Dicke Hose im KnastWie Clan-Kriminelle auch im Gefängnis für Probleme sorgen

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Blick aus einer Zelle in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf.

Blick aus einer Zelle in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf.

Vollzugsbeamte schlagen Alarm: Mitglieder von kriminellen Großfamilien machen im Gefängnis dem Personal immer mehr Probleme. Zuletzt brannten sogar Autos missliebiger Mitarbeiter.

Manchmal fällt es Thomas Goiny schwer, an Zufälle zu glauben: Am Osterwochenende in diesem Jahr wurde ein verurteiltes Clan-Mitglied in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heidering im brandenburgischen Großbeeren mit einem Smartphone erwischt. „Und genau von dem Beamten, der dem inhaftierten Clan-Mitglied das Telefon weggenommen hat, brannte kurz darauf in der Nacht das Fahrzeug“, sagt Goiny, Berliner Landesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD). Die Identität des Beamten sei offenbar nach draußen gelangt, der Verdacht einer „Racheaktion“ liege nahe, so Goiny.

Zumal wenig später die JVA Heidering selbst zum Ziel wurde. Ende April brannten gleich mehrere Mitarbeiterfahrzeuge. Man ermittele derzeit noch gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Brandstiftung, heißt es von der Staatsanwaltschaft Potsdam. Der verdächtige inhaftierte Clan-Angehörige selbst soll, als dieser Vorfall stattfand, bereits wegen des illegalen Smartphones in ein anderes Bundesland verlegt worden sein. „Das müsste es bei jeglicher Organisierten Kriminalität viel häufiger geben“, findet Goiny.

Weg von den vertrauten Strukturen

Sitzen sie in anderen Bundesländern ein, so die Idee hinter den Verlegungen, können inhaftierte Clan-Angehörige und Mitglieder anderer krimineller Organisationen nicht mehr auf die vertrauten Strukturen zurückgreifen, die in ihrem direkten Wohnumfeld herrschen. Doch wegen des Resozialisierungsgedankens sollen Verurteilte eigentlich in Wohnortnähe im Gefängnis sitzen. Clan-Mitgliedern hilft dieses rechtsstaatliche Prinzip laut Goiny also gewissermaßen bei den Drohgebärden gegenüber anderen Inhaftierten.

Dass ein Interessenvertreter der Strafvollzugsbeamten wie Goiny in den brandenburgischen Autobränden Einschüchterungsversuche sieht, kommt nicht von ungefähr. Das Aggressionspotenzial gegenüber seinen Berufskollegen hinter Gittern sei insgesamt gestiegen: „Mindestens ein Kollege am Tag wird bedroht, bespuckt, beleidigt, angegriffen“, sagt René Müller, Bundesvorsitzender des BSBD.

Clan-Mitglieder bilden dabei keine Ausnahme – ganz im Gegenteil. Laut Müller gehören Einschüchterung und Bedrohung im Haftalltag zur Tagesordnung, um Vorteile zu erlangen. „Die haben im Gefängnis das gleiche Auftreten wie draußen. Sie halten sich auch da für den Mittelpunkt der Welt“, kommt der BSBD-Chef zu einem deutlichen Urteil.  Weibliches Gefängnispersonal habe es besonders schwer.

„Unsere Kollegen müssen da jeden Tag gegenhalten. Denn man darf sich da nicht auf der Nase herumtanzen lassen“, führt Müller aus. Allerdings schränkt er diese Einschätzung ein: Andere Gefangene würden vielleicht nicht so großspurig auftreten wie die Clan-Mitglieder, seien deswegen aber trotzdem gefährlich.

Gleichzeitig gebe es für die Behördern und ihre Bediensteten nur wenig Spielraum, das Treiben in den Gefängnissen zu unterbinden. Denn da die Straftäter meist in Gefängnissen in Wohnortnähe einsitzen, bleibe der Kontakt zu den kriminellen Kompagnons draußen während der Haftzeit bestehen. Dazu kommt: Werden mehrere Clan-Mitglieder geschnappt, sitzen sie nach Prozess und Verurteilung womöglich sogar im selben Gefängnis ihre Zeit ab.

Gefängnisse sind zu 90 bis 105 Prozent ausgelastet

„Wenn mehrere Häftlinge als Clan auftreten, versucht man die zu trennen“, sagt Oliver Mageney, BSBD-Chef in Niedersachsen. Auch dort gibt es jährlich Tausende Straftaten, die der Clan-Kriminalität zugeordnet werden. Dass seine Kollegen auf den Stationen der Haftanstalten akut bedroht wurden, habe er allerdings noch nicht mitbekommen, versichert Mageney. „Die größte Problematik ist, dass die Gefängnisse zu 90 bis 105 Prozent ausgelastet sind.“

Zum einen steigt durch diese Überbelegung die Bedrohungslage für JVA-Beamte. Zum anderen gibt es kaum noch Möglichkeiten, Bandenmitglieder in den Gefängnissen räumlich zu trennen. Zudem fehlt es auf den einzelnen Stationen immer mehr an Vollzugspersonal. „Teilweise kommen auf einen JVA-Angestellten 70 Insassen, die zu beaufsichtigen und zu betreuen sind“, sagt Gewerkschafter René Müller. „Wenn wir da nicht langsam reagieren, bricht uns der ganze Laden zusammen.“

Viele seiner Kollegen im chronisch unterbesetzten Strafvollzug seien ausgebrannt. Gleichzeitig sei aber Personalstärke die beste Prävention gegen Übergriffe, fährt Müller fort. „Wenn wenigstens zwei Kollegen vor Ort sind, halten sich die Insassen selbst mit Beleidigungen eher zurück. Zeugen sind unerwünscht. Der Kollege neben mir auf der Station ist meine Lebens- und Gesundheitsversicherung.“

Nur sieht es in den deutschen Gefängnissen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus, was das Personal angeht. Im bundesweiten Durchschnitt kommen auf einen Gefängnis-Mitarbeiter 1,42 Insassen, wie das Bundesjustizministerium auf Anfrage darlegt. In Schleswig-Holstein (1,03) und Niedersachsen (1,19) ist die Quote demnach besonders niedrig.

Doch die Gesamtzahl des Gefängnispersonals für solche Berechnungen als Grundlage zu nehmen, ist nach Ansicht der JVA-Beschäftigten Augenwischerei. Sozialarbeiter, Putzdienst, Verwaltung und viele andere Berufsgruppen seien dabei schon mitgezählt. Auf den Stationen selbst, also im direkten Kontakt mit den Gefangenen, sehe es bei der Personalstärke deshalb schon längst nicht mehr so rosig aus.

Mehr Schutz für Gefängnisbeamte gefordert

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten fordert von der Politik mehr Schutz für Gefängnisbeamte. So dürften zum Beispiel die Adressen der Mitarbeiter nicht mehr einfach über das Meldeamt gefunden werden. Auch ein spezielles Bundesgefängnis, etwa für besonders gefährliche Extremisten und Islamisten, sollte nach Ansicht des BSBD eingerichtet werden. Wohl ohne große Erfolgsaussichten, in Deutschland ist der Justizvollzug konsequent Ländersache.

Dass Clan-Mitglieder hinter Gittern ein besonderes Problem sind, ist zumindest den Justizministerien nach eigener Aussage so nicht bekannt – oder regional zumindest stark unterschiedlich ausgeprägt. Weder das Bundesjustizministerium noch mehrere angefragte Länderministerien haben demnach Kenntnisse über eine gestiegene Bedrohungslage. Thomas Goiny kommt derweil in Berlin, wo es zuletzt immer wieder zu Bränden in JVA-Nähe kam, mit Blick auf fehlendes Personal, veraltete Technik und marode Bauten zu einer bitteren Erkenntnis: „Es wäre schön, wenn die Bedrohung durch Clans unser größtes Problem wäre.“

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