Berlin – Ex-Verfassungsschutzchef und Noch-CDU-Mann Hans-Georg Maaßen schürte die Ängste gerade, indem er ein Video des Mikrobiologen Sucharit Bhakdi teilte. Darin behauptet der umstrittene Professor im Ruhestand, die mRNA-Vakzine würden „unsere Kinder töten“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wiederum verkündete in seiner ersten Neujahrsansprache: „Inzwischen sind allerdings fast vier Milliarden Menschen auf der ganzen Welt geimpft. Ohne größere Nebenwirkungen.“
Dass die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna tödliche „Selbstangriffe durch Killer-Lymphozyten“ auslösen, wie Bhakdi meint, wird von ernsthaften Virologen als völliger Unfug bewertet. Dass es aber überhaupt keine „größeren Nebenwirkungen“ gäbe, wie Scholz sagt, stimmt in seiner Absolutheit auch nicht ganz. So finden sich sehr vereinzelt auch Betroffenen-Berichte über erschütternde mutmaßliche Impfschäden bis hin zu Hirnvenenthrombosen.
Auswertung von über 120 Millionen Impfungen liegt vor
In Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für die Zulassung und Überwachung von Impfstoffen verantwortlich. Der Behörde müssen Ärzte alle Verdachtsfälle melden. In den regelmäßigen „Sicherheitsberichten“ werden alle Hinweise auf schwere Impfreaktionen analysiert, die über normale Reaktionen von schmerzenden Einstichstellen über Kopfschmerzen bis zu Schüttelfrost oder Fieber hinausgehen.
Der letzte Bericht stammt vom 23. Dezember und fasst die Ergebnisse nach 123 Millionen Impfungen in Deutschland zusammen. Insgesamt gingen 196164 Meldungen über den Verdacht auf mögliche Komplikationen ein. Das entspricht 16 Meldungen pro 10000 Impfungen. Einen Verdacht auf schwerwiegende Reaktionen gab es bei zwei pro 10000 Impfungen.
Wichtig: Nur bei einem geringen Bruchteil der Verdachtsfälle bestätigen sich die Hinweise, das Impfstoffe der Grund für gesundheitliche Probleme waren. Das wird auch anhand von Wahrscheinlichkeiten berechnet, also: Treten bestimmte Probleme bei Geimpften wirklich häufiger auf als bei Nichtgeimpften?
Welche ernsthaften Impfkomplikationen hat es also bislang gegeben, ein Jahr, nachdem das Impfen bei uns begonnen hat? Das PEI hat mehrere Cluster identifiziert:
Entzündungen des Herzens
Myokarditis ist eine Entzündung des Herzmuskels, die sich als Brustschmerzen, Herzklopfen und Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzversagen äußern kann. Perikarditis ist eine Entzündung des Herzbeutels. Männer zwischen 20 und 50 Jahren scheinen das höchste Risiko für eine Perikarditis zu haben. Die Myoperikarditis ist eine Kombination aus Myokarditis und Perikarditis.
Es handele sich um „sehr seltene Nebenwirkungen“ nach Impfungen mit den mRNA-Vakzinen von Biontech und Moderna, schreibt das PEI. Sie verlaufen nach Angaben der Deutschen Herzstiftung in der Regel mild und heilen vollständig aus. Es wurden 15 Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung gemeldet. In nur drei Fällen (zweimal Biontech und einmal Moderna) wurde aufgrund des Autopsieberichtes der Zusammenhang mit der Impfung als „möglich“ bewertet. In allen anderen Fällen sieht das PEI auf der Basis der derzeitigen Datenlage keinen ursächlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Impfung, „da entweder in der Gesamtschau aller Befunde alternative Ursachen als wahrscheinlicher angesehen wurden oder wichtige klinische Befunde ausstehen“.
Thrombosen
Die Kombination von Blutgerinnseln an zumeist ungewohnten Stellen (Gehirn) bei gleichzeitig verminderter Anzahl an Blutplättchen (TTS) tritt extrem selten bei den Vektor-Impfstoffen Astrazeneca (AZ) und Johnson & Johnson auf, sie ist dann aber potenziell gefährlich. Frauen waren davon überdurchschnittlich betroffen.
Im PEI-Bericht ist zu lesen, dass bisher 31 Personen nach Astrazeneca-Impfung an einer solchen Kombination verstarben, sieben nach Impfung mit Johnson & Johnson. In 29 der 38 Meldungen waren die Kriterien eindeutig erfüllt, bei 14,4 verabreichten Millionen Dosen AZ, das in Deutschland nicht mehr genutzt wird, und 5,3 Millionen Dosen Johnson & Johnson, das kaum noch verimpft wird.
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Nach vermehrten Meldungen über Verdachtsfälle von Sinusvenenthrombosen wurden diese kürzlich als Nebenwirkung in die Fachinformation zu AZ aufgenommen. Das PEI hat aber Zweifel. Es sei nicht auszuschließen, dass einzelne Fälle in Wirklichkeit ein TTS darstellten. Zu beachten sei auch, dass die gesteigerte Aufmerksamkeit gerade für Sinusvenenthrombosen nach Astrazeneca „zu einer Verzerrung der Melderate geführt haben könnte“.
Für Biontech und Moderna gab es bei Thrombosen „kein Risikosignal“.
Nervenentzündungen
Das Guillan-Barré-Syndrom ist eine akute Entzündung des peripheren Nervensystems und der Nervenwurzeln. In den meisten Fällen bildet sich die Symptomatik zurück. Allerdings kommt es bei manchen Patienten zu einem verlängerten Krankheitsverlauf, auch Todesfälle können vorkommen. Insgesamt wurden dem PEI 314 Fälle berichtet, davon mit tödlichem Verlauf zwei Fälle nach AZ, fünf Fälle nach Biontech und ein Fall nach Moderna. 24 Patienten mussten intensivmedizinisch behandelt werden. Allerdings kam das PEI zu dem Schluss, dass sich ursächliche Zusammenhänge nur mit den Vektor-Impfstoffen herstellen ließen, nicht aber mit den mRNA-Impfstoffen Biontech und Moderna.
Tod durch Impfung?
In 1919 Fällen wurde der Verdacht auf einen durch ein Corona-Vakzin ausgelösten Todesfall bis zu 289 Tage nach einer Impfung gemeldet. In immerhin 78 Fällen hat das PEI einen „ursächlichen Zusammenhang“ mit der Impfung als „möglich oder wahrscheinlich“ bewertet. Dabei handelte es sich ausnahmslos um Fälle, in denen Patienten an bereits bekannten Impfrisiken wie etwa TTS oder Myokarditis verstorben sind. Diese seien aber frühzeitig in der Impfkampagne erkannt und die Risiken für die betroffenen Gruppen minimiert worden, schreibt das PEI.
Bei 123 Millionen Impfungen und verglichen mit der statistisch zu erwartenden Zahl der Todesfälle unter Nichtgeimpften habe sich darüber hinaus bei keinem der in Deutschland verwendeten Impfstoffe ein „Risikosignal“ für weitere Vorerkrankungen ergeben.
Und so kommen die Impfstoffkontrolleure zu dem Schluss, dass „nach derzeitigem Kenntnisstand“ schwerwiegende Nebenwirkungen „sehr selten“ seien und das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis „nicht ändern“.
Boosterimpfungen
Mögliche Komplikationen nach Drittimpfungen wurden dem Institut in 3278 Fällen gemeldet, 268 mal ging es um potenziell schwerwiegende Reaktionen. Die Melderaten seien geringer als nach Erst- und Zweitimpfungen.
Fazit des PEI: Die derzeitigen, wenngleich vorläufigen Daten weisen auf „ein günstiges Sicherheitsprofil“ der dritten Dosis mit Biontech und Moderna hin.
Kinder und Jugendliche
Biontech ist der am häufigsten verwendete Impfstoff für Minderjährige. Bei sechs pro 10000 Impfungen wurden Reaktionen gemeldet, meist Schmerzen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Ermüdung und Fieber. Bei gut jeder fünften Verdachtsmeldung ging es um schwerwiegende unerwünschte Reaktionen. Dabei handelte es sich „in sehr seltenen Fällen“ um Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen.
„Nach derzeitigem Kenntnisstand ist der Verlauf der Erkrankungen zumeist milde. Die Symptome klingen bei der überwiegenden Mehrzahl der betroffenen Patienten innerhalb kurzer Zeit vollständig ab“, so das PEI. Eine Langzeitstudie soll den weiteren Verlauf einer Myokarditis bei Kindern und Jugendlichen nach Covid-19-Impfung untersuchen.
Entschädigung
Ein weiterer Hinweis auf die Sicherheit der Impfstoffe: Wer meint, einen Schaden durch eine Corona-Impfung erlitten zu haben, kann einen Antrag auf staatliche Entschädigung stellen. Zuständig sind die jeweiligen Landesbehörden.
Eine bundesweite Übersicht gibt es nicht, aber auf Nachfrage im niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie heißt es: „Stand heute sind 102 Anträge auf Versorgung wegen möglicher Schäden nach einer Corona-Impfung eingegangen, von diesen wurde bisher einer beschieden. Es handelt sich hierbei um eine Ablehnung, gegen diese wurde Widerspruch eingelegt.“