Christian Lindner, FDP-Chef und ehemaliger Bundesfinanzminister, steht nach dem Ampel-Aus unter Kritik, jedoch loben einige seine „Prinzipienfestigkeit“.
Hat sich der Herr des Geldes verzockt?Christian Lindner steht nun im Zentrum der Kritik
In den Sozialen Medien haben viele das Urteil darüber, wer für das Ampel-Aus verantwortlich ist, bereits gefällt. Im Mittelpunkt steht dabei FDP-Chef Christian Lindner, „der frechste Arbeitslose der Nation“, wie einer schreibt. Von rücksichtslos bis egoistisch und „typisch FDP“, reichen die Vorwürfe gegen den nun ehemaligen Bundesfinanzminister. Aber es gibt auch andere Stimmen. Solche, die Lindner Rückgrat attestieren und ihm dafür danken, dass er das vorzeitige Ende der zerrütteten Ampel eingeleitet hat. Endlich, so schreiben es nicht wenige.
Ampel-Aus: Die Frage nach der Schuld
Das Ringen um die Deutungshoheit und die Frage, wer nun Schuld war am jähen Ende der Regierung Scholz und ob es tatsächlich nötig war, hat gerade erst begonnen. Und alle Finger der ehemaligen Ampel-Partner weisen auf den Chef der Liberalen. Schon als Olaf Scholz am Mittwochabend den endgültigen Bruch des Bündnisses verkündete, warf er ihm in beispielloser Schärfe vor, „kleinkariert parteipolitisch taktiert“ und „zu oft“ sein Vertrauen gebrochen zu haben. Deshalb, so der Kanzler, habe er Lindner nun entlassen. Gefeuert wäre das bessere Wort.
Es ist für die nächsten Wochen und Monate alles andere als unwichtig, ob das Ampel-Aus allein Lindner zugeschrieben wird. Seit Mittwochabend befinden sich alle Parteien im Wahlkampf, der kurz und aller Voraussicht nach heftig ausfallen dürfte. Der mittlerweile 45-Jährige, der in seiner langen Karriere als Parteivorsitzender schon so manchen Tiefschlag erlebt hat, weiß das natürlich. Hat er diesmal zu hoch gepokert und seine FDP ins Abseits geführt?
Christian Lindner: Bekannt für den besonderen Abgang
Der geräuschvolle Abgang, könnte man sagen, ist Lindners Spezialität, zahlte sich aber nicht immer aus. So hat er es als junger Generalsekretär des damaligen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler bei seinem persönlichen Rückzug während der schwarz-gelben Regierungskoalition 2011 gemacht. Und so hat er es nach der Bundestagswahl 2017 gemacht, als er befand, es sei „besser nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“ – und mit dieser Begründung aus den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen unter Kanzlerin Angela Merkel ausstieg.
„Es gibt den Moment, in dem man seinen Platz frei machen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen“, sagte er bei seinem Rückzug als Generalsekretär 2011, damals 32 Jahre alt. Lindner hatte erkannt, dass die Partei unter Rösler in der schwarz-gelben Koalition keinen Erfolg haben wird – und ging von Bord. Die Legislatur endete bekanntlich mit dem für viele Liberale bis heute traumatischen Ausscheiden aus dem Bundestag 2013.
Als die Partei danach am Boden lag, war Lindner – im Gegensatz zu vielen anderen aus der bisherigen Führungsriege – wieder da. Der Mann, der in Wermelskirchen aufwuchs und in Bonn studierte, wurde Bundesvorsitzender. Und er führte die FDP mit einer modernen, ganz auf ihn zugeschnittenen Kampagne („Digital first, Bedenken second“) erst in die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und 2017 schließlich zurück in den Bundestag. Spektakuläre 10,7 Prozent erzielten die Liberalen damals. Lindner gelang damit ein Polit-Comeback für seine Partei, das bis heute seinesgleichen sucht.
Der zweite Abgang 2017 war anderer Art, hing ihm und der gesamten Partei allerdings lange nach. Der brüske Stopp der Jamaika-Verhandlungen war aus Sicht vieler Beobachter ein Fehler, weil er grundsätzliche Zweifel aufwarf, ob die FDP überhaupt regieren kann und will. Interessant für die Ereignisse der vergangenen Tage ist Lindners Begründung von damals. „Es hat sich gezeigt, dass die vier Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und vor allen Dingen keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln konnten“, sagte er vor den Kameras, umringt von Parteifreunden mit betretenen Gesichtern.
Christian Lindner und das Déjà-vu
Die Szene riefen sich viele am Mittwochabend in Erinnerung, als Lindner nach dem Auftritt des Kanzlers vor die Presse trat, ebenfalls umringt von Parteifreunden. „Wir haben Vorschläge für eine Wirtschaftswende vorgelegt, um unser Land wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Diese Vorschläge wurden von SPD und Grünen nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert“, sagte der FDP-Chef an diesem denkwürdigen Abend. Am nächsten Tag würde er in einer weiteren Pressekonferenz noch einmal betonen, dass er sich Scholz Diktat, die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse auszusetzen, nicht gebeugt habe. Viele würden diese „Prinzipienfestigkeit“ der FDP anerkennen.
Dieser jüngste Abgang aber dürfte Lindner persönlich am schwersten gefallen sein. Er hatte ihn sich anders vorgestellt. Das Amt des Bundesfinanzministers war für ihn der Höhepunkt seiner Karriere, die Entlassung eine Demütigung. „Mehr geht nicht für die FDP“, pflegte er über das Amt zu sagen. Sichtlich verstört nahm er am Donnerstagmittag seine Entlassungsurkunde im Schloss Bellevue aus den Händen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entgegen – und musste dabei auch noch neben Volker Wissing stehen, der zuvor aus der FDP ausgetreten war und als Minister weitermacht.
Christian Lindner und der finale „move“?
War dieser Ausstieg nun der letzte für Lindner? Ist das Ende des letztlich gescheiterten Ampel-Experiments auch sein politisches Ende? Wenn man in der FDP nachfragt, hört man zumindest derzeit andere Stimmen. Die stellvertretende Vorsitzende Gyde Jensen etwa sieht den Parteichef nicht infrage gestellt. „Es gibt keinen Grund, dass er sich jetzt zurückzieht“, sagte sie am Donnerstag im Gespräch mit unserer Redaktion. In der Breite der Partei werde Lindners Nein zur Aufhebung der Schuldenbremse mit all den nun folgenden Konsequenzen mitgetragen.
Sie habe es erschrocken, in welcher „unwürdigen Tonalität“ der Kanzler seinen bisherigen Finanzminister öffentlich angegangen sei, stellte Jensen fest. Mancher in der FDP habe sich an 2013 erinnert gefühlt, als SPD und Grüne das Scheitern der Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde lautstark bejubelt hätten. „Gerade nach den drei Ost-Landtagswahlen zeigt sich doch, dass die Freien Demokraten für eine funktionierende Demokratie unverzichtbar sind“, meint die Vizechefin.
Lindner selbst ist das wohl erstaunlichste Stehauf-Männchen der Bundespolitik. Er werde jetzt bei Neuwahlen als Spitzenkandidat antreten, „um meine Arbeit als Bundesfinanzminister wieder aufzunehmen“, verkündete er gleich nach seiner Entlassung. Chuzpe hat er, das muss man ihm lassen.