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Ukraine-KriegGeflüchtete zwischen Integration und Heimweh

Lesezeit 5 Minuten
Ukrainerin mit Baby im März

Eine junge Ukrainerin mit ihrem Baby im März bei ihrer Ankunft in Deutschland.

BerlinEin halbes Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges ist ein Teil der Geflüchteten aus der Ukraine wieder in die umkämpfte Heimat zurückgekehrt – trotz der damit verbundenen Risiken. Dazu, wie viele der vorwiegend weiblichen Geflüchteten diesen Weg zurück beschritten haben, gibt es nach Angaben des Bundesinnenministeriums noch keine verlässlichen Zahlen. Die Bundespolizei geht laut Ministerium von etwa 700 Geflüchteten aus der Ukraine aus, die derzeit täglich nach Deutschland einreisen.

Schulbeginn in der Ukraine

Einige Mütter haben in den letzten Wochen immer wieder hin und her überlegt, ob sie rechtzeitig zum Schuljahresbeginn am 1. September zurückkehren sollen. Ist die Schule daheim unbeschädigt? Können die Klassenräume genutzt werden, oder leben dort womöglich noch Vertriebene? Bekannt ist, dass seit Kriegsbeginn am 24. Februar 967546 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine registriert wurden. Bei den meisten handele es sich um Frauen und Kinder. 36 Prozent der Registrierten seien Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, erklärte das Ministerium. Von den Erwachsenen seien 74 Prozent Frauen. Nach Angaben des UNHCR sind insgesamt rund 3,8 Millionen Kriegsflüchtlinge zumindest teilweise wieder in die Ukraine zurückgekehrt. Die meisten von ihnen reisen via Polen.

Gefühl der Zerrissenheit

Wer in Deutschland geblieben ist, leidet oft unter einem Gefühl der Zerrissenheit. Hier die neuen Herausforderungen: Deutsch lernen, eine Wohnung finden, die Jobsuche. Dort die Angehörigen und Freunde und Fragen wie: Ist der alte Job noch da, die eigene Wohnung? Generell gilt: Wer aus einem der stark zerstörten oder von russischen Truppen besetzten Gebiete stammt, denkt seltener über eine baldige Rückkehr in die Ukraine oder zumindest kurze Besuche bei der Familie nach als Menschen, die zuletzt in der Hauptstadt Kiew lebten oder im Westen des Landes.

Lernen an deutschen Schulen

154761 Schülerinnen und Schüler besuchen ein halbes Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Schulen in Deutschland. Diese Zahl meldeten die Bundesländer für die am Sonntag zu Ende gegangene 33. Kalenderwoche, wie die Kultusministerkonferenz (KMK) gestern in Berlin mitteilte. Im Vergleich zur Vorwoche stieg die Zahl den Angaben zufolge damit um 4690 an.

Aus Sicht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung funktioniert die Aufnahme und Integration der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bislang gut und sollte deshalb als Vorbild dienen. Reem Alabali-Radovan (SPD) sagte, mit sofortigem Zugang zu Arbeitsmarkt und Integrationskurs sowie mit Leistungen aus einer Hand von den Jobcentern sei das Ankommen insgesamt gut gelungen. „Das muss Blaupause für unsere Migrations- und Integrationspolitik sein, damit wir ein Einwanderungs- und Integrationsland auf der Höhe der Zeit sind.“ (afp/dpa)

Auch eine der beiden Ukrainerinnen, die in Berlin-Steglitz im Haus der Familie von Robert Heycke untergekommen sind, würde gerne für eine Woche nach Kiew reisen, um ihren herzkranken Vater im Krankenhaus zu besuchen. Beim Jobcenter habe man ihr jedoch gesagt, dass dies in den ersten drei Monaten nach der Anmeldung dort nicht möglich sei – obwohl ihr Deutsch-Sprachkurs noch nicht begonnen hat.

In der vergangenen Woche nahmen laut Bundesinnenministerium bundesweit 144164 Menschen an Integrationskursen teil. 57 Prozent von ihnen stammten aus der Ukraine. Während die beiden Ukrainerinnen aus Berlin-Steglitz Deutsche an ihrer Seite haben, die sie bei Behördengängen unterstützen, müssen andere Flüchtlinge alleine mit der fremden Bürokratie klarkommen.

Deutschkurse sehr gefragt

Die Nachfrage nach sogenannten Erstorientierungskursen, wo erste Deutschkenntnisse vermittelt und ein Überblick über das Leben in Deutschland gegeben wird, ist durch die Ankunft der Ukraine-Flüchtlinge stark gestiegen, wie ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage mitteilt. Statt der sonst üblichen 300 Kurse finden aktuell im Schnitt 800 statt.

Ende Mai lag die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland bei rund 84000 – ein Anstieg um 26500 Beschäftigte seit Februar. Aktuellere Zahlen liegen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch nicht vor. Mitte Juli bezogen rund 454000 ukrainische Staatsbürger Leistungen des Sozialgesetzbuches II, sind also Hartz-IV-Empfänger.

Aufenthalt für ein Jahr

Die Staaten der Europäischen Union hatten sich im März geeinigt, auf die Geflüchteten aus der Ukraine die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie anzuwenden. Diese sieht vor, dass die Schutzsuchenden keinen Asylantrag stellen müssen, sondern erst einmal einen Aufenthaltstitel für ein Jahr erhalten und arbeiten dürfen. Wer nicht sofort Arbeit fand, erhielt zunächst Leistungen vom Sozialamt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Seit dem 1. Juni sind in Deutschland die Jobcenter für die Ukrainerinnen und Ukrainer zuständig. Sie vermitteln Kurse, kümmern sich um die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und um Fortbildungen, weisen auf freie Stellen hin und sorgen dafür, dass Anspruchsberechtigte Leistungen der Grundsicherung erhalten. Aus Sicht des Deutschen Städtetags war der Wechsel von den Sozial- und Ausländerämtern zu den Jobcentern zwar aufwendig, ist aber insgesamt sehr gut gelaufen.

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In diesen Tagen treibt viele der Kriegsflüchtlinge die Sorge um, Russlands Präsident Wladimir Putin könne den heutigen ukrainischen Unabhängigkeitstag zum Anlass für verstärkte Angriffe nutzen. Da sich die weitere Entwicklung des Krieges nur schwer vorhersehen lässt, gibt es auch bei den Mitarbeitern der Verwaltung teilweise Verständnis für „Flucht-Pendler“. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hatte ebenfalls betont, es sei wichtig, dass auch jene, die dauerhaft in die Ukraine zurückkehrten, wieder in der EU willkommen seien, falls sich die Lage verschlechtere. (dpa)