Der Kölner Politologe Thomas Jäger erklärt, wie die USA Israel zu einer politischen Lösung bewegen wollen. Welche Fehler die Ex-Präsidenten Obama und Trump gemacht haben – und warum ein Deal mit den Palästinensern nur mit einer neuen Regierung in Israel denkbar ist.
Wege aus dem Gaza-Krieg„Für einen Deal mit den Palästinensern wäre eine andere israelische Regierung nötig“
US-Präsident Joe Biden hat Israel zu einer Pause im Krieg gegen die Hamas aufgefordert. Was hat das zu bedeuten?
Die US-Regierung und Biden selbst, der die Wahlen im Blick hat, sind daran interessiert, dass der Krieg kurz ist. Da gibt es einen fundamentalen Interessenunterschied zwischen der israelischen Regierung, die jetzt eine längere Phase der militärischen Zerschlagung der Hamas anstrebt, und der amerikanischen, die auf eine schnelle politische Lösung für Gaza dringt.
Ist denn Israels Ziel, die Hamas zu zerschlagen, überhaupt realistisch – bei einer Organisation, deren Führung außerhalb von Gaza sitzt?
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Politisch und ideologisch kann man die Hamas nicht zerstören. Am Ende sitzt sie eben woanders. Man kann aber sehr wohl die militärischen Fähigkeiten der Hamas in Gaza zerstören, die Raketenbasen, die Tunnel, das Personal. Nur haben die Israelis den nächsten Schritt nicht bedacht, und das halten die USA ihnen ja vor: Aus Sicht der USA wäre die politische Macht der Hamas am besser dadurch zu zerstören, dass man eine andere Autorität in Gaza installiert, als dass man den Krieg immer weiterführt.
Wir haben gerade den Angriff auf eine Hamas-Stellung in Dschabalia gesehen: Die Hamas-Tunnel lagen unter einem Flüchtlingslager, es gab viele zivile Opfer. Das Ganze zahlt propagandistisch aufs Hamas-Konto ein. Kommt Israel aus dieser Situation überhaupt raus?
Im Informationsraum hat Israel verloren, und zwar nicht erst jetzt. Schon die Explosion auf dem Gelände des anglikanischen Krankenhauses hat gezeigt: Die Emotionen in der arabischen Welt sind völlig unabhängig von den Fakten. Ein Detail: In Dschabalia ist immer die Rede von zivilen Toten. Aber die Hamas trägt keine Uniformen, sondern Hosen und T-Shirts wie andere Leute auch. Aber das erreicht den öffentlichen Diskurs nicht. Israel gilt dort als der Täter, und die Terroranschläge vom 7. Oktober gelten nur als ein Detail in einer langen Geschichte der Gewalt.
Was löst das in den arabischen Nachbarstaaten wie Jordanien aus, die ja eigentlich den Ausgleich mit Israel suchen?
Die arabischen Regierungen müssen so reden, wie sie jetzt reden. Aber ihren Grundinteressen werden auf Dauer wieder zum Tragen kommen: Aussöhnung mit Israel, eine neue Rolle der Vereinigten Staaten, Einhegung des Iran. Was Iran im Zusammenspiel mit der Hamas erreicht hat, ist, dass der Annäherungsprozess öffentlich abgebrochen ist. Dabei wäre es erforderlich, miteinander zu reden. Zum Beispiel über die Rolle von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Er ist der wohl einzige halbwegs legitime Vertreter der Palästinenser. Aber er hat ein Problem: Wie soll er in Gaza nach einem militärischen Sieg Israels Autorität übernehmen?
Er wäre dann ja ein Präsident von Israels Gnaden.
Ja, das wäre sein Problem. In dieser Klemme steckt man fest.
Wie könnte denn eine politische Lösung aussehen?
Als gangbarsten Weg haben die USA eine Zwei-Staaten-Lösung skizziert, das heißt tatsächlich, Abbas übernähme auch im Gazastreifen die Macht. Aber Israel muss ihm etwas bieten: Aus US-Sicht wäre ein Rückbau der israelischen Siedlungen im Westjordanland das richtige Angebot. So wie Israel 2005 die Siedlungen in Gaza aufgelöst hat. Aber da kollidieren Israel und die USA, für so einen Deal wäre eine andere israelische Regierung nötig. Nur: Eine realistische Alternative gibt es nicht. Damit wäre zwar die Jerusalem-Frage noch nicht gelöst, aber es wäre ein Anfang.
Das wäre eine Rückkehr zu dem, was Bill Clinton wollte. Netanjahu hat aber doch genau das Gegenteil gemacht und immer neue Siedlungen zugelassen.
Richtig. Mittlerweile leben 700 000 israelische Siedler im Westjordanland. Dass Netanjahu so vorgehen konnte, lag erstens daran, dass er im früheren US-Präsidenten Donald Trump einen Unterstützer hatte, und zweitens daran, dass Biden trotz seiner Versprechen im Wahlkampf noch nicht daran gegangen war, Trumps Nahost-Politik zurückzudrehen. Die Aufmerksamkeit lag schlicht woanders.
Können die Europäer etwas tun?
Sie haben dort nichts zu melden. Alles, was sie anbieten können, ist Geld. Davon haben die arabischen Nachbarn aber eigentlich genug. Sie nehmen das gerne, aber es könnte auch aus anderen Quellen kommen. Diplomatisch haben die Europäer gar nichts zu bieten, weil sie so uneinig sind. Spanien zum Beispiel würde Netanjahu am liebsten vor den Internationalen Strafgerichtshof stellen. Und militärisch können sie auch nichts leisten, wenn es darum geht, innere Sicherheit in den Palästinensergebieten herzustellen – eine Aufgabe, die zum Beispiel das Nachbarland Ägypten dankend abgelehnt hat.
Welche Rolle spielt eigentlich die Türkei?
Sie hat einen Rollenwandel vorgenommen. Nach dem 7. Oktober hat sie zunächst moderat reagiert und glaubte wohl, vermitteln zu können wie zwischen Russland und der Ukraine. Dann geriet Präsident Recep Tayyip Erdogan innenpolitisch unter Druck. Oppositionsparteien fragten, was er denn wohl tut. Es gab große Demonstrationen, und Erdogan, Populist wie er ist, sagte sich, er müsse auf den Zug auf springen. Sein Ziel bleibt es, der politische Führer der islamischen Welt zu sein, und er glaubt, mit seinem nationalistischen Islamismus etwas bieten zu können, was die religiös-konservativen Sektierer in Saudi-Arabien und Iran der Region nicht bieten können. Deshalb sein Schwenk zur Unterstützung der Hamas.
Es gibt Hisbollah-Angriffe auf Israel und Drohnenbeschuss von proiranischen Milizen aus dem Jemen. Droht der Konflikt zu eskalieren?
Der Iran will momentan nicht eskalieren. Das schließt aber nicht aus, dass es dazu kommt. Denn der Iran möchte die Hamas als militärische Macht erhalten wissen. Und es ist ja früh gesagt worden, eine Zerstörung der Hamas könnte im Iran zu neuen Überlegungen führen. Deshalb zeigt der Iran ja derzeit über seine Stellvertreter Hisbollah und Huthi-Milizen: Wir können, wenn wir wollen.
Aber ohne Zerstörung der Hamas gibt es nie einen stabilen Palästinenserstaat.
Ja – es sei denn, es gibt eine Lösung, bei der die Hamas Gaza verlässt. Wenn es einen entsprechenden breiten Konsens der arabischen Staaten gibt, könnte Iran ein Interesse daran haben, die Strukturen der Hamas, die es noch gibt, zu verlagern. Man hätte dann zwar das geostrategisch interessante Territorium Gaza verloren, aber nicht das Instrument Hamas.
Und was treibt Russland dazu, plötzlich Hamas-Führer zu empfangen?
Lange hatte Russland ja ein gutes Verhältnis zu Israel, was auch dazu führte, dass Israel der Ukraine seine Unterstützung verweigerte. Die russische Führung verstand sich mit der Regierung Netanjahu gut. Russland hat es ausgenutzt, dass sich die USA unter Barack Obama nicht mehr für den Nahen Osten interessierten, mit diesen vermeintlichen Stammeskriegen nichts mehr zu tun haben wollten. Da stieß man in die Lücke und zeigte sich als Staat, der gute Kontakte in alle Richtungen hat – zu den Saudis, zum Iran, nach Israel. Jetzt ist aber eine Situation gekommen, in der sich Russland entscheiden muss. Und da hat Moskau nachvollziehbarerer Weise die Seite Irans gewählt, der Rüstungsgüter liefert und mit Russland bei der Umgehung von Sanktionen kooperiert. Dass russische Verhältnis zu Israel wird damit schlechter. Andererseits ist der Umstand, dass es neben dem Ukraine-Krieg jetzt noch einen zweiten Krieg in der Nachbarschaft es westlichen Europas gibt, für Russland sehr nützlich. Auf beiden Schauplätzen geht es ja darum, das Entstehen einer neuen regionalen Ordnung zu vereiteln.
Sie haben eben Obama erwähnt. Die Fehler der USA haben also nicht erst unter Trump begonnen …
Genau. Obama hat eine gewaltige Fehlkalkulation zu verantworten. Er hat Israel vernachlässigt, weil er den Ausgleich mit dem Iran suchte – während die Israelis immer warnten, dass die Iraner alles Mögliche unterschreiben und doch mit ihrem Nuklearprogramm weitermachen. Das führte ja dazu, dass Netanjahu vor dem US-Kongress sprach, ohne dass die US-Regierung eingebunden war – ein diplomatischer Affront erster Güte. Trump hat Obamas Politik gegenüber dem Iran umgedreht und versucht, eine antischiitische Koalition zusammenzubringen, man denke an seinen Staatsbesuch in Saudi-Arabien. Und er hat eine einseitige Position pro Israel bezogen und die Palästinenser komplett an den Rand gedrängt bis hin zur Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem. Biden muss und will das wieder umzudrehen – aber nicht, um zur Politik Obamas zurückzukehren, sondern zu der Clintons. Leider hat er das bisher aus vielen Gründen nicht in Angriff genommen.