Unverwundbares Russland?Wie hart Putin sein eigenes Volk treffen könnte
Berlin – Die Strategie von Kanzler Olaf Scholz und den westlichen Verbündeten ist nicht aufgegangen: Mit der Androhung harter Sanktionen sollte Russlands Präsident Wladimir Putin vom Einmarsch in die Ostukraine abgehalten werden. Nun machen EU und USA ihre Drohungen war und belegen Russland mit ersten Strafaktionen. Doch auch das lässt den Kreml-Chef kalt. Sind seine Devisenreserven und Rohstoffschätze so groß, dass sich Putin für unverwundbar hält? Experten haben eine andere Vermutung. Eine Analyse:
Über welchen finanziellen Reserven verfügt Russland?
Russlands Wirtschaft ist zwar deutlich kleiner als die Italiens. Doch hat sich der Staat für eine Durststrecke maximal gerüstet: Devisen und Goldreserven summieren sich auf 630,6 Milliarden US-Dollar. Die Staatsverschuldung lag 2021 bei knapp 14 Prozent. Gerade mal drei Prozent des BIP wurden zur Bekämpfung der Corona-Pandemie aufgewendet. Wohlfahrts- und Währungsfonds sind – anders als die Gasspeicher in Deutschland – üppig befüllt. „Das Land hatte noch nie so viel Geld zurückgelegt wie jetzt“, sagt Stefan Meister, Russland-Chefexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), im Gespräch mit unserer Redaktion. Und Putin habe den Staat auf alle möglichen Sanktionen vorbereitet. So wurden Wirtschaftsministerium und Nationalbank angewiesen, ein alternatives Finanzsystem zu Swift zu entwickeln.
Könnte Russland die Sanktionen also einfach aussitzen?
Die ersten Strafmaßnahmen werden das Land nicht in die Knie zwingen. Dazu gehört das Verbot, mit russischen Staatsanleihen zu handeln, sowie Geschäfts- und Einreiseverbote für hunderte russische Abgeordnete sowie Banken, die in den Separatistengebieten Handel treiben. Auch die Pipeline Nordstream 2 wird auf Eis gelegt. Im Kräftemessen zwischen zwischen West und Ost sei Nordstream 2 ohnehin nur „ein Symbol“, sagt Meister. Der Stopp werde Putin definitiv nicht abschrecken. Er sagt: „Nordstream 2 war nur ein Instrument, um die Europäer zu spalten und die Ukraine zu umgehen.“
Und doch werde schon in der ersten Sanktionsstufe der Rubel an Wert verlieren, weil die Eskalation Investoren abschrecken werde, schätzt Meister. Eine Inflation sei absehbar.
Richtig hart könnte die nächste Stufe das Land treffen, insbesondere das auf dem Tisch liegende Exportverbot für Hightech-Technologie: „Russland ist stark von Technik aus dem Westen abhängig, vor allem aus den USA, aber auch von Maschinenbau-Importen aus Deutschland und Europa“, sagt der DGAP-Experte. Dafür werde das Land keinen Ersatz bekommen, zumindest nicht vollumfänglich.
Kommt es also soweit, dann werde Russland „ökonomisch noch weiter zurückfallen und im Digitalbereich nicht mehr wettbewerbsfähig sein“, sagt Meister: Aus den Finanzproblemen würde ein schwerer sozioökonomischer Schaden.
Käme China den Russen nicht zu Hilfe?
Gut möglich. Aber schon jetzt gibt es im russischen Sicherheitsapparat eine sehr große Skepsis, dass man sich zu abhängig von chinesischer Technologie macht. Das wäre aber nicht mehr zu verhindern, weil keine anderen Optionen blieben. „China wird dann in Verhandlungen über Öl- und Gaslieferungen, über Investitionen in Schlüsselindustrien und Infrastruktur deutlich gestärkt“, analysiert Meister. „Ja, Putin wird erpressbar werden.“
Das ist er schon längst, meint Nina L. Khrushcheva, Professorin für internationale Angelegenheiten der New Yorker New School. Präsiden Xi Jinping habe die Isolation Moskaus schon genutzt, um Russland in eine „vasallenartige Abhängigkeit“ zu bringen. Und nun werde China nicht die offene Konfrontation mit den USA riskieren, indem es die westlichen Sanktionen durch eine massive Stützung Russlands ins Leere laufen lasse.
Khrushchevas Prognose: Peking werde Russland nur „minimal“ unterstützen, „um Putin im Kreml zu halten – das einzige, was für ihn zählt. Doch der Kremlherrscher wird über eine Volkswirtschaft regieren, die langsam ausblutet.“
Warum trotzt Putin dann den Sanktionen?
International isoliert, von China abhängig, wirtschaftlich auf Talfahrt: „Ganz klar: Das wird Russland weh tun, das wird die russische Bevölkerung hart treffen“, ist DGAP-Experte Meister überzeugt.
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Wird das Horrorszenario Putin womöglich doch zum Einlenken bringen, wenn der Westen die Strafmaßnahmen durchzieht? „Putin interessiert seine Bevölkerung letztlich nicht. Er kennt die Umfragen, wonach die Russen keinen Krieg wollen, trotzdem macht er ihn“, sagt der Politikberater. Auch die Brachial-Reform des Pensionsfonds habe gezeigt: „Selbst wenn das Volk aufbegehrt, zieht der Präsident seine Entscheidungen durch.“