- Für "Quarks&Co"-Moderator Ranga Yogeshwar ist es eine Herzensangelegenheit, jungen Menschen das Fenster zur Wissenschaft zu öffnen.
- Im Interview zeigt sich der Wissenschaftsjournalist begeistert von der Energie, die die neue Generation zur aktiven Mitgestaltung ihrer Zukunft antreibt.
- Und trotz Sorge um Sicherheitsrisiken sieht er eine Riesenchance in der Datentransparenz.
Herr Yogeshwar, 50 Jahre nach der Mondlandung schauen alle in den Weltraum. Raumfahrt und Astronomie sind auch die Schwerpunkte des MINT-Festivals. Sind unsere Probleme auf der Erde nicht zu drängend, als dass wir uns jetzt mit denen im All beschäftigen sollten?
Ich finde, beides gehört zusammen. Ja, wir haben Herausforderungen auf der Erde, und wir müssen sie meistern. Das Bewusstsein für Probleme und Herausforderungen kommt allerdings oft erst über den Weg von außen zustande. Ein konkretes Beispiel sind die Brände dieses Jahr im Amazonasgebiet.
Mithilfe von Fernerkundungssatelliten ist es uns gelungen, uns ein Bild vom Ausmaß dieser Katastrophe zu machen. Der Astronaut Alexander Gerst ist für mich ein wichtiger Botschafter, weil er uns von oben klar macht, wo wir Dinge falsch machen: Die Sichtbarkeit von abgeholzten Regenwäldern und von Dürren ist vom Weltraum aus enorm.
Alexander Gerst ist im Grunde genommen ein moderner Entdecker, der viele Menschen begeistert. Dieses Entdeckersein liegt in der Natur des Menschen, sonst wären wir heute nicht, wo wir sind. Warum gelingt es dann nicht, mehr Schüler von Mathematik und Naturwissenschaften zu begeistern?
Es gelingt manchmal, das ist aber sehr abhängig vom Lehrer. Es gibt Lehrer, die auf großartige Weise Kinder auf diese Abenteuerreise der Erkenntnis mitnehmen. Ich selbst hatte einen Lehrer, der wirklich die Kerze für Naturwissenschaften angezündet hat, und das nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen. Aber wir haben ein Bildungssystem, bei dem Leistungsorientierung im Vordergrund steht und nicht Lernorientierung. Das ist ein Problem.
Was bedeutet das?
Leistungsorientierung heißt: Ich lerne, um in der nächsten Klausur maximale Punkte zu bekommen, und dann vergesse ich den Stoff wieder. Lernorientierung heißt: Ich lerne, wie ich selbst etwas gestalten kann. Und das ist ja auch das Motto des MINT-Festivals: Mach was du willst!
Da sind zwei wichtige Botschaften drin. Die eine ist: Mach! Also aktiv gestalten, nicht konsumieren. Die andere: Was du willst! Darin steckt die Zielsetzung, dass wir nicht zu Menschen werden, die für die möglicherweise sinnlosen Ziele von anderen arbeiten. Sondern, dass wir selbst entscheiden, wo wir hinwollen mit dieser Welt.
Das merkt man derzeit bei sehr vielen jungen Leuten, was ich ganz großartig finde. Die sagen: Dieses Business-as-usual kann nicht so weitergehen. Die wollen etwas verändern. Und es geht jetzt darum, sie da nicht allein zu lassen. Sondern ihnen auf allen Ebenen zu zeigen, wo und wie sie etwas verändern können.
Und MINT-Fächer sind ein wichtiges Werkzeug, um etwas zu verändern.
An einigen Stellen mit Sicherheit. Nehmen wir das große Thema Energie. Wir müssen runterkommen vom Verbrauch fossiler Brennstoffe. Wir brauchen Alternativen, und die liegen nicht auf der Straße. Ich erinnere mich daran, dass es in den 80er Jahren ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Windrad namens Growian gab. Das wurde belächelt.
Heute haben elektrische Windräder eine Leistung von fünf Megawatt. Das heißt, wir haben durch technische Entwicklungen Dinge anders machen können. Und wenn man überlegt, dass eine LED-Glühbirne dramatisch weniger Strom verbraucht als die klassische Glühbirne, sieht man: Es gibt Raum für bessere Lösungen. Jetzt geht es darum, dass wir befähigt sein müssen, alle zusammen noch mehr genau da aktiv zu werden.
Das bedeutet, dass wir Fachkräfte brauchen. Da gibt es leider immer noch einen großen Mangel, gerade in den MINT-Fächern und -Berufen.
Ja, das ist so. Für die deutsche Wirtschaft wird der Fachkräftemangel immer wieder als die Hauptwachstumsbremse bezeichnet. Ich sehe das sehr konkret an meinen Kindern. Meine älteste Tochter schreibt gerade ihre Masterarbeit im Bereich Automatisierungstechnik und sie bekommt schon jetzt unglaublich viele Angebote. Man merkt, wie hungrig man draußen auf Leute ist, die zum Beispiel gut programmieren können.
Hinzu kommt, dass wir in einer Situation sind, in der der globale Wettbewerb dramatisch zugenommen hat. Die OECD hat eine Statistik dazu erstellt, woher die Wissenschaftler im Jahre 2030 kommen werden. In den MINT-Bereichen liegt der Anteil an Hochschulabsolventen in China bei 37 Prozent, in Indien bei fast 27 Prozent und in Deutschland bei nur 1,4 Prozent. Die anderen sind größer oder schneller.
Woran liegt das? Was macht China besser als Deutschland?
Das erste ist – und da muss man einfach fair sein: Wenn Sie ein Land mit mehr als einer Milliarde Menschen vergleichen mit unserem mit rund 80 Millionen, ist es vielleicht logisch, dass die einen mehr Naturwissenschaftler haben. Das zweite ist, dass die Lust zur Gestaltung in China sehr viel größer ist.
Die Situation dort ist zu vergleichen mit der unseren nach dem zweiten Weltkrieg. Damals hat die Technik die ganz alltägliche Situation der Menschen dramatisch verbessert. Unser Wirtschaftswunder erlebt China mit einer Zeitverzögerung. Der Vorteil von China ist, dass es demografisch anders aufgestellt sind. Der Anteil junger Menschen ist dort weit höher als bei uns. Und die sind sehr innovativ.
Was ist Ihrer Meinung nach die bedeutendste wissenschaftliche Entwicklung, die momentan stattfindet?
Aus meiner Sicht ist es die Digitalisierung im breiten Sinne. Damit meine ich sowohl die Möglichkeit zur Auswertung von Daten, als auch die Künstliche Intelligenz (KI). Weil diese Entwicklung in fast alle Lebensbereiche hineingeht und Dinge damit dramatisch verändert.
Nicht nur in der Medizin oder bei der Mobilität, auch bei der Kommunikation innerhalb unserer Gesellschaft. Die profitieren jetzt von KI und einer völlig neuen Technologie, mit der Dinge plötzlich viel einfacher gehen. Es führt zu einem Beschleunigungsprozess des Fortschritts, der in vielen Bereichen sichtbar wird.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Wir haben heute, wenn wir ehrlich sind, alle ein schlechtes Gewissen. Ich habe ein Hemd an, Sie haben ein Hemd an, und Sie sind sich wahrscheinlich genauso unsicher wie ich, wo die Baumwolle dafür angebaut, wo sie gefärbt und wo sie zusammengenäht wurde. Wir haben null Transparenz darüber, auch wenn wir nicht die 1-Euro-T-Shirts kaufen.
Dank der modernen Technik wird es in den nächsten Jahren jedoch die Möglichkeit geben, in einer bis dahin nie da gewesenen Transparenz die genauen Prozesse eines Produktes zurückzuverfolgen. Und das ist eine Riesenchance und wird spannende Konsequenzen haben. Ich behaupte, dass diese Transparenz irgendwann zu einem Bewusstseinswandel führen wird.
Wie genau wird dieses Tool funktionieren?
Das Zauberwort heißt Blockchain. Die Grundidee dabei ist, dass Sie jede Stufe miteinander verzahnen. Sie können die Biografie der Bestandteile in das Produkt hineinschreiben, es damit fälschungssicher machen, und haben damit plötzlich eine neue Form der Transparenz, für geringe Kosten. Das ist großartig. Und nur ein Beispiel dafür, wo sich das Potenzial einer digitalen Zukunft offenbart. Aber wir brauchen eben junge Leute, die Apps schreiben, die ein solches System programmieren können.
Das ist ein Beispiel für eine Innovation, bei der wahrscheinlich jedem einleuchtet, dass sie Sinn macht und die gerne angenommen wird. Der Biotrain-Studie des Fraunhofer-Instituts zufolge gibt es in Deutschland jedoch viele Ressentiments gegen Künstliche Intelligenz und Biotechnologie. Sind wir Deutschen zu restriktiv, was Innovationen angeht?
Was wir in Deutschland brauchen, ist eine Differenziertheit. Das ist ein Problem, das ich seit vielen Jahre erlebe. Es gibt eine Haltung, die entweder schwarz ist oder weiß. Wenn wir heute über KI-Anwendungen reden, kommen wir sehr schnell auch in das Thema Daten und Datenschutz und Privatsphäre.
Ich selbst habe eine Haltung, die ich den reflektierten Fortschritt nenne. Wenn wir mithilfe der Daten Therapiemöglichkeiten in der Medizin dramatisch verbessern können, dann sollten wir das nutzen. Dann wäre ich dafür, maximale Datentransparenz innerhalb der Forschung zu gewähren. Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen wie Google oder Amazon, die mit Ihren und meinen Daten ein absurdes Geschäft betreiben. Da hebe ich die Fahne und sage nein. Es geht darum, nicht nur über die Daten an sich zu reden, sondern darüber, wer sie nutzt und zu welchem Zweck.
Darüber zu reden wird aber nicht reichen.Wir brauchen ein politisches Regelwerk.
Wir können Regeln oft nicht Apriori setzen, weil wir nicht wissen, was da auf uns zukommt. Die ersten Fußballspiele haben ohne Schiedsrichter stattgefunden. Die ersten Autos fuhren über deutsche Straßen, da gab es keine Verkehrsregeln und keine Ampeln, die kamen erst danach.
Aber da der Fortschritt jetzt so unglaublich schnell passiert und globale Auswirkungen hat, müssen wir die Regeln agiler anpassen. Ich glaube, es ist eine Aufgabe des Technikers, eine Sensibilität für diese Dinge zu entwickeln. Ich habe mich mal dafür ausgesprochen, dass Wissenschaftler eine Art hippokratischen Eid ablegen zum Wohle der Menschheit. Weil wir alle wissen: Techniken haben immer das Potenzial zum Guten, aber auch zum Schlechten.
Und nicht jeder Mensch kann diese Techniken und ihr Potenzial verstehen.
Genau. Aber wir sollten ein Grundvertrauen haben. Und die beste Möglichkeit dazu ist natürlich die Mündigkeit einer Bevölkerung. Das heißt, je mehr auch junge Menschen eine Sensibilität haben, umso mehr sehen sie, wo die Chancen liegen. Sie erkennen aber auch Risiken eher oder überzogene Wunschvorstellungen.
Mit Ihrer Sendung Quarks&Co haben Sie dazu beigetragen, Wissen zu vermitteln und uns mündiger zu machen. Und am 17. Oktober, 19 Uhr geben Sie im Rahmen des MINT-Festivals in der Stadtbibliothek einen Vortrag zum Thema Künstliche Intelligenz….
…ja, aber vorher programmiere ich auch mit den Kids! Ich gehöre nicht zu denen, die nur davon erzählen, ich mache auch selbst. Ich kann programmieren. Es geht mir darum, jungen Menschen das Fenster zu öffnen. In dem Moment, wo sie merken, sie können selbst etwas gestalten, ändert sich nämlich etwas.
Wir sind historisch gesehen die erste Generation, die ihre Gegenwart wirklich aktiv verändern kann. Wenn man merkt, wie sehr junge Menschen etwas gestalten und ändern wollen, dass sie Werte haben, dann wird man Optimist. Es gibt heutzutage eine ganz besondere Energie. Wir müssen mehr darüber reden, anstatt uns zu beklagen, dass die jungen Leute freitags auf die Straße gehen statt in die Schule.