Interview

Strafrechtler zum Clan-Vermögen
„Man hat zu lange die Augen verschlossen“

Lesezeit 4 Minuten
Leverkusen: Polizisten verlassen in Leverkusen eine Villa nach Durchsuchungen im Bereich der Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen.

Leverkusen: Polizisten verlassen in Leverkusen eine Villa nach Durchsuchungen im Bereich der Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen.

Clan-Kriminelle stellen ihren Reichtum gern zur Schau, sie protzen mit teuren Uhren und Autos. Warum greift der Rechtsstaat nicht bei diesen Statussymbolen häufiger an?

Strafrechtsprofessor Arndt Sinn aus Osnabrück ist Experte für Organisierte Kriminalität und berät unter anderem Europol. Er hat einen für die Justiz mehr als unbequemen Verdacht.

Herr Sinn, fangen wir doch mal ganz grundlegend an: Gibt es überhaupt Clan-Kriminalität?

Wenn man ins Strafgesetzbuch schaut, steht dort nichts von Clan-Kriminalität. Aber für mich unbestritten ist, dass es Kriminelle gibt, die aus einem Familienverbund heraus Straftaten begehen. Und dass jene Kriminelle die Mechanismen zur Konfliktlösung, die es in unserer Gesellschaft gibt, ablehnen: also Polizei und Gerichte. Vor vielleicht zehn Jahren war das noch ein Tabu-Thema. Das hat sich gewandelt und ist auch gut so. Man hat zu lange die Augen vor dem Phänomen der Clan-Kriminalität verschlossen.

Was kennzeichnet dieses Phänomen bei den Straftaten?

Da gibt es nach meinem Eindruck ein häufiges Missverständnis: Clan-Kriminalität ist nicht zwangsläufig Organisierte Kriminalität mit schwersten Straftaten. In Deutschland gab es 2022 insgesamt 639 OK-Verfahren. Davon haben 46 einen Clan-Hintergrund. Das sind nur 7,2 Prozent.

Also ist die sicherheitspolitische Diskussion über kriminelle Clans übertrieben?

Weiten wir den Blick, was sonst noch so unter Clan-Kriminalität fällt: illegale Autorennen, Bedrohungen, Beleidigungen, Tumultlagen … das ist vielleicht keine schwerste Kriminalität, aber es sind Dinge, die die Mehrheitsbevölkerung massiv stören und die Frage aufwerfen, ob der Staat noch in der Lage ist, Recht und Gesetz durchzusetzen.

Die Sicherheitsbehörden in den Ländern, die sagen, es gebe bei ihnen Clan-Kriminalität, gehen teils massiv dagegen vor. NRW-Innenminister Herbert Reul spricht von der Politik der „1000 Nadelstiche“. Manche sagen, er sei gescheitert, weil es trotzdem immer wieder zu Problem kommt.

Clans halten unser Wertesystem nicht für ihr Wertesystem. Wenn der Staat dagegen nicht vorgeht, verfestigen sich Strukturen innerhalb der Familien. Das steckt hinter der Strategie von Herbert Reul: Zeigen, dass wir Rechtsbrüche nicht dulden – mögen sie noch so klein sein. Was passiert, wenn der Staat nicht dagegenhält, sieht man derzeit am Bereich der Organisierten Kriminalität allgemein: Dort steigt die Gewalt, etwa in Form von Schießereien, die eigentlich vermieden wird, weil sie Aufmerksamkeit erzeugt und den Verfolgungsdruck erhöht. Aber: Kriminelle halten den Rechtsstaat nicht mehr für wehrfähig. Gewalt wird zum probaten Mittel.

Nun sagen manche Bundesländer, es gebe gar keine Clan-Kriminalität bei ihnen. Kann das sein?

Schwierig. Einerseits ist es ja richtig, dass Clan-Kriminalität aus Familienverbünden heraus geschieht. Da geht es also auch schon um eine gewisse Sesshaftigkeit. Andererseits: Würden manche Bundesländer genauer hinschauen, würden sie vermutlich auch bei sich Clan-Kriminalität entsprechend der bundesweit einheitlichen Definition feststellen. Das ist sicher auch immer eine Frage der sicherheitspolitischen Priorisierung.

Wichtig im Clan-Milieu sind neben der Familienehre auch Statussymbole: teure Autos, Uhren und so weiter. Der Staat hat für Fälle, in denen diese Statussymbole in Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften stehen, das Instrument der Vermögensabschöpfung, er kann Luxusgegenstände beschlagnahmen. Wird davon ausreichend Gebrauch gemacht?

Es gab 2017 eine ziemlich weitreichende Reform in Deutschland, die den Ermittlern bei der Vermögensabschöpfung deutlich mehr Möglichkeiten gebracht hat. Die Grundlagen sind da, allein die Umsetzung lässt bislang eher zu wünschen übrig. Es gibt vereinzelte Leuchttürme wie die Staatsanwaltschaft Osnabrück, die in Sachen Vermögensabschöpfung stark ist. Aber andernorts …

Woran liegt das? Es kann doch nicht vom Wohnort mutmaßlicher Krimineller abhängen, wie sehr sie um das illegal erworbene Vermögen bangen …

Die neuen rechtlichen Möglichkeiten sind kein Pflichtstoff in der Ausbildung von Juristen. Vermögensabschöpfung ist zum Beispiel in Niedersachsen kein Prüfungsstoff. Das bedeutet: Junge Richter oder Staatsanwälte nehmen ohne entsprechendes Wissen ihre Arbeit auf, wenn sie sich nicht von sich aus um das Thema gekümmert haben.

Wie kann man hier nachhelfen?

Jeder Arzt in Deutschland muss sich fortbilden, wenn er seine Zulassung behalten möchte. Für Staatsanwälte und Richter gilt das nicht. Warum eigentlich nicht? Wir brauchen mehr Wissen in der Justiz darüber, was schon möglich ist. Das ist derzeit nur punktuell der Fall.

Nachtmodus
Rundschau abonnieren