Lindner hebt hervor, dass die FDP trotz Kritik an der AfD keine Kooperation mit dieser eingeht und fordert eine neue Wirtschafts- und Migrationspolitik.
Christian Lindner„Ich hätte Friedrich Merz zu diesem Manöver nicht geraten“
Herr Lindner, Sie haben zuerst die Ampel-Regierung platzen lassen und jetzt dazu beigetragen, dass mit der AfD im Bundestag Beschlüsse gefasst werden. Ist das die disruptive Energie, die Sie für notwendig halten?
Beide Ereignisse stehen in einem Zusammenhang. Wir haben einen Bundestag mit wechselnden Mehrheiten. Das ist die Verantwortung von Olaf Scholz. Ich hatte ihm eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik oder geordnete Neuwahlen wie 2005 angeboten. Zugleich unterstützen SPD und Grüne nicht die notwendige Steuerung und Begrenzung von Migration. Deshalb gab es diese Mehrheit. Gleichwohl hätte ich Friedrich Merz zu diesem Manöver nicht geraten.
Warum beteiligen Sie sich als liberale Partei dann daran?
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Die FDP stimmt Anträgen demokratischer Fraktionen zu, wenn sie unserer Haltung entsprechen. Wir können unsere Entscheidungen nicht davon abhängig machen, wer sonst zustimmt. Dann hätten andere ja Macht über uns.
Trotzdem: Der politische Flurschaden ist nach den beiden Abstimmungen von Mittwoch und Freitag groß. War es das am Ende wert?
Diese Frage müssen sie an Friedrich Merz richten. Immerhin herrscht nun Klarheit, dass SPD und Grüne nicht bereit sind zu einem Schulterschluss der demokratischen Parteien, um die notwendigen Veränderungen der Migrationspolitik einzuleiten. Insbesondere die Grünen wollen das nicht. Das kenne ich leider aus der Ampel-Zeit. Jede Maßnahme, die wir vorgeschlagen haben, wurde verzögert und verwässert. Im Wahlprogramm wollen die Grünen sogar noch mehr Migration durch Familiennachzug. Man darf die Frage, ob in unserer Gesellschaft wieder Sicherheit hergestellt wird, aber nicht den politischen Rändern überlassen.
Die AfD feiert diesen Erfolg, der es zweifellos für die Partei ist. Ist die Brandmauer der anderen politischen Kräfte nach rechts damit Geschichte?
Für die FDP nicht. Wir unterstützen keine Anträge der AfD, wir wählen keine AfD-Kandidaten in Ämter. Ich halte sie für eine gefährliche Partei. Es ist eine wirtschaftsfeindliche und antiliberale Partei. Wir haben uns die Entscheidungen in dieser Woche nicht leichtgemacht.
Aber wenn Sie das Manöver schon am Mittwoch für falsch hielten, warum haben Sie dann am Freitag erneut in derselben Konstellation dem „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union zugestimmt?
Wir haben ja nochmals den Versuch unternommen, mit Union und Rot-Grün zu einer Verständigung zu kommen. Wir haben angeboten, den Gesetzentwurf wieder im Ausschuss zu beraten und Kompromisse zu suchen. Die Union war dafür zumindest offen, bei Rot-Grün war das nicht erkennbar. Es war den Versuch wert, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Grüne und SPD lieber mit der Angst vor der AfD Wahlkampf machen wollen.
Der jüngste Protesttag der deutschen Wirtschaftsverbände für eine andere Politik ist angesichts der aktuellen Migrationsdebatte fast untergegangen. Umfragen zufolge hält eine Mehrheit in der Bevölkerung das Thema Wirtschaft sogar für wichtiger als das Thema Migration. Warum nutzen Sie das nicht?
Wir bedauern es, dass die Wirtschaftswende nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die sie dringend braucht. Es sind Hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr. Wir brauchen eine grundlegend andere Wirtschafts- und Finanzpolitik: eine umfassende Staatsreform vorantreiben, Bürokratismus abbauen, Ideologie in der Energie- und Klimapolitik beenden, Steuerlast runter, Technologieoffenheit stärken und Leistungsbereitschaft rauf.
Die Wirtschaftsverbände halten viele Ihrer Vorschläge für richtig. Warum liegt die FDP in den Umfragen trotzdem unter fünf Prozent?
Wir sind eine Endspurtpartei. Viele Menschen haben ihre Entscheidung noch nicht getroffen. Unser Ziel ist es, dem Land eine andere Richtung zu geben. Wenn wir in den Bundestag einziehen, ist Schwarz-Grün rechnerisch ausgeschlossen. Das wäre schon ein Vorteil. Schwarz-Gelb wäre die beste Reformkoalition der Mitte, aber notfalls wäre eine Deutschlandkoalition aus Union, SPD und FDP noch besser als Schwarz-Rot.
Sie haben schon eine Torte abbekommen. Wird dieser Wahlkampf jetzt noch gefährlicher?
Der Wahlkampf ist härter und aggressiver als in der Vergangenheit. So hatte ich es bereits mehrfach mit Störern aus dem linken und linksextremen Spektrum zu tun. Wegen unseres Einsatzes für Eigenverantwortung, Freiheit, Leistungsbereitschaft und Respekt vor Eigentum provozieren wir offenbar das linksgrüne Milieu besonders. Zugleich bestätigt das, dass wir eine Partei der Mitte sind.