Beim ArztHingucken oder wegschauen – wie ist eine Spritze weniger schmerzhaft?
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Impfungen, Infusionen, eine Blutabnahme: Immer mal wieder bekommen wir beim Arzt eine Spritze verpasst. Darüber freut sich wohl niemand. Doch was ist die beste Taktik: Hinsehen oder weggucken? Mit dieser Frage hat sich die Neurowissenschaftlerin Flavia Mancini bereits vor einigen Jahren auseinandergesetzt. Ihre überraschende Erkenntnis gilt nach wie vor: Wegschauen hilft nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Wer im unangenehmen Moment, wenn die Spitze zusticht, zuschaut, bei dem sinkt die Schmerzempfindlichkeit.
In dem Versuch der Ärztin sollte eine Gruppe der Probanden ausdrücklich die eigenen Hände beobachten. Einer Kontrollgruppe wurde der Blick auf die Hände verwehrt, sie bekamen eine Holzbox darüber gestülpt. Im Versuch wurde dann ein Heizstab auf die Handrücken der Teilnehmer gehalten und immer heißer gedreht. Per Fußpedal signalisierten sie, wann es schmerzhaft wurde. Das Ergebnis: Im Schnitt hielten die Probanden, die ihre Hand dabei ansahen, 3,2 Grad mehr aus.
Hinschauen dämpft den Schmerz
Interessanter Weise verstärkte sich dieser Effekt, wenn die Probanden die Hand vergrößert sahen: Sahen sie das traktierte Körperteil in einem Vergrößerungsglas, hielten sie die Hitze am besten aus. Wurde die Hand optisch verkleinert, verstärkte sich die Schmerzempfindung. Laut Mancini könnte dieser Effekt auch erklären, warum so viele Menschen große Angst vor dem Zahnarzt und möglichen Schmerzen haben. Wir können uns bei der Behandlung ja nicht in den eigenen Mund gucken.
Gerade Kinder haben Angst vor einer Spritze. Der Gang zum Kinderarzt wird deshalb für Eltern und Kinder manchmal schon Tage vorher zum Alptraum. Was also tun? Den Kindern vorher mitteilen, dass sie eine Spritze bekommen? Lieber nicht. Einer US-Studie zufolge empfinden Kinder Schmerzen nämlich stärker, wenn sie damit rechnen, dass etwas weh tun wird. Forscher der University of California in Riverside untersuchten den Zusammenhang erstmals bei Kindern und veröffentlichten die Ergebnisse im Journal „Psychosomatic Medicine“.
Kindern Schmerzen beim Arzt nicht ankündigen
In ihrem Versuch legte die Psychologin Kalina Michalska 20 gesunden Kindern, 21 Kindern mit Angststörungen und 23 Erwachsenen Temperatursonden auf die Unterarm-Innenseite: Die Teilnehmer sollten dann ihren individuellen Schmerzgrad aus Werten zwischen 34 und 47 Grad Celsius bestimmen – niedrig, mittel oder hoch. Dann lernten die Probanden zwei Töne zu unterscheiden, die entweder geringe oder aber große Schmerzen ankündigen sollten.
In den eigentlichen Tests hörten die Teilnehmer dann zunächst einen der beiden Töne. Anschließend gab die Sonde aber stets eine Temperatur ab, die zuvor jeweils als mittel-schmerzhaft eingestuft eingestuft worden war. Das Ergebnis: Alle Gruppen empfanden mehr Schmerzen, wenn der Ton zuvor starke Schmerzen angekündigt hatte.
Wer weiß, dass etwas wehtun könnte, wird mehr Schmerzen spüren
Die Kinderärztin und Ko-Autorin Adwoa Osei bestätigt dies aus ihrer Erfahrung mit Penicillin-Spritzen, die wegen der dickflüssigen Konsistenz langsam injiziert werden und schmerzhafter sind. „Wenn ich vorher nichts sagte, humpeln die Kinder vielleicht ein bisschen, wenn sie aus der Praxis gehen. Aber wenn ich ihnen vorher sage, dass es jetzt weh tun wird, sagen sie nachher ‚Ich kann nicht laufen!‘ oder ‚Du musst mich raustragen‘.“
Trotzdem gilt: „Der Kinder- und Jugendarzt muss ehrlich sein, sonst gibt es keine Vertrauensbasis. Das heißt, dass bei weiteren Arztbesuchen, egal was man kommuniziert, die Angst vor dem Pieks immer da sein wird und nicht genommen werden kann“, betont Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
Wenn kein Pieks nötig sei, sollten Ärzte das bereits am Anfang der Visite sagen. Wenn aber eine Spritze sein müsse, gelte es, das zu erklären und dann gleich umzusetzen – um das Schmerzempfinden durch lange Wartezeiten nicht zu verstärken. (sar / mit dpa)