Olaf Scholz hat den Oppositionsführer gerade eine Mimose genannt. Im Interview erklärt CDU-Chef Friedrich Merz, warum der Kanzler da aus seiner Sicht falsch liege.
Friedrich Merz„Die AfD wäre eine wirtschaftliche und moralische Katastrophe für dieses Land“
Friedrich Merz und Olaf Scholz haben sich diese Woche einen ungewöhnlich harten Schlagabtausch geliefert. Die Stimmung zwischen Regierung und größter Oppositionsfraktion scheint am Nullpunkt. Merz (68) ist jetzt zwei Jahre CDU-Chef – und wirkt beim Interview mit Rena Lehmann im Bundestag ziemlich zufrieden mit sich und seiner Partei. Bei neuen Sondervermögen oder einer Lockerung der Schuldenbremse kann der Kanzler aber nicht auf ihn zählen.
Herr Merz, sind Sie eine Mimose?
Weder das noch habe ich ein „Glaskinn“, wie der Kanzler meinte sagen zu sollen. Im Übrigen: Wladimir Klitschko hieß bei seinen Gegnern auch „Glaskinn“. Er hat 64 von 69 Kämpfen gewonnen und 18 WM-Titel nach Hause gebracht.
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Warum lehnen Sie dann jede weitere Zusammenarbeit mit der Bundesregierung ab?
Wir haben der Bundesregierung diese Zusammenarbeit zwei Jahre lang angeboten. Sie hat unsere Vorschläge allesamt abgelehnt und ist zugleich untereinander heillos zerstritten. Und wenn dann während eines Gesprächs zwischen dem Bundeskanzler und mir der Chef des Bundeskanzleramtes den Hauptstadtjournalisten in einer sogenannten „Hintergrundrunde“ im Bundeskanzleramt nur eine Etage tiefer zeitgleich erklärt, der Kanzler brauche die Opposition nicht, das werde er alles mit den Ministerpräsidenten klären, dann ist der Punkt erreicht, wo wir sagen: Wir stehen für eine Regierungs-Show nicht zur Verfügung.
Es könnte in diesem Jahr weitere Unterstützung für die Ukraine notwendig werden, und die Schuldenbremse müsste dafür ausgesetzt werden. Würden Sie da mitmachen?
Wir sehen die Notwendigkeit, der Ukraine zu helfen. Aber wir müssen nicht für einen einstelligen Milliarden-Betrag die Schuldenbremse aussetzen. Der Bundeshaushalt von mehr als 470 Milliarden Euro gibt genügend Spielraum her, um der Ukraine zusätzliche Hilfe zukommen zu lassen. Die Bundesregierung sucht nach Auswegen, um immer mehr Schulden zu machen. Aber dafür sollte die Ukraine nicht als Alibi herhalten.
Der Kanzler will in der EU mehr Druck auf andere Länder ausüben, mehr zu tun für die Ukraine. Hat er Sie dabei an seiner Seite?
Deutschland liegt bemessen nach seiner Wirtschaftsleistung bei den Hilfen für die Ukraine auf Platz sieben oder acht. Der Appell, mehr zu tun, richtet sich dann auch an uns selbst. Ja, wir müssen mehr für das Land tun, denn in der Ukraine wird auch unsere Freiheit verteidigt.
Gehört zur Wahrheit über die wirtschaftliche Lage Deutschlands, dass es als Exportland mit energieintensiver Industrie besonders von den Weltkrisen getroffen ist?
Deutschland ist in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte erst das zweite Mal zwei Jahre in Folge in der Rezession. Das erste Mal war 2002 und 2003. Kanzler Gerhard Schröder hat damals die Agenda 2010 durchgesetzt und dafür gesorgt, dass wir einen bis dahin selten gekannten Aufschwung hatten. In der gleichen Situation sind wir heute. Die gegenwärtige Wachstumsschwäche hat etwas mit den Arbeitskosten, mit den Bürokratielasten, mit den Energiekosten und mit den hohen Steuern zu tun. In einer solchen Situation sechs Kernkraftwerke stillzulegen, ist eine grandiose strategische Fehlentscheidung, die uns jetzt alle teuer zu stehen kommt.
Die Sachverständigen für Wirtschaft haben in dieser Woche eine Reform der Schuldenbremse vorgeschlagen, auch weil sie sagen, es verhindere staatliche Investitionen. Müssten Sie mit Blick auf eine mögliche Bundesregierung unter Ihrer Führung den Vorschlag nicht aufgreifen?
Das sieht der Bundesfinanzminister anders, und wir teilen seine Auffassung.
Die Wirtschaftsweisen argumentieren, dass eine niedrige Schuldenstandsquote nicht notwendig wäre. Also wird das Sparen zum Selbstzweck?
Wir müssen ordentlich haushalten, damit unsere Kinder und Enkelkinder nicht von unserem Schuldenberg erdrückt werden. Im Augenblick haben wir einen ausgewiesenen Schuldenstand von etwa 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, erlaubt wären 60 Prozent. Wenn man die künftigen Verpflichtungen der sozialen Sicherungssysteme noch dazu nimmt, dann kommt noch einmal das Dreifache hinzu! Wir nennen das „Nachhaltigkeitslücke“. Unsere Sozialversicherungen sind alle nicht ausfinanziert. Und wir zahlen aus dem Bundeshaushalt jetzt schon fast 40 Milliarden Euro Zinsen auf die bestehende Staatsverschuldung. Für das Sondervermögen Bundeswehr, das ja auch nur aus zusätzlichen Schulden in Höhe von 100 Milliarden Euro besteht, hat die Bundesregierung bis heute keinen Tilgungsplan vorgelegt. Wie sollen denn die bestehenden Schulden alle zurückgezahlt werden? Und vor diesem Hintergrund sollen wir jetzt einfach noch mehr Schulden machen? Wir müssen mit rund einer Billion Euro Steuereinnahmen, also mit 1000 Milliarden Euro Steuereinnahmen lernen auszukommen.
Wie wollen Sie dann Energiewende und Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität finanzieren? Robert Habeck hat gerade ein Sondervermögen dafür vorgeschlagen.
Nicht jede Investition muss aus öffentlichen Haushalten bezahlt werden. Deutschland braucht Rahmenbedingungen, zum Beispiel einen besseren Kapitalmarkt, um privates Kapital zu nutzen und damit Investitionen zu ermöglichen. Deutschland wäre ein sehr interessanter Standort für private Investitionen in unsere Infrastruktur, in Netze und Kraftwerke. Aber wenn die Bundesregierung bis zum heutigen Tag keine Kraftwerkstrategie hat und nicht weiß, wie sie die Lücke zwischen Wind und Sonne und dem Bedarf der Industrie füllen soll, dann wird auch niemand investieren.
Sie haben die AfD in der Generaldebatte scharf attackiert. Warum ist Angriff jetzt die bessere Strategie als Ignoranz?
Diese Partei konnte im Windschatten der Krisen unbehelligt ihr Unwesen treiben. Es ist jetzt an der Zeit, dass die Parteien der demokratischen Mitte sich ernsthaft und intensiv mit der AfD und ihren Positionen auseinandersetzen. Wir alle müssen deutlich machen, was passiert, wenn diese Partei in Deutschland Regierungsverantwortung bekäme. Das wäre eine wirtschaftliche und vor allem eine moralische Katastrophe für unser Land.
Als Sie im Bundestag über europäische Initiativen sprachen, erwähnten Sie CDU-Kanzler Helmut Kohl, haben Ihre CDU-Kanzlerin Angela Merkel aber nicht erwähnt. Türkei-Deal, Corona-Wiederaufbaufonds, Euro-Rettung – hat Sie dafür nicht Ihre Anerkennung?
Angela Merkel hat im Krisenmodus für Europa viel getan, sie hat auf externe Schocks in der Europäischen Union richtig reagiert. Sie hat in Deutschland und in Europa Verantwortung und Führung übernommen. Ich habe bewusst die letzten Initiativen angesprochen, die die Vertiefung der Europäischen Union in der Währungspolitik und in der Industriepolitik ausgelöst haben. Ich möchte über pro-aktives und weniger über reaktives Handeln der Europäischen Union sprechen, das jetzt nötig wäre.
Sie sind jetzt zwei Jahre Parteichef. Die vielleicht schwierigsten Wahlen stehen in diesem Jahr im Osten an. Werden Sie im Notfall auch mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht oder der Linken koalieren, um AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern?
Wir haben eine klare Beschlusslage. Wir koalieren und kooperieren mit niemandem, der zurück will zum Nationalismus und die Nato und die Europäische Union verlassen will. Und wir kooperieren auch mit niemandem, der die Partnerschaft mit den USA infrage stellt. Da enden alle Kompromisse.