Mögliche RN-Mehrheit in FrankreichWahlergebnis lässt die politische Opposition verzweifeln

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Die Wut vieler Franzosen könnte ihn zum Premierminister machen: Jordan Bardella will das Amt nur übernehmen, wenn sein RN die absolute Mehrheit holt.

Die Wut vieler Franzosen könnte ihn zum Premierminister machen: Jordan Bardella will das Amt nur übernehmen, wenn sein RN die absolute Mehrheit holt.

Am Tag nach der ersten Runde der Parlamentswahlen begannen in Frankreich die Rechenspiele.

Lässt es sich noch verhindern, dass der Rassemblement National (RN) beim zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreicht? Mit 33 Prozent lagen die Rechtsextremen erwartungsgemäß auf dem ersten Platz. Damit haben sie ihr Ergebnis seit den letzten Parlamentswahlen 2022 fast verdoppelt.

Das Linksbündnis Neue Volksfront erreichte 28 Prozent, das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron rund 20 Prozent. In insgesamt 74 französischen Wahlbezirken qualifizierten sich Bewerber bereits in der ersten Runde für ein Mandat im neuen Parlament, unter ihnen gleich 38 Politiker des RN und dessen Frontfrau Marine Le Pen. In den meisten der übrigen 503 Wahlkreise treten mindestens drei Kandidaten erneut gegeneinander an.

Wie umfassend der Triumph für Le Pens Partei wird, hängt nun maßgeblich davon ab, ob es zu vielen Anti-RN-Bündnissen kommt. Dieses Vorgehen ist in Frankreich als „republikanische Front“ bekannt. Bei früheren Gelegenheiten – als etwa 2002 der rechtsextreme RN-Parteigründer Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl um das Präsidentenamt kam – herrschte fast automatisch Konsens bei den anderen Parteien über eine solche gemeinsame Taktik.

Diesmal hatte der frühere sozialistische Präsident François Hollande sogar seine Kandidatur für das Parlament mit dem notwendigen Kampf gegen den RN begründet. Doch die republikanische Front bröckelt: Das Regierungslager hat – im Unterschied zur links-grünen Neuen Volksfront – nach dem ersten Wahlgang bislang auf eine klare Ansage verzichtet.

Welche Kandidaten der beiden Allianzen ziehen sich nun zurück, um die Chancen der rechtsextremen Kandidaten zu schmälern und damit Jordan Bardella an der Spitze der nächsten Regierung zu verhindern? Der 28-jährige RN-Parteichef hat angekündigt, nur Premierminister werden zu wollen, falls er über eine absolute Mehrheit verfügt. Prognosen sagen seinem Lager 230 bis 280 Sitze voraus, nötig wären 289.

Während die Linken mit 125 bis 200 Sitzen rechnen könnten, dürfte es für das Regierungslager nur noch für 60 bis 100 reichen. Offen ist die Frage, wie Präsident Macron angesichts dieser Ergebnisse das Land bis 2027 – dem regulären Ende seiner Amtszeit – weiter regieren will. Am Dienstagabend um 18 Uhr müssen alle Kandidaten für Runde zwei feststehen. Bis dahin wird noch gefeilscht, verhandelt und debattiert.

„Keine Stimme, kein Sitz mehr für den RN“

Selbst Jean-Luc Mélenchon, die umstrittene Führungsfigur der Linkspartei LFI (La France Insoumise, „Das unbeugsame Frankreich“), kündigte an, dass sich die linken Kandidaten überall dort, wo sie nach dem ersten Wahlgang nur drittplatziert sind, zurückziehen werden. „Keine Stimme, kein Sitz mehr für den RN“, tönte er, der sich sonst gegenüber seinen politischen Gegnern wenig kulant zeigt.

Das Regierungslager war nicht so eindeutig – auch aufgrund der streitbaren Persönlichkeit Mélenchons. Dem 72-Jährigen wird Antisemitismus vorgeworfen, da sich seine Partei seit dem Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober weigerte, diese klar als Terror-Organisation einzustufen. Wies er diese Anschuldigungen stets von sich, so provozierte er einmal mehr, indem er seine Rede am Wahlabend neben Rima Hassan hielt, die ein Palästinensertuch um die Schultern trug. Die neue LFI-Europaabgeordnete ist aufgrund ihres militanten Einsatzes für die Palästinenser und ihrer anti-israelischen, mitunter anti-jüdischen Positionen umstritten.

Rückzug der Kandidaten der Präsidentenpartei

Mehrere Persönlichkeiten aus Macrons Umfeld sprachen sich denn auch dafür aus, dass sich die Kandidaten der Präsidentenpartei in den Wahlkreisen, wo sie zurückliegen, zugunsten von Sozialisten, Grünen und Kommunisten zurückziehen sollten – nicht aber zugunsten der LFI. Diese Position bezogen unter anderem Ex-Premierminister Édouard Philippe und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, beide ehemalige Republikaner. „Für mich ist LFI eine Gefahr für die Nation“, so Le Maire. Die Partei sei antisemitisch und schaffe Parallelgesellschaften. Zudem traten mehrere LFI-Abgeordnete regelmäßig lärmend und aufrührerisch im Parlament auf.

Zu Le Maires Haltung befragt, kamen der französischen Grünen-Chefin Marine Tondelier in einem Radiointerview fast die Tränen. Sie sei „niedergeschmettert und extrem wütend“ auf den Minister, der sich „wie ein Feigling und Privilegierter“ benehme, brach es aus ihr heraus. Die LFI könne im zweiten Wahlgang nicht mehr die absolute Mehrheit im Parlament erreichen, der RN dagegen schon. Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 und 2022 hätten etliche Linkswähler für den Liberalen Macron gestimmt, um Marine Le Pen an der Spitze des Staates zu verhindern, erinnerte Tondelier und schob nach: „Zum Glück sind unsere Wähler weniger feige.“

Zumindest Premierminister Gabriel Attal sei etwas eindeutiger, sagte die Grünen-Vorsitzende. Dieser hatte nach der ersten Wahlrunde dazu aufgerufen, „alles zu tun, um das Schlimmste zu verhindern“; doch auch er sprach nur von einem Rückzug der eigenen Kandidaten zugunsten all jener, „die die Republik verteidigen“. Ähnlich hatte es zuvor Macron in einer schriftlichen Erklärung formuliert. Gehört LFI nach dieser Definition dazu? Das blieb unklar.

Wahl in Frankreich: Was machen die Republikaner?

Als einer der ersten zog sich am Montag ein Kandidat der Neuen Volksfront im Wahlkreis der ehemaligen Premierministerin Elisabeth Borne zurück. Diese war auf dem zweiten Platz hinter einem RN-Kandidaten gelandet. Offen ist allerdings, wie viele linke Wähler am Ende nun tatsächlich für Borne stimmen, die mit ihrem Regierungsstil zur Lieblingsfeindin der linken Opposition geworden war.

Eine weitere offene Frage lautet: Was machen die Republikaner? Die ehemalige konservative Volkspartei ist am Sonntag auf rund zehn Prozent abgerutscht. Falls sie weniger als 15 Abgeordnete in der neuen Nationalversammlung bekommt, könnte sie nicht einmal eine Fraktion bilden.

Dabei verzichten die Republikaner aber auf eine Wahlempfehlung oder den Rückzug von Kandidaten für Runde zwei. Faktisch ist die Partei bereits gespalten, da der umstrittene Parteichef Eric Ciotti ein Wahlbündnis mit den Rechtspopulisten eingegangen ist. Der RN setzt nun darauf, dass die Zahl der Überläufer noch steigen wird. „Sieger ziehen an“, meinte der rechtspopulistische EU-Abgeordnete Thierry Mariani. (mit afp)

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