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Interview mit Bundeswehr-KommandeurWie die Streitkräfte in NRW aufgestellt sind

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Bundeswehr Symbolbild

Symbolbild

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine rückt die Rolle der Bundeswehr in ein völlig neues Licht. Wie eigentlich sind die Streitkräfte in NRW aufgestellt? Was hat sich seit der „Zeitenwende“ für die Soldaten verändert? Darüber sprach Michael Kohlstadt mit dem Kommandeur des Landeskommandos NRW, Brigadegeneral Dieter Meyerhoff.

Nach der Wiedervereinigung wurden Deutschlands Streitkräfte stark verkleinert. Wie präsent ist die Bundeswehr im größten Bundesland heute noch?

Bis zur Wiedervereinigung hatten wir bundesweit 495000 Soldaten, heute sind es 180000, davon 22000 in NRW. Das führte automatisch dazu, dass viele große Bundeswehr-Standorte aufgelöst wurden. In NRW ist aber eigentlich alles da, was das Militär braucht: Höhere Stäbe, Führungskommandos, Einsatzverbände des Heeres und der Luftwaffe, Nato-Kräfte, Ämter, Ausbildungseinrichtungen und Truppenschulen.

Wie gehen Ihre Soldaten und Sie persönlich mit den Bildern und Nachrichten aus der Ukraine um?

Alle bei uns sind erschüttert über das, was seit dem 24. Februar passiert ist. Auch wenn es durchaus Signale gegeben hat, so kam der russische Angriff auch für mich völlig überraschend. Dass die Russische Föderation plötzlich bereit ist, alles auf eine Karte zu setzen, hätte ich persönlich nicht für möglich gehalten. Es ist sehr ernüchternd zu sehen, wie alle bisher erfolgreich angewandten Mechanismen der Diplomatie von einem Tag auf den anderen nicht mehr gelten.

Die Politik spricht von einer Zeitenwende, in der Folge erhält die Bundeswehr nun zusätzlich viele Milliarden. Was sagen Sie dazu?

Für mich ist schon länger klar, dass wir nicht einseitig blauäugig und naiv an die sicherheitspolitische Lage herangehen dürfen. Es stellt sich die Frage: Will Deutschland Spieler oder Spielball sein? Das von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr ist für mich insofern tatsächlich eine Zeitenwende, denn damit endet das Prinzip, Sicherheit nach Kassenlage zu definieren. Es gibt jetzt endlich die Möglichkeit, die Bundeswehr auszurüsten. Ich betone dieses Wort, denn es geht nicht um Aufrüstung.

Was genau meinen Sie?

Die Bundeswehr hatte immer gutes Material für die Auslandseinsätze. In Afghanistan oder in Mali fehlte es an nichts. Aber unser Auftrag ist nun mal die Landes- und Bündnisverteidigung. Und dafür braucht man voll ausgerüstete Kräfte. Durch das 100-Milliarden-Paket besteht die Möglichkeit einer solchen Vollausstattung. Die Zeiten, in denen die Bundeswehr nur einen Teil ihrer Aufgaben erfüllt, aber das gesamte Aufgabenprofil nicht abdecken kann, werden damit vorbei sein.

Ist die Ausrüstung der Streitkräfte tatsächlich so desolat wie oft zu hören?

Die Lage ist nicht desolat. Die Ausrüstung der Truppe reicht für die Kernaufträge der Vergangenheit, also die Auslandseinsätze. Sie reicht nicht für den Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung. Dafür ist die Bundeswehr als Ganzes gefordert – mit allen 180000 Soldatinnen und Soldaten und nicht nur 5000 wie beispielsweise in Afghanistan.

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Wie werden die NRW-Standorte von den zusätzlichen Mitteln profitieren?

Wo genau die neuen Mittel hinfließen, kann ich nicht sagen. Man hört ja, dass der alte Tornado durch die F35-Kampfjets ersetzt werden soll. Auch die Heron-Drohnen sollen bewaffnet werden. Sicher wird auch in die persönliche Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten investiert: Bekleidung, Schutzwesten, Rucksäcke, neue Helme und Funkgeräte — es sind viele Sachen dabei, die die Truppe dringend braucht.

Wenn ein Arbeitgeber derart viel Geld in sein Unternehmen steckt, hebt das gewöhnlich die Stimmung im Betrieb. Wie ist das bei der Bundeswehr?

Es ist insgesamt eine Aufbruchstimmung erkennbar. Die damit beschäftigten Soldaten gehen mit großer Ernsthaftigkeit an dieses Thema, weil alle genau wissen: Jetzt besteht die Chance, einen deutlichen Schub nach vorne zu schaffen. Auf der anderen Seite macht sich jeder hier Gedanken über die Frage, welche Auswirkungen der Krieg hat. Denn diese Bilder aus der Ukraine lassen uns natürlich nicht kalt.

Verändert der Krieg die Gefahreneinschätzung der Soldaten?

Ich war dreimal in Auslandseinsätzen. Ich weiß, was Krieg bedeutet und welches Leid für die Menschen damit verbunden ist. Für jeden Soldaten gehört es dazu, sich mit dem Thema Tod und Verwundung auseinanderzusetzen. Ich würde die Frage aber gerne weiter fassen. Wir bewundern die Ukrainer, wie sie Widerstand leisten. Das wirft die Frage auf: Wie abwehrbereit sind wir eigentlich selbst? Könnten die Bundesbürger Ähnliches vollbringen wie derzeit die Ukrainer?

Was glauben Sie, sind die Deutschen dazu bereit?

Ich mache da das ein oder andere Fragezeichen dran. Die Abkehr von der Wehrpflicht hat dazu geführt, dass Gedanken über die Notwendigkeit, für die Sicherheit Deutschlands etwas tun zu müssen, vollkommen in den Hintergrund gerückt sind. Ich plädiere hier keineswegs für die Wiedereinführung der Wehrpflicht, verstehen Sie mich nicht falsch. Es gibt mittlerweile gute Alternativen wie das neue Heimatschutz-Programm „Dein Jahr für Deutschland“. Das ist eine tolle Initiative und ich ziehe den Hut davor, wie hier junge Leute die bewusste Lebensentscheidung treffen und aktiv in den Heimatschutz einsteigen.