Bald Premierminister in Frankreich?Le Pens Zögling: So tickt der Rechtspopulist Jordan Bardella

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Die Rechtspopulistin Marine Le Pen und ihr Zögling Jordan Bardella

Die Rechtspopulistin Marine Le Pen und ihrZöglingJordan Bardella

Jordan Bardella könnte der große Nutznießer des politischen Bebens in Frankreich sein. 

Manche Wähler in Frankreich haben am Sonntag das Wahlbüro enttäuscht verlassen, ohne zu wählen – weil sie keinen Wahlzettel mit dem Namen von Jordan Bardella vorfinden konnten. Dies zeugt nicht nur von demokratischen Wissenslücken mancher Anhänger des Rechtspopulisten, sondern vor allem von der Beliebtheit des Parteichefs des Rassemblement National (RN).

Dieser ist bei der Wahl zur Nationalversammlung gar nicht angetreten, erhebt aber Anspruch auf das Amt des Premierministers, falls seine Partei in der zweiten Runde die absolute Mehrheit bekommt. Der 28-Jährige hat eine ungewöhnliche Blitzkarriere hinter sich.

Wie Jordan Bardella zum Ziehsohn von Marine Le Pen wurde

Marine Le Pen wurde bei einem Pizza-Abend mit dem Parteinachwuchs auf ihn aufmerksam und traute ihm sehr früh sehr viel zu. „Die haben mich alle für verrückt gehalten“, sagte Le Pen später über ihre Parteifreunde, die dem Zögling der Chefin dessen schnellen Aufstieg nicht gönnten.

Bardella passte hervorragend zu Le Pens Strategie der „Entteufelung“, wie sie den Versuch nannte, der von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen und einem Mitglied der Waffen-SS gegründeten Partei ein weniger radikales Image zu verpassen. Und er passte zu ihr - hier die Matriarchin, die drei Präsidentschaftswahlkämpfe hinter sich hat und den nächsten endlich gewinnen will, dort der redegewandte Polit-Jungstar.

RN: Jordan Bardella erzählt gerne von seiner Kindheit im Pariser Vorort

Bardellas Mutter stammt aus bescheidenen Verhältnissen in der Pariser Vorstadt Saint-Denis. Als Kind lebte er als Sohn der alleinerziehenden Mutter in einer Sozialwohnungssiedlung. Aus diesem Grund inszeniert er sich gerne als Überlebender einer schwierigen, von Drogen und radikalem Islam geprägten Vorstadt. Seine alleinerziehende Mutter habe ihn vor dem Abrutschen bewahrt. Sie sei streng gewesen und habe Wert auf Respekt gelegt, erzählte Bardella der Rechtsaußen-Zeitschrift „Valeurs Actuelles“.

Ich habe das Gefühl, ein Fremder im eigenen Land zu sein, am eigenen Leib erfahren.
Jordan Bardella

„Ich habe das Gefühl, ein Fremder im eigenen Land zu sein, am eigenen Leib erfahren. Ich habe die Islamisierung meines Viertels erlebt“, gab Bardella im Juni an. Dabei stammt Bardella selbst aus einer Einwandererfamilie. „Drei seiner vier Großeltern sind in Italien geboren“, so die französische Tageszeitung „Le Monde“. Zudem sei eine seiner Großmütter die Tochter eines algerischen Gastarbeiters gewesen.

„Chamäleon“ Bardella nutzt Vergangenheit für Wahlkampf – erzählt aber nicht alles

Auch das Narrativ des armen Jungen, der sich durchschlagen musste, beschreibt seine Vergangenheit nicht in Gänze. Denn Bardella verbrachte seine Kindheit zum Teil auch im Haus seines Vaters in der weitaus wohlhabenderen Stadt Montmorency, einem nördlichen Vorort von Paris.

Bislang stand Jordan Bardella stets im Schatten von Marine Le Pen. Doch wie lange noch?

Bislang stand Jordan Bardella stets im Schatten von Marine Le Pen. Doch wie lange noch?

Sein Vater, der einen Getränkevertrieb leitete und Medienangaben zufolge begütert war, wurde aus Bardellas Geschichte getilgt, sagt der Investigativjournalist Pierre-Stéphane Fort dem europäischen Fernsehsender „Euronews“ mit Sitz im französischen Lyon. Er bezeichnet Bardella als „Chamäleon“, er könne sich perfekt anpassen und das erzählen, was die Menschen um ihn herum hören wollen.

Jordan Bardella: Parteieintritt mit 16 Jahren

„Bardella besuchte überwiegend katholische Privatschulen. Als er ein Teenager war, nahm ihn sein Vater mit auf eine lange Reise in die Vereinigten Staaten. Als er 19 Jahre alt war, kaufte sein Vater ihm einen Smart. Als er 20 Jahre alt war, schenkte er seinem Sohn eine Wohnung in einem wohlhabenden Pariser Vorort im Val d'Oise“, so Fort. Bardella verbrachte seine Schulferien Berichten zufolge bei einem Onkel in Turin, der dort ein Restaurant namens „Europa“ betrieb. „Aber all das passte nicht in das politische Storytelling. Also wurde es gelöscht“, sagt Fort gegenüber Euronews. 

Zu diesem Zeitpunkt war Bardella bereits in der Politik engagiert. Im Alter von 16 Jahren trat er der Partei, die damals noch Front National hieß und den Ausstieg Frankreichs aus der EU im Programm hatte, bei. Daraus, dass er sein Geografie-Studium noch vor dem Bachelor abgebrochen hat, macht der Rechtsnationalist indes kein Geheimnis – die Politik hatte ihn schließlich in ihren Bann gezogen. Wäre er nicht in die Politik gegangen, hätte er Soldat werden wollen, sagte Bardella einmal. Stattdessen wurde er Parteisoldat und kletterte unter Le Pens Kommando im Rassemblement National (RN) unaufhaltsam nach oben.

Jordan Bardellas steile Karriere unter Marine Le Pen im Rassemblement National

Regionalrat, Pressesprecher, Vizepräsident der Partei – diese Posten bekleidete Jordan Bardella nacheinander, bevor er 2019 mit nur 23 Jahren die Liste des RN bei den Europawahlen 2019 anführte. Im November 2022 wurde er zum Nachfolger von Marine Le Pen als Vorsitzender der rechtsextremen Partei gewählt. Ein kometenhafter Aufstieg, der dem Investigativjournalisten Fort zufolge auch viel mit seiner Liebesbeziehung zur Tochter des ehemaligen RN-Beraters Frederick Châtillon zu tun haben soll.

Le Pen realisierte schnell, dass der junge und stets adrett gekleidete Bardella für ihre Partei ein Faustpfand bei den jungen Wählerinnen und Wählern werden könnte. Insbesondere deswegen, weil er sich in den vergangenen Jahren zum Medienprofi mauserte, der Wissenslücken und Widersprüche ungerührt weglächelt. Erfolg hat er auch mit seinen Tiktok-Auftritten vor inzwischen 1,7 Millionen Abonnenten – obwohl er selbst dort selten die Krawatte ablegt und sich oft im schwarzen Ledersessel vor der französischen Flagge sitzend zeigt.

Frankreich: Medienprofi Jordan Bardella erreicht junge Wählerschaft

Kritiker sehen Bardellas Fokus auf sein öffentliches Image kritisch. Die linke Europaabgeordnete Manon Aubry nannte ihn einen „Geisterparlamentarier“, verwies auf seine häufige Abwesenheit im Europäischen Parlament in den vergangenen Jahren. Geschadet hat ihm das nicht. 

Schon im Wahlkampf für die Europawahl erklärte Le Pen, dass sie 2027 als Tandem die Macht übernehmen wollten: sie als Präsidentin, er als Regierungschef. Dieses Ziel rückte völlig unerwartet in greifbare Nähe, als Präsident Emmanuel Macron nach dem Sieg des RN bei der Europawahl Neuwahlen ausrief.

Im Wahlkampf distanzierte er sich von Le Pen und appellierte an die Franzosen, für ihn zu stimmen – woher die Verwirrung in den Wahlbüros rührte. Auch im Privatleben distanzierte sich Bardella vom Le Pen-Clan: Nach Berichten der Klatschpresse trennte er sich von seiner bisherigen Partnerin, einer Nichte von Le Pen.

Sein größter politischer Coup war das Überlaufen des bisherigen Parteichefs der Republikaner Eric Ciotti. Mit ihm zeigte er sich etwa bei einem Treffen mit dem Unternehmerverband, um dessen Mitglieder zu beruhigen, die die geplanten Wahlgeschenke des RN mit Skepsis sehen.

So geschliffen und konsensbereit Bardella im Wahlkampf auch auftritt – inhaltlich steht er für die euroskeptische, einwanderungs- und islamfeindliche Haltung, die der RN schon immer vertreten hat.

Jordan Bardella strebt Posten des Premierministers in Frankreich an

So warnte er bei der Vorstellung seines Programms davor, „dass die französische Identität auf ihrem eigenen Boden auf beispiellose Weise verdrängt“ werden könne – ein Anklang an die rechtsextreme Verschwörungstheorie eines drohenden Bevölkerungsaustausches.

Und er bedient sich gerne des Schemas des Sündenbocks: Schuld sind nach seiner Darstellung in vielen Fällen die Einwanderer, seien es die Probleme bei den Staatsfinanzen oder bei der inneren Sicherheit. Aufsehen erregte auch sein Vorhaben, Berufsverbote für Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit zu verhängen.

Falls der RN in der zweiten Runde die absolute Mehrheit verfehlt, will Bardella das Amt des Premierministers lieber doch nicht antreten - wohl aus Sorge, schon nach kurzer Zeit über ein Misstrauensvotum zu stolpern.

Dies hätte für ihn den Vorteil, sich nicht im Regierungsalltag aufreiben. Er könnte stattdessen 2027 selber als Präsidentschaftskandidat antreten - was Frankreich das Spektakel eines politischen Muttermords an Le Pen einbringen würde. (mit afp)

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