komme, werde das sicher noch schlimmer. „Wir müssen das verhindern, deshalb gehen wir alle wählen“, sagt Mohammed.

In ihremWahlkreis hat die Kandidatin der Linkspartei LFI beste Chancen. Bei den letzten Parlamentswahlen 2022 hätte sie fast im ersten Wahlgang 50 Prozent erhalten. Die Rechtsextremen lagen damals bei 10,4 Prozent, bei den EU-Wahlen vor zwei Wochen bei knapp 17 Prozent. Doch rund zwei Drittel der Einwohner des Départements enthielten sich jeweils, so als fühlten sie sich nicht zugehörig zum Land; als sei das politische Angebot nicht für sie gemacht. Der Anteil der Einwanderer ist hier überdurchschnittlich hoch, ebenso wie die Zahl der Menschen, die in Armut leben.

Er sei sympathisch, aber was wisse Mbappé heute vom Leben in Bondy, sagt Anissa, die einen Kinderwagen mit ihrer jüngsten Tochter über den Platz vor dem Rathaus schiebt. Die Unsicherheit nehme zu. „Ich lasse meine Töchter nicht alleine raus, das ist viel zu gefährlich mit all den Typen, die hier herumlungern.“ Sie werde wählen gehen, aber nicht weil Mbappé das sage. Und auch nicht in seinem Sinne. „Wir haben alles ausprobiert, die Linken, die Rechten. Jetzt können die Rechtsextremen ihre Chance bekommen, auch wenn die es vielleicht nicht besser machen werden.“ Das werde sich ja zeigen, schlimmer könne es kaum werden.

Es ist die Einstellung vieler Menschen in Frankreich, die neuerdings zur Partei Marine Le Pens tendieren. Sie ist auch in Bondy angekommen. Ihrem großen Sohn Kylian Mbappé zum Trotz.